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/ Nein. Feigheit würde ihm Inge nie verzeihen. Wenige Minuten später schoß sein Boot durch die i Wellen aus die Insel der Ostara zu. Erik war weit voraus: aber vergeblich suchte sein Auge nach dem Ü fremden Ruderer. Vielleicht hatte er sich auf die I andere Seite der Insel retten können. Immer heftiger bließ der Sturm. Erik mußte sehen, wie er sich jetzt s selbst in Sicherheit brachte. Mit kräftigen Ruder- ' schlagen trieb er das Boot vorwärts und suchte gleich- < falls auf die andere Seite der Insel zu gelangen, wo die Brandung weniger stark war. Weißer Gischt sprühte. Wie durchsichtiges grünes Glas standen die Wellenberge um ihn. Alle Kraft und Aufmerksamkeit mußte er aufwenden, um nicht gegen die Klippen ge schleudert zu werden. Noch einmal wandte er den Blick zurück, und jetzt sah er «in Boot auf den Wellen tanzen. Er erkannte Olaf: doch ehe er noch einen Ge danken fassen konnte, drang ein furchtbarer Schrei an sein Ohr. Eine Welle hatte Olafs leichte» Boot kentern lassen. In Angst und Todesnot kämpfte der Mann, der einst sein Freund gewesen, mit der tosenden Flut. Erik zögerte keinen Augenblick, ihm zu Hilfe zu kommen. Endlich gelang das gefährliche Wagnis, den Erschöpften ins Doot zu ziehen. Olaf lag ganz still; kein Wort kam von seinen weißen Lippen. Er hatte den Nebenbuhler retten sollen, und nun rettete dieser ihn. Nun würde Erik vor Inge als doppelter Held dastehen. Sie würde Ostern mit ihm tanzen. In sinnberauschendem Wirbel würden sie sich um das leuchtende Feuer drehen, wahrend er. Olaf, vielleicht mit einem Schnupfen zu Bett liegen mußte. Das war nicht auszudenken. Olaf knirschte vor Scham und Wut. Freilich hatte Inge die Heldentat vom Ufer aus nicht sehen können. Aber Erik würde sie schon in das rechte Licht zu stellen wißen. Olaf richtete sich auf. Sein Boot tanzte kieloben auf den Wellen neben ihnen her. „Vielleicht kann ich es fassen", meinte Erik, „wirf dich gut nach links, um das Gleichgewicht zu halten." Mechanisch gehorchte Olaf. Aber in dem Augenblick, als Erik sich wett nach rechts hinauslehnte, richtete sich Olaf plötzlich unbedacht auf. Mit einem halberstickten Schrei verlor Erik das Gleichgewicht und schoß köpf- über in die gurgelnden Wellen. Entsetzen stieg in Olaf auf. Aber da war plötzlich ein wahnsinniger böser Gedanke, der ihn die Ruder ergreifen ließ . . . Ohne auf den Hilferuf des Ertrinkenden zu achten, legte er sich mit allen Kräften in die Riemen und fuhr land- wärts. Als er wieder zur Besinnung kam und sich umwandte, war von Erik nichts mehr zu sehen. Erik kämpfte verzweifelt; aber das Meer war stärker als er. Kreisende grüne Wirbel; traumhaftes Gleiten und Schweben; dann Versinken in bodenlose Tiefen. Irgendwie ist da plötzlich eine Wiese mit herr lichen Blumen. Im Schatten alter Buchen liegt ein schimmernder Hain. Königlichen Ganges schreitet die Frühlingsgöttin auf ihn zu. Weißstrahlend ist ihr Gewand. In ihren Händen trägt sie eine Schale, der ein s ihm nieder. und der leuchtende Schein kommt von dem Osterfeuer, um das sie sich in rasendem Wirbel drehen, bis ihnen von leuchtender Schein ausgeht. Sie neigt sich zu der. Und nun ist es Inge, die er im Arm hält, Dnge ließ ihre Haare e im Sturm fliegen. „In drei Tagen . brennen die Osterfeuer", sagte sie und blickte mit ver- i schleierten Augen auf das Meer hinaus. „Dann wollen k wir tanzen." s -Ja, dann wollen wir tanzen . . ." Olaf trat I ganz dicht an das fchöne Mädchen heran. r -Und ich?" fragte Erik, der etwas abseits stand I und Inge nicht aus den Augen ließ, aber selten von ihr A beachtet wurde. „Du?" Sie schien nachzudenken, wie L. sie am besten eine gerade Antwort vermeiden konnte. H Ihr Blick suchte di« Klippe da draußen, die sie im vorigen Jahre die „Insel der Ostara" getauft hatten. » Dort hatten sie in heiterem Spiel dem Frühling