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Flncht der Lokomotiven. Eine sächsische Erinnerung an 1866. Von O. Th. Stein. Einige Greise Westsachsens, insbesondere des Vogtlandes, haben diese Flucht noch erlebt. Der Welt krieg mag manch großartigeres Geschehen gebracht haben, in der Geschichte des Eisenbahnwesens -leibt das Ereignis der Ueberschrift noch lange denkwürdig. 1806 operierten bekanntlich die preußischen Trup pen zunächst nur auf dem rechten Elbufer. Bis zum 15. Juni war sogar der staatliche- und Privatverkehr der sächsischen Eisenbahnen noch in vollem Gange. An diesem Tage aber steckten die Sachsen selbst die größ tenteils hölzerne Eisenbahllbrücke bei Riesa in Brand. Sie bildete damals eine der Hauptvevbiudungen zwi schen Sachsen rechts und links der Elbe. Der Entschluß zur Zerstörung der Brücke kam gerade zur rechten Zeit. Noch am selben Abend besetz ten preußische Husaren den Bahnhof Riesa. Wollten das rollende MÄerial beschlagnahmen. Das war aber bereits nach Chemnitz in Sicherheit gebracht. Beim Eintreffen der Preußen stob die letzte Nachhut maschine „Herkules" vom andern Elbufer höhnisch pfeifend davon. Zwei Tage später waren die Preußen schon in Waldheim. Eben fuhr -ort ein Personenzug von Chem nitz her ein, gab sofort Konterdampf und raste zurück. Und nun begann jene „Flucht der Lokomotiven". Am 17. und 18. Juni brachte man in endlosen Zügen, jeder mit 3—4 Maschinen bespannt, das vorhandene Mate rial nach Glauchan, unterwegs von den Seitenstrecken alles Erdenkliche zusammenlesenb. Am 18. Juni abends 7 Uhr kam eben der letzte Zug von Altenburg—Gößnitz her in Chemnitz an, als eben Sie preußische Vorhut einrückte. Der Lokomotiv führer fuhr gleich eilig weiter nach Glauchau zu und konnte seinen Zug noch retten. Seine Ankunft in Glauchau, das völlig mit Waggons nnd Lokomotiven aller Arten verstopft war, brachte Bewegung in die auf gestauten Massen. Alles raste los auf Zwickau zu. Aber auch dort konnte für Sachsen auf Schienen kein Bleiben mehr sein. Die Preußen seien bereits in Leipzig, hieß es. Wenn sie von -ort her die sogenannte „Werdauer Kurve" zerstörten, das Gleisdreieck, was noch heute besteht, war Sachsens bewegliches Eisen bahn-Eigentum von seinen einzig möglichen Flucht wegen über Herlasgrün—Eger und Plauen—Hof abge schnitten. Und die Linie Herlasgrün—Eger war über dies nur eingleisig! Noch in der Nacht vom 18. zum 19. Juni begann deshalb die große Gesamtflucht von Zwickau aus, wo hin inzwischen alles rollende Material zusammenge bracht war. Schon kam auch die Sdachricht, daß sich ein Zug mit preußischem Militär vom bayrischen Bahn hof in Leipzig aufgemacht habe, um die gefürchtete Durchstechung bei Werdau zu vollziehen. Dem hieß es zuvorkommen. Jeder von einer ganzen Anzahl gro ßer Schleppmaschinen — groß freilich nur im dama ligen Sinne — gezogen, setzten sich abermals unend lich lange Wagenreihen, mittendrin zahlreiche Loko motiven ohne Dampf, nach Werdau zu in Bervegung. voran, von neunzehn Lokomotiven gezogen, ein Zug von mehreren Hundert Wagen aller Art. Mit voller Maschinenkraft ging es los. Inzwi schen war in Altenburg, da er nicht mehr hatte benach richtigt werden können, der letzte Postzug Hof—Leip zig eingelaufen. Im selben Moment, als von Leip zig her der Preußenzug ankam. Bevor dessen Solda ten noch aus ihrem Zuge hatten klettern können, hatte der Sachsenzug bereits rückwärts angetrieben, raste nach Werdau und alarmierte -ort. Die von Zwickau gekommenen Massen standen schon an der gefährdeten Kurve zur abermalige» Ab fahrt bereit. Ein schrilles, langandauerndcs Pfeifen, und alles sauste los. Zur rechten