Volltext Seite (XML)
r «Nun gut, aber bis zum Hause begleite ich Sie, meine Damen, das müssen Sie mir schon gestatten", entgegnete Doktor Brecht lächelnd. Allmählich gerieten die drei in munteres Plaudern, und so kam es, daß sie erschrocken aufsuhren, als der Zug im Bahnhos einlief. Brecht eilte aus dem Coupe und hob Christa Wald ohne lange Umschweife heraus. Olga Wald sprang mit lautem, ungeniertem Lachen hinterher. Dann faßte sie die . Schwester rechts unter, während Doktor Brecht sie auf der anderen Seite führte. Mühsam erreichten sie so das Aut», ' Ms der Wagen dann in der Dorotheenstraße vor dem elterlichen Hause der beiden jungen Mädchen hielt, wollte »Doktor Brecht ihnen auch weiter behilflich sein. Nun aber nahmen sie seine Hilfe nicht mehr an, und selbst Lie kecke Olga war kleinlauter geworden, und schielte unsicher am Hause empor. Matthias Brecht hatte sich zum Abschied tief über Christa Walds kleine unbehandschuhte Hand gebeugt und einen Kuß darauf gedrückt. Sie entzog sie ihm verlegen, und stammelte einige Worte des Dankes. »Darf ich mich an einem der nächsten Tage nach Ihrem Befinden erkundigen?" fragte er, ihr nochmals die Hand drückend. »Nein, nein, der Vater würde sehr böse werden", wehrte das junge Mädchen entsetzt ab. „So sollen wir uns also nie Wiedersehen, Fräulein Christa?" War es der seltsame Tonfall, in dem diese Frage aus gesprochen wurde? Christa Wald erbleichte jäh, als verstände sie jetzt erst, Laß sie diesen Mann nun nie wieder begegnen sollte. Zu gleich jagte eine Blutwelle in ihr Gesicht. Sie hatte er kannt, daß ihr dieser Mann, den sie heute abend zum ersten Male gesehen hatte, nicht gleichgültig war, daß er einen tiefen Eindruck auf sie gemacht hatte. Olga Wald, die bereits im Haustor verschwunden war, rief gerade zurück: „So komm doch, Christa, wo steckst du denn noch?" „Sie antworteten mir nicht aus meine Frage?" drängte Doktor Brecht. „Ich darf mich mit keinem Herrn treffen, mein Vater ist sehr streng", antwortete Christa Wald endlich zögernd; aber aus ihren Worten sprach trauriges Entsagen, und sie wandte dabei das Gesicht scheu zur Seite. Da leuchtete es in Matthias Brechts Augen auf, und nochmals küßte er Christas Hand. „Aus Wiedersehen, liebes Fräulein Christa", flüsterte er ihr zu; dann sprang er ins Auto und fuhr davon. Christa Wald sah ihm mit großen, leuchtenden Augen nach. „Auf Wiedersehen", flüsterte sie leise vor sich hin. Dann folgte sie der vorangeeUten Schwester ins Haus. Der Vater murrte, als sie so spät die kleine Wohnung im vierten Stock betraten. Christa verzichtete heute aus das Abendbrot und legte sich sofort zur Ruhe. Nr Fuß schmerzte sie sehr, doch bald taten die kühlen Umschläge Wunder und brachten an genehme Linderung. Sie war sroh, daß sie am kommenden Tage erst mittags Dienst hatte. Bis dahin würden die Schmerzen wohl völlig vorüber sein. Christa teilte die schmale Schlafkammer mit ihrer Schwester, die sie den ganzen Abend über noch mit dem schönen Verehrer aufzog. Christa schwieg zu allem. Ihr Herz schlug seltsam schwer und bang. Sie lag lange wach und träumte von ihm, den sie so leicht nicht vergessen würde. Ob sie ihn wiedersah? Sie fragte sich dies immer und immer wieder in sehnsüchtigem Hoffen, und mit diesen G?danken schljef sie endlich