einen Altar errichtet und einen seltenen eirunden Stein, in den Erik geheimnisvolle Runen geritzt, als Symbol des U Lebens und der Fruchtbarkeit daraufgelegt. n Damals wußte Inge noch nichts von Olaf. L Plötzlich wetteten sich ihre Augen vor Entsetzen. I Dort draußen tauchte ein Boot in der Brandung auf. Ein einzelner Mann saß darin. Man konnte deutlich I sehen, wie er sich mühte, gegen die Strömung anzu- 0 kämpfen. Aber er schien erschöpft, sein« Kräfte be- k gannen sichtlich nachzulasten. Immer näher trieb fein Kahn den gefährlichen Klippen zu. Jetzt hatten ihn I auch die anderen bemerkt und starrten hinaus. H -Er ist verloren", sagte Olaf. -Rette ihn, Erik!" . . . Inges Stimme war dunkel vor Erregung. -Rette ihn, dann weiß ich, daß du V mich liebst." > Erik sah sie an. Dann blickte er hinaus auf das u sturmzerwühtte Meer. Es war Wahnsinn, auch n nur daran zu denken, jetzt bei den Frühjahrs stürmen durch die Brandung zu kommen. Das Boot » mußte.an den steilen Felsen zerschellen. Erik ließ seine A Augen noch einmal zwischen Olaf und Inge hin und her R. gehen. Dann wandt« er sich wortlos dem Dorfe zu. -Ls ist sinnlos", sagte Olaf, „kein vernünftiger § Mensch wird da» wagen." Inge antwortete nicht. H -Bei solchem Wetter fahren, heißt Gott versuchen, A noch dazu am Karfreitag!" sagte der alte Dierks s, Petersen, als Erik ihm sein Boot ablieh. Aber Erik V ließ sich nicht hatten. Ebensogut hatte man versuchen Ü können, den Sturm zu fesseln. Erst als er schon weit u draußen war, bemerkte ihn Inge. Sie stieß einen Z Schrei aus und wurde ganz blaß. -Olaf, sieh, er versucht es wirklich!" Olaf antwortete H nicht; er verfolgte mit gespanntem Interesse das Be- A ginnen des Nebenbuhlers. k -Du mußt ihm helfen!" rief Inge halb weinend. -Ich? Wenn dieser Tollkopf sein Leben aufs Spiel setzt, ist das ein Grund, daß ich es ihm nachmachen muß?" V -Feigling!" schrie Inge böse, „er wagt fein Leben » für einen Fremden. Du aber kannst zusehen, wie er L zugrunde geht. Dir gilt es nichts, daß ich mein Leben U lang die Schuld tragen soll, daß ich ihn dazu verleitete? M Wenn Lu ihm nicht sofort nachföhrst und ihm beistehst, U ist es aus zwischen uns. Mit einem Feigling will ich L nichts zu tun haben!" Olaf biß sich auf die Lippen. die Sinne schwinden. Funken sprühen nach allen Seiten; feurige Räder kreilen; Sterne fallen vom Himmel. Dann schwarze Nacht. In weller Ferne lauten die Glocken, und eine unbekannte Stimme spricht: Es ist vollbracht! Dann weiß Erik von nichts mehr. Olaf hat sich zurechtgelegt, was er Inge sagen will. Wie er vergeblich versucht hat, Erik zu retten und dabei selbst ins Master gefallen und dem Tode nahe gewesen sei. Aber je näher er dem Ufer kommt, desto langsamer rudert er. Bleischwer sind die Stangen. Mit Mühe kommt er durch die Brandung. Inge ist nicht am Strand, wo er sie verlassen hat. Langsam kommt sie von der großen Landungsbrücke her, grauweiß im Gesicht. Als Olaf in ihrer Hand das Fernglas sieht, weiß er, daß alles verloren ist. „Mörder!" ist alles, was sie sagt. Und in ihren Augen steht das Entsetzen und die Verzweiflung um , Erik, den sie in den Tod getrieben hat. Olaf starrt ihr nach. Als eine Weile später die Leute zusammenlaufen, steht er noch immer in seinen triefenden Kleidern am Ufer. „Mann, was ist ge schehen?" ruft ihm einer zu. Verständnislos starrt er , den Sprecher an. Dann stammelt er irgend etwas von j dem ertrunkenen Freunde, dem er helfen wollte und ! der ihn noch immerfort ansieht. Die Leute schütteln D mitleidig den Kopf. „Kein Wunder, die Aufregung bei I dem vergeblichen Versuch, den Freund zu retten, hat dem Armen den Verstand geraubt." Eine gut- k mütige, alte Frau veranstaltet schnell eine Sammlung s für den mutigen Menschen, der sein Leben für den ß Freund wagte und dem der Schmerz, daß er zu spät z kam, die Sinne verwirrte. Olaf steht und starrt, k