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KARL-MARX-UNIVERSITÄT 9. Mai 1975 Echte Freundschaft - Sache von Verstand und Herz zugleich Von Prof. Dr. Hans Piazza ier Jahre nach der Gro ßen Sozialistischen Okto berrevolution schrieb W. I. Lenin: „Je weiter wir uns von diesem großen Tag entfernen, desto kla rer wird die Bedeutung der proletarischen Revolution in Rußland, desto tiefer dringen wir auch in den Sinn der praktischen Erfahrung unserer Arbeit als Gan zes ein.“ Diese Leninsche Sicht bedeutender historischer Ereignisse besitzt, so meine ich, volle Gültigkeit für die Bewertung des 8.. bzw. 9. Mai 1945. Gemeinsam mit den Völkern der Sowjetunion und der anderen Staa ten der sozialistischen Gemein schaft. sowie mit allen fortschrittli chen und friedliebenden Menschen auf unserem Erdball feiern in die sen Tagen die Bürger unserer Repu blik den Sieg der Sowjetunion und ihrer Verbündeten über den faschi stischen deutschen Imperialismus, der nicht nur den Völkern unseres Kontinents, sondern auch dem deutschen Volk die Befreiung von der faschistisch-imperialistischen Barbarei brachte. * 1945 erkannte nur die Minderheit der Deutschen, nämlich die antifa schistischen Widerstandskämpfer mit den Genossen der KPD an der Spitze, die Befreiungsmission der Roten Armee und die einmalige historische Chance, die sich damit dem deutschen Volk eröffnete. Vie len Deutschen erschien, was im Mai jenes Jahres geschah, „als Nieder lage und Demütigung, was in Wahr heit Befreiung und die Möglichkeit der Aufrichtung zu neuer menschli cher Würde war“ (W. Lamberz). Die konsequent internationalistische Po sition der Sowjetunion und ihrer Leninschen Partei und ihre stete Hilfe bei der Aufrichtung einer neuen antifaschistisch-demokrati schen und sozialistischen Ordnung auf dem Boden der DDR, die ziel gerichtete ideologische Arbeit unse rer marxistisch-leninistischen Par tei und nicht zuletzt die persönli chen Erfahrungen von Millionen Bürgern der DDR mit der Politik und den Menschen des Sowjetlandes ließen die Erkenntnis reifen und festigen, daß 1945 zwar dem faschi stischen deutschen Imperialismus eine vernichtende Niederlage beige bracht, damit aber zugleich das Tor zu einer grundlegenden Erneue rung der gesellschaftlichen Zustände in Deutschland aufgestoßen wurde. Diese Befreiertat — niemand darf das je vergessen — forderte von der Antihitlerkoalition, gewaltige An- strengungen und Opfer. Allein 20 Millionen Sowjetbürger, jeder 4. Uk rainer und Weißrusse (!), zahlten mit ihrem Leben, damit auch in Deutschland nach der faschistischen Nacht ein neuer Tag anbrechen konnte. * Geschichte ist das Produkt der menschlichen Tätigkeit. Zugleich wirken historische Ereignisse auf die Menschen zurück, werden durch diese wiedergespiegelt, erfas sen Herz und Hirn. Meine Begeg nungen mit dem Lande Lenins und seinen prachtvollen Menschen ha ben, wie bei so vielen Bürgern un seres sozialistischen Staates, auch in mir zunehmend die Überzeugung ge festigt, daß die unverbrüchliche Freundschaft zur Sowjetunion — wie das generell bei echter Freund schaft der Fall ist — nicht nur eine Sache des Verstandes, sondern des Herzens ist. Glückliche Umstände bewirkten, daß in meiner Stellung zur Sowjetunion sich von vorn ¬ herein diese Einheit von Rationalem und Emotionalem ergab. * Die ersten Eindrücke von den So wjetsoldaten konnte ich bereits in jenen Maitagen des Jahres 1945 sammeln, als sich eine kleine Ein heit in dem Haus einquartierte, in dem ich wohnte. Mich sprach sofort ihre Aufgeschlossenheit gegenüber den einfachen Menschen, ihr