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4 GbevlarMer He!matzsitung Nr 1 In Sie germanische Urzeit weisen uns die Gräberfunde der Spinnwirtel, die von früheren unkundigen Forschern als Kinberspielzeug angesprochen wurden. Kluger Forscher geist hat ihre Bedeutung aber schnell in ihrer praktischen Verwertung erkannt. Unsere germanischen Vorfahren kann ten den Flachs mit seiner fadenspendenden Faser schon vor Jahrtausenden. Uralt sind deshalb auch die Bezeichnungen: „Zwillich und Drillich". Urgermanische Worte, welche auf die weitere Fadenverwertung in ihrer Zwei- oder Drei- teiligkeit htnwiesen. Erzählt nicht auch eines der ältesten germanischen Märchen, das vom Dornröschen, vom Spinn rocken, an welchem ein altes Mütterchen in einem halb vergessenen staubigen Turmgemach saß? Die Historie aber berichtet uns, daß die germanischen Priesterinnen wallende Gewänder von schtmmernd-schneeiger Weiße trugen. Die alten Germanen kannten demnach schon die Kunst des Spinnens neben dem der Flachsverwertung. Von Taschen tüchern und ihrer Benutzung aber erzählt uns aus jener weit zurückliegenden Zeit kein Gräberfund eine historische Nachricht. Blicken wir einmal hinein in die gleichaltrigen Alter tumsfunde der Ägypter! Ihre Mumien waren in kleine Tücher gehüllt. Der Tutachomofund des letzten Jahres hat gerade in dieser Hinsicht wertvolle Aufschlüsse geliefert. Außerdem erzählt auch die ägyptische Geschichte, daß die ägyptischen Priesterinnen schimmernde langwallende Ge wänder trugen. Wars Leinewand oder Seide, aus denen sie gefertigt waren? Vielleicht aus beiden, je nach dem Stande oder Grade, die sie einnahmen. Die alten Phönizier färbten ihre Webstosfe mit dem Blutsafte der Purpurschnecke. Sie kleideten sich, wenigstens die vornehmsten Kreise unter ihnen, in Purpur und köst liche Leinewand ebenso, wie die neben ihnen wohnenden stammverwandten Juden. Purpurdurchwirkt waren auch die Amtskleider der römischen Priesterinnen. Goldglänzend war — nach den geschichtlichen Berichten aus alter Zeit — ihr Saum. Die Grabfunde im lavaverschütteten Pompeji aber hat die histo rischen Berichte durch einschlägige Funde erhärtet. Fand man doch — wahrscheinlich in aller Eile zusammengepackt — in einer ausgegrabenen pompejanischen Villa in einem Leinentuch verknüpft, 4 goldene Reifen, 14 metallene Arm bänder, 136 Silbermünzen, neben einem goldenen Petschaft von feinster Ziselierarbeit. Auch den Römern war demnach, wie allen Völkern des Altertums, die Flachsverwertung und Veredelung in irgendwelcher — mehr oder minder vollendeten Form — bekannt. Von Taschentüchern aber ist nirgends die Rede, fehlt jeglicher Hinweis. Auch die frühmittelalterliche Geschichte läßt uns über den Gebrauch des Taschentuches und die Entstehung der Taschentuchindustrie in irgendwelcher Form vollständig im Unklaren. Karls des Großen Töchter sollen am Spinn rocken gesessen und lange Tafeltücher gewebt haben. Das 13. Jahrhundert kennt bereits leinene Gedecke von tadel loser Arbeit und Ausführung. Der Urahne des Augsburger Fucher war ein armer Leineweber. Er hat die Handels konjunktur seiner Zeit ausgenutzt, daß einer seiner Nach kommen Kaiser Karl dem Fünften hochwertige Schuld scheine als Gastgeschenk in den brennenden Kamin werfen und restlos verbrennen ließ. Ein königlicher Kaufmann neben einem kaiserlichen Schuldner! Das Taschentuch stammt aus dem sonnigen Italien. Am Anfänge des 16. Jahrhunderts kamen die ersten „fazo- letto" nach Deutschland. Schwerbepackte Saumtiere mögen sie auf den Alpenpässen über den Brenner oder St. Gott hard nach den reichen Handelsstädten Süddeutschlands ge bracht haben. Hier nahm sich die Mode der damaligen Zeit der zierlichen handlichen Tücher, mit welchen man sich die Nase schneuzte oder den Schweiß von der Stirn rieb, ihrer an. So lesen wir z. B. aus einem Anstandskatechtsmus aus dem Jahre 1620: „Jsts