Volltext Seite (XML)
33 welcher Pfeil mich getroffen hat; und es ist Zeit, daß du jede List, jede Zauberkunst, jede Schmeichelei, die dich dein Alter lehrt, anwen dest, wenn du willst, daß deine Tochter lebe; denn ich kann nicht leben, wenn sich der Jüngling mir nicht ganz ergibt. Ich kenne ihn wohl, versetzte die Alte. Er war breit von Brust und Schultern, trug den Kopf frei und gerade aufgerichtet und ragte mit ihm über alle die andern hervor. Die Augen waren ihm voll Feuer, zugleich lieblich und fürchterlich anzusehen, die Haare rei zend in Locken gelegt, und die Wangen nur erst mit einem zarten blonden Flaum bekränzt, derselbe, dem ein fremdes Mädchen, das nicht häßlich, aber ziemlich unverschämt war, sich plötzlich um den Hals warf und nicht von ihm wich. Meinst du nicht den, Gebieterin? Ja den selben, meine Liebe, versetzte Arsace; und du thnst wohl, daß du mich an die nichtswürdige Kreatur erinnerst, die, ohne Zweifel einem Ge- fängniß entlaufen, sich auf ihr Bischen Schönheit, das sehr gemein und noch dazu erkünstelt ist, so viel einbildet und doch mehr Glück hat, als ich, da ihr ein solcher Liebhaber zu Theil geworden ist. Hier lächelte die Alte ein wenig und sagte: Sei gutes Muthes, meine Für stin ; heute noch hat sie dem Fremdlinge schön geschienen; aber wenn ich es dahin bringe, daß er dich und deine Schönheit kennen lernt, so wird er gern, wie unser Sprichwort sagt, Gold gegen Erz eintauschen und die muthwillige Kreatur von sich stoßen, die auf Nichts so groß thut. Wenn du es dahin bringst, liebste Cybele, war Arsace's Ant wort, so wirst du zugleich mir zwei Krankheiten heilen, Eifersucht und Liebe, von der einen mich befreien und die andere befriedigen. Was ich zu thun vermag, soll geschehen, versetzte die Alte. Aber du mußt wieder zu dir selbst kommen, nunmehr ruhig sein und den Muth nicht vor der Zeit fahren lassen, sondern das Beste hoffen. Nach diesen Worten nahm sie das Licht, ging aus dem Zimmer und verschloß die Thür. 11. Sobald Cybele den ersten Schimmer des Tages erblickte, nahm sie einen der königlichen Verschnittenen und noch ein Mädchen zu sich, denen sie befahl, Opferkuchen und was sonst zu Opfern gebraucht wird, ihr nachzutragen, und eilte mit ihnen in den Tempel der Isis. Da sie vor das Thor kam, sagte sie, daß sie der Göttin ein Opfer für Heliodor. II. 3