feiner Unterscheidungssinn zwischen den Faschisten und den deutschen Ar beitern und ihre ausgesprägte Liebe zu Kindern an. Hinzu kam, daß nach den schrecklichen Bomben nächten im damaligen Chemnitz mit den Sowjetsoldaten der herbeige sehnte Frieden eingezogen war. Gewiß spielte dabei keine unterge ordnete Rolle, daß da das Wasch haus zu einer Kompanieküche um funktioniert wurde, es nun wieder etwas Vernünftiges zu essen gab. Da die sowjetischen Soldaten etwa ein Jahr in unserem Haus wohnten, freundete ich mich mit ihnen an, arbeitete für sie und wurde durch sie in die Anfanggründe der russi schen Sprache eingeführt. Wie stolz war ich, als mir ein Panjewagenge- spann anvertraut wurde, mit dem ich Briketts in die Offiziershäuser zu fahren hatte, oder gar, wenn ich mit ihnen zuweilen ausreiten durfte. Und wie, lachte ich. als sie mich im Frühjahr 1946 im Krankenhaus be suchten und den verdutzten Krank- kenschwestern einen höllischen Schrecken einjagten. Diese einfa chen Sowjetsoldaten — Grischa. Alexej, Andrej, Wolodja, Schura und Schermano — erteilten mir den ersten Anschauungsunterricht in Völkerfreundschaft und Solidarität, in Liebe zum sozialistischen Vater land und im Haß gegen alles Reak tionäre. In den folgenden Jahren wurde die doch vornehmlich spontan entstan dene Freundschaft zur Sowjet union wie bei so vielen Bürgern un seres Landes durch das intensive Studium der „Geschichte der KPdSU (B)“, durch das Herantasten an erste Leninsche Arbeiten und durch die Bekanntschaft mit der sowjetischen Literatur vertieft. Anfang der 50er Jahre lieferte das Land Lenins einen weiteren Beweis seiner proletarischen Solidarität mit der dank der Befreiertat der Sowjet armee geschaffenen jungen Deut schen Demokratischen Republik: obwohl die Wunden des Krieges noch nicht geheilt waren, gab es jungen DDR-Bürgern die Möglich keit. die fortgeschrittenste Wissen schaft der Welt an Ort und Stelle zu studieren. Von 1952—57 absol vierte ich in Leningrad, der Wiege des Roten Oktober, in der Stadt, die so unsägliches Leid durch die fa schistischen Eindringlinge erfahren mußte, ein solides Geschichts studium. Meine Lehrer, hochgebil dete und dabei überaus bescheidene Menschen, führten mich in den Reichtum der marxistisch-leninisti schen Geschichtswissenschaft ein, lehrten mich, spornten mich an und lebten mir Leninsche Verhaltens weisen vor. Die sowjetischen Stu denten, ein interessantes, buntes Ge misch aus der einträchtig zusam menlebenden Familie der Sowjet völker, waren mir teure Freunde und, was ich besonders schätzte, lebhafte und streitbare Diskussions partner. Sie waren glühende Patrio ten ihres großen Landes, sie demon strierten durch ihr persönliches Beispiel, daß sozialistischer Patrio tismus und proletarischer Interna tionalismus eine unauflösliche Ein heit bilden. Folgende Beispiele sind mir u. a. fest im Gedächtnis haften geblieben: Es war nach dem 17. Juni 1953. Die Sowjetregierung hatte den Beschluß gefaßt, zusätz lich Lebensmittel in die DDR zu schicken. Angesichts der damaligen wirtschaftlichen Situation in der Sowjetunion bedeutete das, für die Versorgung der Sowjetbürger ge dachte Nahrungsmittel den Klas senbrüdern in der DDR zur Verfü gung zu stellen. Butter und andere hochwertige Produkte wurden knapp, doch niemals hörte ich eine kritische oder gar negative Äuße rung. Im Gegenteil: „Politisch ist das jetzt notwendig, wir sehen das ein. Es wird schon wieder besser“ — war die einhellige Reaktion der Betroffenen. Die zweite Episode be trifft das Echo auf die Aggression Israels, Großbritanniens