Zeit, denn als der letzte Wagenzug die Kurve passiert hatte und auf Reichenbach zu verschwunden war, dampfte die dem Preußenzug voraufeilende Lokomotive in Werdau ein. Auf der Strecke nach Herlasgrün brauste indessen die ungeheure Masse dahin. Die Göltzschtalbrücke kommt in Sicht. Mit unaufhörlichem wilden Pfeifen, ohrenbetäubendem Rasseln und Donnern kommt die Wagenreihe heran. Ein Rauschen geht dabei durch die Luft, als stürze ein riesiger Wolkenbruch herab. Es ist nur der keuchende Atem des losgelassenen Dampfes der unter Bolldruck stehenden Lokomotiven. Die Be wohner der nahen und ferneren Ortschaften fahren in Todesschreck aus ihren Betten. Sie glauben an bas Nahen einer Naturkatastrophe. Auf beiden Gleisen zugleich donnert es unaufhörlich über die beiden Tal brücken der Göltzsch und der Elster bei Mylau und Jocketa. Niemand weiß in der Dunkelheit, was vor geht. Die lange Strecke Werdau—Herlasgrün — vier Meilen — ist lange vollständig mit Zügen bedeckt. Und immer neue Massen nahen heran. Zwei Perso nenzüge, die entgegenkommen, können zur Not noch bremsen und eröffnen nun die Flucht. Ein Wunder, daß bei diesem wilden Durcheinander von Personen-, Güter-, Kohlenwagen und Lokomotiven nicht das ent setzlichste Unglück geschieht. Zumal meilenweit schroffe Abhänge zu beiden Seiten drohen. In Reichenbach scheint alle Mühe doch verloren. Die vordersten Lokomotiven haben kein Wasser und am Bahnhof ist auch nicht genug. Man öffnet rasch die Wasserbehälter der Stadt und schafft das Wasser zum Bahnhof. Nach kurzem Aufenthalt kommt wieder Bewegung in die aufgcstauten Massen. Weiter in tollstem Tempo nach Herlasgrün! In Reichenbach bleiben Wachen zurück, die das Gleis zerstören. Dann in Herlasgrün abermalige Stockung: Was sermangel, die eingleisige Strecke nach Eger, Eingang einer telegraphischen Nachricht, daß die Bayern vor eilig bei Hof die Gleise aufgerisscn haben. Nach Plauen bereits abgcgangene Züge werden zurückbeordert. Dann kommt wieder Drahtmeldung: die Bayern flicken die Gleise schon! Also los! Ge teilt die Flncht! Nach Hof, nach Eger. Aber die Haupt masse 140 Lokomotiven und etliche Tausend Waggons, kommt schließlich doch in Eger an. Unterwegs waren auf Drahtnachricht Feuerweh ren, Turner und Bürgerschaft überall mit Spritzen nnd Eimern aufgestellt, damit die kurzatmigen Ma- schinchen von Anno dazumal nicht verdursteten. Am Mittag des 19. Juni ist die großartige wilde Jagd endlich zu Ende. Still wurde es in den Tälern des Vogtlan-es, ungewohnt still. Denn die Strecken lagen nun auf lange verödet. Als am 20. Juni die Preußen in Zwickau ein- trafen, nachdem sie vorher schon post festum die Werdauer Kurve durchstochen hatten, fanden sie die Bahnhöfe überall leer, bis auf einige Kohlenwagen der Schächte, die man in der Eile vergessen hatte. Erst nach dem Frieden kehrten die Lokomotiven mit ihrem „Anhang" wieder ins Land zurück. Waren, sind und werden hoffentlich von da ab iunner sein nur noch friedliche Vermittler eines stammesbrüderlichen Verkehrs, kein Streitobjekt, kein Kampfmittel mehr zwischen Deutschen. Druck nnd Verlag von Langer u. Winterlich,. Riesa. — Für -je Redaktion verantwortlich: Heinrich Ulilcmann, Riesa. AkStt« zur Aflege da Knmatüekr, da Keimatforschung und d« Keimatschnh«. i» t»angl»s« Folg« «l» Beilage zum Ut«sa«r Tageblatt unter Mteosickemg da« vereint HeNmatmuleum tu Was«. «r. 17 Mesa, 15. April 1S33 6. Jahrgang Der erste altsteinzeitliche Fun- im nordsächsischen Mbgebiet. Bon Alfred Mirtschin, Riesa. — Mit drei Abbildungen. Es ist das unbestrittene und anerkennenswerte Verdienst des Herrn Lehrers Knoll in Bahra, das Augenmerk auf eine Kiesgrube in unserer Riesaer Umgebung gelenkt zu haben, die gegen Ende des ver gangenen Jahres zwei Funde von großem heimat kundlichen und wissenschaftlichen Werte lieferte und höchstwahrscheinlich noch mehrere dergleichen abgeben wird. Herr Knoll, der sein uneigennütziges Interesse dem Riesaer Heimatmuseum gegenüber schon mehrfach bewiesen hat, überbrachte am 14. 