auch höflich, mit dem Parett oder Rock sich die Nase zu schneuzen? Antwort: Nein, denn sol ches gehört sich zu tun mit dem Facittelein,' so aber feine Leute vorhanden, soll sich der Knabe umkehren und sauber machen." Im Trachtenbuche des Jost Amman tragen „die Frauen immer" recht stolz und offensichtlich Taschentüch- lein zur Schau. Sie trugen sie nämlich in der Hand. Bald aber bemächtigte sich der Luxus dieser neuen Ein richtung. Kostbare Spitzen umrahmten die zierlichen Taschentüchlein mittelalterlicher Zeit. Feine Stickereien in Form von Familienwappen und Liebessprüchlein zierten ihre weißschimmernde Fläche. Initialen in Form von Gir landen verschönten sie. Wie viel Fleiß und Sorgfalt mag gerade zu dieser längst entschwundenen und verklungenen Zeit in die Taschentüchlein reicher Damen hineingestickt und hineingedacht worden sein. Zeichner und Stickerinnen wett eiferten, um das Taschentuch einer schönen reichen Frau zu einem vollendeten Kunstwerk zu machen. Oft stimmten die Strumpfbänder schöner Edelfrauen mit der Farbe ihres Taschentüchleins überein. Selbst die Laune ihrer Trägerin sprach sich in der Farbe ihres Taschentüchleins aus. Blau wie der Frühlingshimmel war es, wenn sie an der Seite „ihres Buhlen" hinaus zum Tanz vor die alte Torlinde schritt. Gelb, wie der blasse Neid leuchtete es hervor, wenn sich der Geliebte als untreu erwies. Bei schlechter Laune steckte sie ein malvenfarbiges Taschentüchlein in ihre sam tene Gretchentasche. In die städtischen Kleiderordnungen jener Zeit müssen wir Einsicht nehmen, um Näheres über die Taschentücher jener Zeit zu erfahren. So seht z. B. die Magdeburger Kleiberordnung vom Jahre 1383 den Preis der Taschen tücher für bestimmte Gesellschaftsklassen ganz genau fest und schränkt überdies die Verzierungen derselben auf ein bestimmtes Mindestmaß ein. „Des Bräutigams und ande rer Mannespersonen von adligem Geschlecht „Schnüffel tücher" sollen nicht über anderthalb Taler wert sein,' die der gemeinen Bürger einen halben Taler und die der Dienstboten einen halben Gulden, bei Strafe einer Mark. Die vielen Geschlinge aus Silber und Gold sollen an den Schnüffeltüchern verboten sein, bei Strafe von drei Mark." Die Dresdener Kleiderordnung vom Jahre 1593 ver bietet es sogar den unteren Ständen, bei Strafe Taschen tücher als Hochzeitsgeschenk an die Brautleute zu verwen den. Man trug nämlich damals bereits Tücher mit kost baren Spitzenbesätzen, mit goldenen und silbernen Sticke reien, mit durchbrochenen Hohlnäthen, mit Perlenverzie rungen und Quästchen an den Ecken. Die Damen der höch sten Stände trugen buntfarbige Taschentüchlein, die mit einer weißen Kante eingefaßt waren. Die Gegenwart hat in dieser Hinsicht den Gebrauch und die Mode der damali gen Zeit auf den Kopf gestellt. Liebt und verwendet man doch noch heut weiße Taschentücher mit farbigen Kanten und Ecken. Ein großer Luxus wurde „damals" wie auch heut mit der Parfümierung der Taschentücher getrieben. Ein Recept von 1575 empfiehlt ein wohlriechendes Wasser, um „Schnaubtücher darin zu baden oder zu beizen, welche das Angesicht schön weiß und wohlgefärbt machen, so daß man es damit abwischt und abstreicht, und je besser man das Gesicht damit abreibet, desto schöner wird es. Diese Tücher währen sechs Monate lang." Was würden unsere Heutigen Hausfrauen wohl zu einer solch langen Benutzung eines einzigen Taschentuches sagen? Die Taschentücher wurden siebenmal in das wohlriechende Wasser getaucht und so du solches zum 7. Male getan, sind sie recht zubereitet, köst lich und fürtrefflich für Königinnen und andere köstliche Weiber. Man nannte solche Taschentücher vielversprechend: „Mouenoir der Venus sSchnufftuch der Venus)". In mittelalterlicher Zeit waren die Taschentücher oval, kreisrund oder rechteckig, seltener quadratisch. Die Einfüh rung des quadratischen Taschentuches ist die Folge eines