und Frank reichs gegen Ägypten im Herbst 1956. In der Sowjetunion entfaltete sich eine mächtige Solidaritätsbewe gung mit dem Kampf des ägypti schen Volkes. Überall fanden stür mische Meetings statt. Spontan mel deten sich zahlreiche Sowjetbürger als Freiwillige, um dem ägyptischen Volk direkt zur Seite zu stehen. Die eindeutige Position der Sowjetregie rung und ihre eindringliche War nung an die Aggressoren trug maß geblich dazu bei, den Brandherd zu löschen. Meine persönlichen Erfahrungen in der Sowjetunion haben immer wie der die unumstößliche Wahrheit un termauert, daß — entgegen allen im perialistischen und anderen Ver leumdungen, die der UdSSR groß machtchauvinistische Ambitionen zu unterstellen versuchen — die so wjetische Politik des Friedens und der internationalen Solidarität aus dem Wesen der sozialistischen Ge sellschaftsordnung erwächst und zu tiefst dem Wollen und Sehnen der Sowjetbürger entspricht. Ein Glei ches ist zur Haltung der Sowjet union und der Sowjetmenschen zum 9. Mai 1945 zu sagen. Verständli cherweise feiern sie den unter schweren Opfern erkämpften Sieg über den deutschen Faschismus, den Stoßtrupp der internationalen Re aktion. Doch sie lassen sich dabei weder von den Gefühlen eines über heblichen Triumphators noch eines blindwütigen Rächers leiten. Für sie ist die feierliche Würdigung des Ta ges des Sieges stets ein Tag des Ge denkens an die teuren Toten, an die Helden des Großen Vaterländischen Krieges; ein Tag der Mahnung, wachsam gegen alle diejenigen zu sein, die die friedliche Aufbauarbeit des Sowjetvolkes stören wollen; ein Tag der Freude über das seit 1945 Erreichte, über das Aufblühen des eigenen Landes und aller Staaten der sozialistischen Gemeinschaft, die unter Führung der Sowjet union der ganzen Menschheit den Weg zum gesellschaftlichen Fort schritt bahnt. * s Nach Beendigung meines Studiums rissen die geknüpften Kontakte nicht ab, neue kamen hinzu. Allen gemeinsam ist die herzliche Freund schaft von Kampfgenossen und der die Wissenschaft fördernde Aus tausch und Streit der Meinungen. Meine Arbeit kann ich mir ohne dieses belebende Element, das aus dem gründlichen Studium der Er fahrungen der KPdSU, der Auswer tung der Sowjetwissenschaft und den persönlichen Freundschaften er wächst, schlechterdings nicht vor stellen. Die Begegnungen mit so wjetischen Genossen, wie kürzlich in Vorbereitung des 30. Jahrestages in Kiew, beeindrucken mich immer wieder durch ihre Produktivität, ihre Herzlichkeit, innere Wärme und Kameradschaftlichkeit. Sie sind gleichsam nur kleine Farbtupfer, doch aus ihnen formt sich das im posante Gemälde des unverbrüchli chen Bruderbundes zwischen unse ren Parteien und Völkern. Angesichts des bevorstehenden großen Jubiläums betrachte ich es in besonders hohem Maße als meine internationalistische und ganz per Und wenn wir anläßlich des 30. Jah restages am 14. und 15. Mai auf der wissenschaftlichen Konferenz der Sektion Geschichte und des Franz- Mehring-Instituts erneut mit unse ren sowjetischen Freunden und Ge nossen aus den Heldenstädten Mos kau, Leningrad und Kiew zusam menkommen werden, werde ich nicht versäumen, den vor vier Wo chen ausgebrachten Toast des Hel den der Sowjetunion, des Kiewer Wissenschaftlers und Kommunisten W. I. Klokow zu wiederholen: Es lebe der Tag Befreiung! des Sieges und der Es lebe die ruhmreiche Sowjet armee! Es lebe der Bruderbund unserer Par teien und Völker! sönliche Pflicht, in meinem Tätig keitsbereich die Freundschaft zur Sowjetunion in Theorie und Praxis, im Großen und Kleinen zu festigen.