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44 bar zu erkennen, sondern ließ sie ihn mehr durch Umschweife wie ein Räthsel errathen, indem sie beständig die Gewogenheit ihrer Gebieterin gegen ihn pries und ihm ihre Schönheiten, nicht nur die offenbaren, sondern auch diejenigen, welche die Kleidung verbarg, bei verschiedenen Gelegenheiten, die sie natürlich herbeizuführen verstand, vor Augen legte. Sie erhob ihm ihren Charakter, wie leutselig, wie liebens würdig sie wäre, wie gern sie artige und muthige Jünglinge sähe. Kurz, in allem, was sie sagte, suchte sie den Jüngling zu prüfen, ob er selbst den Freuden der Liebe ergeben sei. Willig stimmte er in alles Lob, welches sie Arsacens Güte für ihn, ihrer Neigung zu seinen Landsleuten zollte, er bezeigte sich dafür dankbar; aber Cpbele's ver deckte Lockungen zu schändlichen Lüsten schien er anfangs nicht zu ver stehen, er überging sie mit Fleiß. Mit der größten Beängstigung merkte die Alte und seufzte in ihrem Herzen darüber, daß er ihre Lockungen wohl verstand und ihnen immer auswich und sie von sich entfernte; da sie von der andern Seite von Arsace ermüdet wurde, die sich beständig über die unaussprechliche Qual ihrer Leidenschaft beschwerte und versicherte, daß sie nicht länger widerstehen könnte und von dem Versprechen, das ihr Cybele gegeben, durchaus die Erfüllung sehn wollte, deren Verzögerung die Alte bisher mit manchem erdichteten Vorwände, bald mit der Blödigkeit des Jüng lings, bald mit einem Zufalle, der dazwischen gekommen sein sollte, zu beschönigen gesucht hatte. 20. Da ans diese Weise schon der fünfte und der sechste Tag vergangen war und Arsace mehr als einmal Charikleia vor sich gerufen und ihr des Theagenes wegen mit besonderer Güte begegnet hatte, so zwang sie endlich Cybele, mit dem Jüngling deutlich zu sprechen. Diese ließ ihn daher jetzt Arsace's Liebe ganz unverhllllt sehn und verhieß ihm jede Wonne, wenn er sie erwidern würde, in dem sie noch hinzufügte: Welche Blödigkeit oder Unempfindlichkeit ist dies? Ein so schöner und blühender Jüngling, ein Weib von gleicher Schönheit und Jugend, die vor Liebe zu ihm vergeht, von sich zu stoßen und sie nicht als ein seltnes Glück, als einen unerwarteten Ge winn zu empfangen? Besonders, da nicht die geringste Gefahr dabei und der Gemahl abwesend ist, da ich die Pflegemutter der Schönen, der sie alle Geheimnisse mittheilt, die einzige Vertraute ihrer Liebe bin und du nichts um dich hast, was dich hindern könnte, keine Braut,