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Worte von Jewgeni Jewtuschenko Deutsche Nachdichtung von Jörg Morgener I. Babij Jar Chor: Es steht kein Denkmal über Babij Jar. Die steile Schlucht mahnt uns als stummes Zeichen. Die Angst wächst in mir. Es scheint mein Leben gar bis zur Geburt des Judenvolks zu reichen. Baß-Solo: Mir ist, als wenn ich selbst ein Jude bin, verlaß Ägyptens Land in Todesnöten. Gekreuzigt spüre ich, wie sie mich töten, aus Nägelmalen rinnt mein Blut dahin. Jetzt bin ich Dreyfuß, trage sein Gesicht. Die Spießer, meine Kläger, mein Gericht. Rings seh' ich Gitter, Feinde dicht bei dicht. Muß niederknien, hart angeschrien und angespien. Und feine Dämchen ganz in Brüssler Spitzenfähnchen stechen mir mit Schirmen ins Gesicht. Jetzt seh' ich mich in Bialystok als Junge. Chor: Blut, Blut bedeckt den Boden rings umher. Es gröhlt betrunknes Volk mit schwerer Zunge, nach Wodka und nach Zwiebeln stinkt es sehr. Baß-Solo: Hart treten Stiefel mich, wie alles Schwache, am Boden liegend läßt man mich im Stich. Chor: „Schlagt tot die Juden! Vaterland erwache!" Ein reicher Händler schändet Mutter, dich! Baß-Solo: O Rußland, du mein Volk, getreulich denkst du international in deinem Handeln. Doch ehrfurchtslose Frevler suchen längst die Reinheit deines Namens zu verschandeln. Ich weiß auch um die Güte hierzuland, doch kürzlich, keiner wagt es zu verbieten, hat eine Schar Antisemiten sich höhnisch Baß-Solo/Chor: „Bund des Russenvolks" genannt! Baß-Solo: Jetzt scheint es mir: ich selbst bin Anne Frank, ein knospenzarter Zweig im Frühlingswehen. Ich liebe nur. Was braucht es Worte bang, wenn ich nur weiß, daß Menschen sich verstehen. Wie wenig Licht und Luft hier im Quartier!