6. 1932 dem Verfasser einen Tierschädel, der als ein Moschusochse aus der Eiszeit erkannt wurde und über den demnächst auch an dieser Stelle berichtet werden soll. Dieser Schädel war in einer zur Flur des Rittergutes Hirschstein ge hörigen Kiesgrube gefunden worden. Der Fund, der die Gelehrtenwelt aus dem Gebiete der Zoologie und Geologie auf den Plan rief, veranlaßte auch den säch sischen Landesgeologen, Herrn Dr. Grahmann-Leipzig, mit dem Verfasser am 23. November 1932 eine Besich- tigung der Kiesgrube vorzunehmen. Bei dieser Ge legenheit wollte es das Glück, daß der Verfasser einen weiteren Fund bergen konnte, der für die heimische und sächsische Vorgeschichte von größter Bedeutung ist. Es ist das erste altsteinzeitliche Feuersteingerät aus unserer nordsächsischen Elbheimat. Um das für den Leser Interessanteste vorwegzu nehmen. Das Gerät ist 100 000 Jahre alt. Zweifler werden sofort die berechtigte Frage stellen, woraus läßt sich das erkennen ? Ihnen sei zunächst zugegeben, baß die Zahl durchaus nicht als absolute Zahl, sondern nur als allgemeiner Anhalt aufzufassen ist, aus dem sich ablesen läßt, daß es sich um einen gewaltigen Zeit raum handelt, der seitdem verflossen ist. Das hohe Alter verraten erstens das Stück selbst, zweitens die geologische Schicht, in der es gelegen hat. Bleiben wir gleich bei der Geologie. Ta ist es von großem Wert, -aß beim Finden eine solche Autorität für sächsische Geologie, wie Herr Dr. Grahmann, zugegen war. Es entspricht seiner liebenswürdigen Art, daß er ausführ lichen Aufschluß über die geologischen Verhältnisse der Kiesgrube gab. Seinen Ausführungen sei darum an dieser Stelle gefolgt. Wir müssen das von ihm gezeich- nete Profil der Kicsgrubenwand im Auge behalten. Abb. 1. Die obersten Schichten <r bestehen aus durchschnittlich zwei Meter mächtigem Löß, der hier nahe der Norbgrenze seiner Verbreitung Beimengun gen von feinem Sande führt. Durch bodenbildende Vorgänge ist der Löß oberflächlich verändert worden. „Es lassen sich unterscheiden: 1. eine Zone a, in der durch die versickernden Wasser die Tonerde und Eisen verbindungen ausgelaugt sind, 2. eine Zone K, in der diese wieder ausgeschieden worden sind und die in folgedessen dunkel und kompakt ist, und 3. eine Zone <r von normaler Lößsarbe, die nicht nur den ursprüng lichen Kalkgehalt bewahrt hat, sondern die zudem noch von oben her stark durch Kalk infiltriert ist, so daß die ser leicht mit bloßem Auge in Form einer weißen Äde rung auf -en Bruchflächen zu sehen ist. Dieser Lötz wurde, wie der gesamte sächsische Löß, währen- -er letz ten Eiszeit gebildet" (R. Grahmann: Der Löß in Europa. Mitt. d. Ges. f. Erdkunde zu Leipzig 1930/31; Leipzig 1932). Der Löß liegt mit deutlicher Uneinig keit, die bisweilen durch eine Anreicherung größerer Gerölle besonders ausgeprägt ist, auf braunen, ziem lich standfesten Sanden und Kiesen, die teils ebene teils auch schwach schräge Schichtung zeigen. Diese Schotter führen neben vorwiegendem Elbmaterial auch sehr reichlich Geröll nordischer Herkunft, insbe sondere Feuersteine. Sie sind mit Sicherheit währen der vorletzten Vereisung l Saaleeiszeit) durch Schmelz wässer aufgeschüttet worden. Nur N Kilometer nnö. Abb. 1. Das Profil der Kiesgrube. lGez. v. Dr. Grahmann.)