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Turm das berühmte Wappen, links die Mutter Gottes mit dem Jesuskinde, rechts die heilige Barbara, inmitten das wunderhübsche Stadtwappen. Neben dem Turm besitzt die Annenkapelle ein seltenes Schmuckstück mit der im Mittel- alter so beliebten Darstellung der „heiligen Anna selbdritt", einer lieblichen Darstellung der Mutter Anna, die links den Jesusknaben und rechts die heilige Maria in Armen hält. Josef mit gewaltiger Axt steht auf einem anderen Konsol und ruht auf den Schultern des Baumeisters. Beide Plastiken sind überdacht von gotischen Baldachinen. An die alte Befestigungsanlage erinnert noch der „Kaisertrutz". Der verhältnismäßig niedrige Turm mißt 19 Meter im Durchmesser und erhielt seinen Namen durch die Schweden, die hier besonders den Truppen des Kaisers hef tigen Widerstand entgegenbrachten. Das Rathaus ist längst zu klein geworden, aber es ver bindet glücklich miteinander zwei verschiedene Bauperioden. Ein richtiger Kunstwinkel ist die Rathaustreppe. Eine fein geschwungene Freitreppe führt zu einem feinen Portal, vorüber an der freistehenden Figur der Justitia, die aus alten Zeiten her noch immer die Wage der Gerechtigkeit Hält. Links neben der Tür lehnt sich an die Steinbrüstung ein kanzelähnlicher Aufbau und rechts vor der Tür ist in die Mauer das steinerne Wappen der Stadt eingelassen. Die saubere Arbeit will kaum erraten lassen, daß schon Jahr hunderte über die Erstellung vergangen sind. Das Rathaus selbst hat viel Ähnlichkeit mit dem der Stadt Löbau, wenn freilich auch die Umgebung ganz anders ist. Dankbar be grüßen wir es, daß die Stadtväter sich bewußt blieben des köstlichen Erbes. Wieviele alte Häuser müßte man eingehend schildern mit ihren großartigen Türbögen, ihren herrlichen Fenster stöcken, den einzigschönen Füllungen zwischen den Stock werken. Eine ganze Kunstgeschichte müßte man schreiben, zumal auch die Höse und Brunnen noch mancherlei zu sagen haben, die alten Stadttore und Türme so reich än Geschichte sind. Vergessen darf man aber nicht die prächtigen Kirchen. An erster Stelle steht die Peter- und Paulskirche, der „Dom" von Görlitz. Sie ist die älteste Kirche der Stadt. Aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts stammt sie. Kunstkenner stel len sie in die erste Reihe der kirchlichen Bauten Ostdeutsch lands. Berühmt ist das Hauptportal, fünffach abgestuft. Jede Säule ist anders, jedes Kapitäl. Der breite Unterbau trägt zwei schlanke gotische Türme. Sie erscheinen viel zu klein und zart in Hinsicht auf den gewaltigen Bau. Aber der Baumeister wollte vielleicht gerade dadurch das Sehnen und Streben in die Überwelt zum Ausdruck bringen. Das ist ihm wundervoll gelungen. Überrascht ist man von dem Innern der Kirche, von dem gewaltigen Raum, den diese fünfschiffige Kirche umschließt. Von außen her vermutet man nicht eine solche Fülle. Dieser Raumstimmung vermag sich kein Besucher zu entziehen. Altar und Kanzel, Leuchter und Emporen zaubern die ganze Pracht barocker Kunst in uns wach. An der Außenseite der Kirche erinnert eine Tafel an die Einweihung der Kirche durch einen Bautzner Dom dekan. An der Frauenkirche fesselt uns das breite Doppel portal mit einer sinnigen Darstellung der Verkündigung Mariens inmitten gotischer Säulen und Bögen. Einzig artig ist das Heilige Grab, das seine Entstehung dem Bürgermeister Emerich verdankt, der mehrere Male im hei ligen Lande weilte und zur Erinnerung an seine Reise das Grab aufrichten ließ in der Gestalt, wie er die heilige Stätte schaute. In deutschen Landen eine einzigartige Seltenheit. Görlitz besitzt aber auch eine stattliche Anzahl neuerer Kirchenbauten, die sich sehen lassen können. Unmittelbar hinter dem Bahnhofe erhebt sich die gewaltige