ein. Am nächsten Tage war Christa Walds Fuß wieder gänzlich in Ordnung. Sie tat, wie sonst, im Amt still und gewissenhaft ihren schweren Dienst; aber wer sie schärfer beobachtete, hätte in ihren Augen ein eigentümliches Leuchten bemerken können. »Matthias Brecht, Matthias Brecht", klang es in ihr. Sie schalt sich eine Törin. Was ging sie, das arme Mädel, «in so vornehmer Herr an? Wie konnte sie sich nur ein bilden, daß sie ihm je wieder begegnen würde. Gewiß hatte er inzwischen die kleine Episode, die sie noch ganz erfüllte, längst wieder vergessen. * * * Drei Tage waren vergangen. Der Sturm in Christa Walds Innerem hatte sich all mählich gelegt. > Heute war ihr Dienst um sechs Uhr zu Ende, und sie nahm sich vor, noch ein wenig durch die Stadt zu bummeln. Als sie aus der. großen Toreinfahrt des Postgebäudes trat, stand plötzlich, wie aus der Erde gewachsen, ein ele ganter Herr vor ihr, der artig seinen Hut lüftete und ihr dann lächelnd die Hand entgegenstreckte. Christa Wald legte, wie im Traum, in fassungslosem, heißem, freudigem Erschrecken die ihre hinein, und stam melte einen leisen Gruß. Doktor Brecht lachte ihr glückstrahlend entgegen. „Ich freue mich, daß der kleine Unfall von neulich gut abgelausen ist", sagte er dann heiter. „Ein Zufall führte mich heute an der Dorotheenstraße vorüber, und das Schicksal ließ mich Ihre Schwester Olga begegnen, die mir verriet, wann Sie heute im Amt frei sein würden. Ich hoffe, daß Sie mir nicht böse sind, und daß Sie sich auch ein wenig über unser Wiedersehen freuen, liebes Fräulein Christa." Christa vermochte in ihrer Verwirrung noch immer kein Wort zu sprechen. „Wohin wollten Sie jetzt gehen? Ich glaube doch, daß Sie bei diesem schönen Abend nicht sofort heimkehren." „Allerdings nicht, ich hatte jedoch kein Ziel und wäre nur noch ein wenig durch die Stadt gebummelt", ant wortete Christa Wald endlich zaghaft. „Das freut mich, Fräulein Christa! Wenn Sie also nichts dagegen haben, so machen wir den kleinen Bummel gemeinsam und beschließen dieses Wiedersehen in einer Konditorei. Sind Sie einverstanden?" Christa Wald nickte, errötend. So schlenderten die beiden bald durch das Straßen gewühl der Stadt. Allmählich wich die Scheu Christas, und bald plauderte sie lustig darauflos. Den kleinen Strauß Veilchen, den ihr Doktor Brecht dann zum Abschied schenkte, verbarg sie schüchtern in ihrem Kleid; niemand zu Hause durfte davon erfahren. Tagtäglich holte nun Matthias Brecht Christa Wald vom Amt ab, und hatte er wirklich einmal eine unver mutete Abhaltung, so schickte er ihr ein kleines Briefchen. Allmählich aber erwachte in Christas Herz eine tiefe, reine Liebe zu ihm, die sie jedoch ängstlich in ihrem Innern zu verschließen suchte. * * * Es war am ersten Ostertage. Matthias Brecht hatte Christa bestürmt, sich für diesen Tag frei zu machen, um ihn irgendwo im Freien gemein sam zu verbringen. Christa wäre so gern mit dem heimlich geliebten Manne zusammengewesen; aber sie konnte ihm leine feste Zusage geben, da sie nicht wußte, wie sie von daheim fortkommen sollte. Aber das Glück war ihr hold. Olga, die sonst stets mit ihr gemeinsam einen Ausflug unternahm, hatte am Morgen heftige Zahnschmerzen und konnte nicht ausgehen, und der Vater machte mit seinen Skatbrüdern einen Ausflug.