Irgend jemand drückt ihm das Ergebnis der Sammlung k in die Hand. „Es sind genau dreißig Silberlinge", V spricht eine Stimme aus sehr weiter Ferne. Da bricht o Olaf in irres Lachen aus und schleudert das Geld auf die Erde. Und es geschieht, wie geschrieben steht: „Und » er Hub sich davon, ging hin und richtete sich selbst." Nein, es hat keinen Zweck, Eriks Leiche bergen zu f wollen. Man muß warten, bis der Sturm sich gelegt t hat. Inge sitzt die ganze Nacht und den folgenden Tag v regungslos am Fenster. Draußen tobt das Meer, k Kann es so etwas geben, daß man jemand so lieb gehabt hat, ohne es zu wissen? Und daß man ihn in den Tod getrieben hat, ohne es zu wollen? Unaus- k denkbar ist das! Nie mehr wird sie Erik sehen und ihn k um Verzeihung bitten können; nie mehr ihm sagen V können, wie sie jede Stunde bereut, in der sie ihm k, Leid verursachte. Er ist zugrunde gegangen mit dem i Schmerz über ihre Wankelmütigkeit Jetzt singt der A Sturm sein Lied über ihm. Er aber liegt und schläft V und weiß von nichts mehr. Oder haben die Wellen ihn I an den Strand geworfen? Vielleicht ruht er auf der Insel der Ostara. H Traumwandelnd erhebt sich Inge. Niemand hört, k wie sie das Haus verläßt und dem Strand zugeht, i Sie löst das Boot von der Kette und steigt ein. Es ist » nicht leicht, durch die Brandung zu kommen. Aber ü Erik hat ja noch viel mehr für sie gekämpft und gelitten. V Schwer gehen die Sturzseen über das Bott. Inges Haare und Kleider sind voll Wasser; aber sie fühlt es V nicht. Jagende Wolken bedecken den Mond. Zuweilen zerreißen sie für einen Augenblick, so daß Inge die U Richtung erkennen kann. Weit, weit draußen liegt die V Insel der Ostara. Aber sie wird es schaffen. Erik wartet u. auf sie. Allmählich läßt der Sturm nach; einzelne v Sterne werden sichtbar. Dort drüben erstrahlt der »I Morgenstern. Im Osten dämmert es bereits, als Inge x auf der Insel ankommt. Mühsam ersteigt sie das steile V Ufer. Wie im Traum wandelt sie umher. Nein, Erik ist nicht da. Dort drüben muß der Altar sein, den sie in übermütigem Scherz errichtet haben. Aber es ist I nichts mehr davon zu sehen. Die Flut hat ihn hinweg- gefegt. Aber etwas höher auf der Klippe steht ein u einfaches schwarzes Holzkreuz. Weiß Gott, welcher ck fromme Fischer es da aus Treibholz errichtet haben mag! Zu Füßen des Kreuzes sinkt Inge erschöpft zu- u sammen. Die Sinne schwinden ihr . . . Dierk Petersen hat am Karfreitag keine Ruhe mehr k gehabt, als Erik ihm sein Boot abgeliehen hat. Das ? Gewißen schlug ihm, daß er den jungen Menschen bei ß dem Sturm allein hatte hinausfahren laßen. Ob er v ihn noch einholen konnte? Das Postboot fuhr ja an ck den Klippen vorbei. Das nahm den Alten auf seine Bitten hin mit. Als sie die Insel der Ostara passierten, .V sahen sie Olafs kleines Boot auf den Wellen treiben, 'n „Gott sei feiner Seele gnädig", sagte Petersen und s schlug ein Kreuz. Dann machten sie sich daran, das o Boot zu bergen. Und dann fanden sie auch Erik, der e leblos in der Ruderbank verkrampft hing. Es war fast 1 aussichtslos; aber sie machten doch die vorgeschriebene künstliche Atmung. Und dann fand es sich, daß doch s noch Leben in ihm war. Umkehren konnten sie nicht . mehr, denn die Post mußte ja erledigt werden. Und 1 am Freitag abend wurde der Sturm so stark, daß sie die Heimfahrt nicht anzutreten wagten, sondern einen k Tag überschlugen. ' Aber am Ostermorgen, als es noch dunkel war, > kehrten sie mit Erik zurück. An der Insel der Ostara ' machten sie halt, um Olafs Boot mttzunehmen, das sie dort verstaut hatten. — Und so kam es, daß, als Inge t aus ihrer Betäubung erwachte, Erik im Scheine der ausgehenden Sonne vor ihr stand. Und vor diesem Wunder der Auferstehung wollten ihr fast aufs neue l die Sinne vergehen. Sie taumelte. Aber Eriks starker Arm fing sie auf . , , und dann war alles gut . . . § Karl« vrriholt