katholische Jakobuskirche, ein mächtiger Rotziegelbau im gotischen Baustil, mit dem man sich noch nicht so recht abfinden kann, der aber gewiß packend wirkt. An der gewaltigen Luther kirche fesselt Rietfchels Abbild des Wormser Denkmals. An das moderne Görlitz erinnern so manche Bauten, von denen ich besonders die Stadthalle hervorhebe, ein rie siger Bau, der der Abhaltung großer Veranstaltungen dient, und in dem insbesondere die berühmten Schlesischen Musikfeste abgehalten werden. Imponierend ist die Ober lausitzer Gedenkhalle, die wertvolle Skulpturen, Plastiken, Gemälde, Sammlungen aus der Oberlausitz und solche der Vorgeschichte enthält. Mit Görlitz eng verwachsen ist die Landeskrone. Dieser herrliche Basaltberg liegt im Südwesten der Stadt. Die Görlitzer haben ihm ihre ganze Liebe geschenkt. Eine Stra ßenbahn führt bis an den Fuß des Gipfels. Der Berg trägt eine Baude im Burgstile und einen massigen Turm zu Ehren Bismarcks. Lohnend ist die Aussicht vom Berge ins Gebirge Rübezahls und in die Berge um Bautzen und Zittau. Die Lanöeskrone ist das Wahrzeichen der Stadt geworden, sie ist mit der Stadt zu einer gedanklichen Ein heit verwachsen. Nie ist mau dort allein. Der Berg wird geschmückt durch dichten Buchenwald, der Spaziergängern reichlich Gelegenheit für Ausflüge gibt. Sie werden reich lich genutzt. Wie Nürnberg heute noch in Hans Sachs einen großen Sohn der Stadt verehrt, so hält Görlitz durch ein ausdrucks volles Denkmal die Erinnerung wach an seinen „Schuster", an den in der Geschichte der Philosophie ehrenvoll genann ten Jakob Böhme. So steht Görlitz vor uns als eine Stadt, in der es sich gut sein läßt, eine Stadt, in der sich moderne und alte Baukunst zu einer sinnvollen Einheit vermählen, vor allem aber als umfassendste Hüterin in der Renaissance. So lebt es in der Erinnerung weiter, so wollen wir es erhalten missen neben Nürnberg, neben Rothenburg, neben der Nachbarstadt Bautzen. Ich grüße dich, du „Domstadt" an der Neißel Fritz Günther, Leutersdorf. Klugen - Richters - Gustav Von Hanns Trobisch Da saß in der Schenke ja wieöermal die richtige Klinke zusammen. Die Stammtischbrüder hatten sich wie immer einmütig und einträchtiglich zusammengefunden. Alles waren schon alte Krauter, keiner unter sechzig Jahren. Am Ofen saß der Klugen-Richter-Gustav. Das heißt: Er schrieb sich eigentlich Gustav Semmer, aber sein Vater hatte eine Richter geheiratet und mit dem Mädel die Nichtersche Wirt schaft gekriegt. Der Richter aber hatte die beiden, nämlich Mädel und Wirtschaft, von einem Schwiegervater, dem Gartennahrungsbesitzer und Leineweber Kluge bekommen. Daher durfte sich nun der Urenkel des Kluge Klugen-Rich- ters-Gustav nennen lassen. Dann hockte weiter vor seinem Topf Bier der Frack-Richter. Der war vor vielen Jahren einmal im Frack auf dem Stiftungsfest des Gesangvereins erschienen. Dieses ungewöhnlich kühne Unternehmen hatte derartiges Aufsehen erregt, daß er fortan kurz „Frack" oder „Frack-Richter" hieß. Neben ihm saß gleich noch ein Rich ter, der Millionen-Richter. Wenn er auch nicht gerade an Rothschild herankonnte, so hatte er doch durch Sparsamkeit und Fleiß etliche Tausende zusammengekratzt und seine Wirtschaft ums Dreifache vergrößert. Zur Runde gehörte noch ein Richter. Ich habe es erst jedoch nach einem Jahr erfahren, daß er Richter heißt. Alle, und er selbst auch, nennen ihn den Berliner. Und sein Sohn ist eben „der kleine Berliner", trotzdem er heute das ganze stattliche Gut leitet. Mudelmüller kaute auch an seinem Sechspfennig stummel. Hvppen-Richter, der eigentlich Mirisch heißt und dem es so wie Richter-Gustav geht, jammert über Rücken schmerzen, weil er das Reißen hat, was ihm keiner glaubt. Seine Anna hat vielleicht den Präsenttermarsch darauf ge-