Volltext Seite (XML)
32 worden. Sie warf sich die ganze Nacht hindurch von einer Seite des Bettes zur andern und seufzte beständig und aus dem Innersten. Bald hob sie sich empor, bald sank sie halb entblößt wieder hin, bald stürzte sie sich plötzlich in die Betten. Jetzt rief sie ein Mädchen, ohne zu wissen, wozu, und schickte sie wieder von sich, ohne ihr etwas be fohlen zu haben. Kurz, ihre Liebe brachte sie unvermerkt bis zur Ra serei, da endlich Cybele, ein altes Weib, eine von ihren Kammerfrauen und von den gewöhnlichen Dienerinnen ihrer Wollüste, der bei dem Lichte, das in Arsace's Zimmer angezündct stand und das Feuer ihrer Liebe gleichsam zu nähren schien, keine von ihren Bewegungen ent gangen war, zu ihr hinein lief und ihr sagte: Was ist dies, meine Gebieterin? Welche neue ungewöhnliche Leidenschaft, wessen Anblick beunruhigt so sehr mein Kind, das ich gesäugt habe? Wer ist der Stolze, der Unsinnige, den eine Schönheit, wie die deine, nicht besiegt, der deine verliebte Vertraulichkeit nicht für seine Glückseligkeit hält, der deinen Wink und deinen Willen nicht achtet? Sage mir nur, wer es ist, mein schönstes Kind, denn keiner ist so diamentensest, daß ihn meine Künste nicht erweichen sollten. Rede nur und du sollst bald haben, was du wünschest. Mich dünkt, ich habe dir schon thatsächliche Proben gegeben. 10. Dieses und ähnliche Dinge sagte die Alte, und versuchte jede Schmeichelei, Arsace zur Entdeckung ihrer Liebe zu bewegen, die noch einige Zeit schwieg und endlich ausbrach: Ich bin getroffen, meine Mutter, wie noch niemals zuvor, und ich weiß nicht, ob du mir jetzt wirst helfen können, so sehr du mir auch sonst in ähnlichen Fällen ge dient hast. Der Krieg, den wir heute bald vor der Mauer gehabt hätten und der so plötzlich aufgehört hat, ist zwar Andern ohne Blut vergießen vorübergegangen und hat ihnen den Frieden hinterlaffeu, mir aber ist er der Anfang eines wahrhafteren Krieges geworden und hat mich nicht blos in einem Glieds des Leibes, sondern in der Seele selbst tief verwundet, da er mir den fremden Jüngling, der mit dem Thyamis um die Mauer umherlief, zu meinem Unglück zeigte. Du weißt wohl, Mütterchen, wen ich meine; denn seine Schönheit hat ihn nicht so wenig von andern unterschieden, daß sie selbst einem rauhen Herzen, ohne Gefühl des Schönen, geschweige denn dir und deiner Erfahrung hätte verborgen bleiben können. Also weißt du, Liebste,