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, .Pah — derartige Männer, da guck ich gar nicht Yin. Ich bin Gott sei Dank gegen so etwa- gewappnet.* Dann nahm sie ihre kühlste, vornehmste Miene an und schnitt jedes weitere Gespräch mit der Erklärung ab, daß sie jetzt in den Speisewagen gehe. Im Gang verweilte sie ein wenig, betrachtete die grünen, waldigen Hänge, die sich ihr im Vorübergleiten wechselvoll zuneigten, fühlte aber weniger die sonnen flimmernde Schönheit der Natur als den merkwürdigen .^".'ana. unt'-r r-m sie stand: ein berauschender Zwang, der ihren Pulsschlag verdoppelte und der von dem Fremden ausging. Sie wußte, er hatte im Gang auf sie gewartet, fühlte, ohne sich umzudrehen, daß er näherkam, während seine Augen glänzend und ungehemmt aus ihr Muhten. Schönes Mädel!, dachte er dabei und lächelte Merkwürdig. .Nett, daß Sie mir Gesellschaft leisten wollen", sagte er und zwang sie dadurch, ihn anzusehen. .Woraus schließen Sie denn das?* erwiderte sie hoch mütig. .Ich will Ihnen doch nicht Gesellschaft leisten. Na, so was! Ich will in den Speisewagen.* .Sie haben denselben Gedanken wie ich, gnädiges Fräulein. Vervollkommnen Sie ihn, indem Sie auch mit mir zusammen speisen * »Man könnte uns für ein Ehepaar halten, Ihr Anzug ist genau so grau wie meiner.* .Herrlich!* Sie wurde sehr rot. Hastig fragte sie: .War wollten Sie denn in unserer kleinen Stadt? Dort wohnen Sie nicht, da müßte ich Sie kennen.* Er lächelte. .Ja, denken Sie, mein Vater hat mich dorthin auf Brantschau geschickt. Ich soll absolut die Tochter eines Geschäftsfreundes unserer Firma — ich kenne das Mädel nur von Bildern her — heiraten. Und wie ich ankomme, da ist der Vogel ausgeflogen.' .Ach!* .Ja, Pech — was?* Sie besetzten im Speisewagen einen Tisch, wo er — zur Feier des Tages, wie er sagte — Sekt bestellte. .Aber', wehrte sie, »ich kann mich doch von einem Herrn, den ich gar nicht kenne, nicht mit Sekt traktieren lasten.. .* „Warum denn nicht? Kommen Sie, stoßen wir an! Eine Reisebekanntschaft verpflichtet zu nichts. Der Name lut gar nichts zur Sache.' Sie stießen an. .Doch', sagte Lieselott, .der Name tut viel. Mir ist eS jedoch ganz lieb, wenn Sie mir I en Namen nicht sagen; es ist so viel schöner.* Und als sie sein fragendes Gesicht sah: .Ich meine, ich habe gedacht — mir ist nämlich vorhin eingefallen, daß Sie — daß Sie — also mir ist ein schöner Name für Sie eingefallen, und wenn Sie nun ganz anders hießen — vielleicht Emil oder Sebastian, Gustav oder so... Zu Sekt müssen auch schöne Namen sein...* Er lachte frisch und fröhlich. .Also eine kleine Schwärmerin. Aber wenn Sie mir Ihren schönsten Namen gegeben haben, dann kann ich Ihnen nicht ganz unsympathisch sein.' .Vorläufig wenigstens nicht.' .Vorläufig! Das gebt auf keinen Fall; ich verlange dauernde Sympathie. Wie machen wir das?* Sie lachte. .Für die kurze Tauer der Fahrt wird das nicht allzu schwer sein.* .Und wenn unsere Bekanntschaft länger währte, meinen Sie, müßte ich Ihnen unsympathisch werden?' .Tie Männer zeigen sich immer nur am Anfang von der besten Seite.' Er zog die Brauen hoch. ,QH, schon so viel Er fahrungen gemacht?* „Papa sagt es.' „So, der Papa sagt es...' Er neigte sich vor und fügte leiser hinzu: .Könnte es nicht auch mal sein, daß aus Sympathie etwas anderes wird? Liebe zum Bei spiel? Bitte, nicht entrüste» sein, ich spreche ganz im all gemeinen. Aber alauben Sie mir, js etwqs soll Vor kommen.' Sie schwieg, sah zum Fenster hinaus und lächelte ver legen. Sie wußte nicht recht, sollt« sie jetzt das Gespräch abbrechen und sich empfehlen, weil eS ihr Gewissen be schwerte, mit einem ganz fremden Manne Sekt zu trinken und von Liebe zu sprechen, oder sollte sie das moderne Kameradschaftsmädel herausstecken, so wie Uschi. Beides schien ihr unmöglich, zumal sie unter den Blicken ihre- eleganten Gegenübers langsam heiß und rot wurde. Er aber freute sich über sie: kinderjung, dachte er, süß, rührend weltfremd. .Fahren Sie auch nach Berlin?' fragte sie, nur um etwas zu sagen. .Leider nicht — nein!' Ter Sekt war schuld, daß sie ganz ungewohnt kühn wurde und leichte Enttäuschung zeigte. Eie würde ihn Uso nicht Wiedersehen können und hätte doch so gern aus- probiert, ob aus Sympathie Liebe werden könnte. .Eigentlich ganz gut', sagte sie. „Dann kommen Sle gar nicht erst dazu, mir unsympathisch zu werden. Ich muß jetzt bald aussteigen — ich hab« in H. eine Stunde Aufenthalt.* Er hob lächelnd das Glas und trank eS leer. Dann war beredtes Schweigen zwischen ihnen. Beide dachten zugleich an das nah« Ziel der Reise, und daS sich nun steigernde Tempo der Räder peinigte Lieselott. In kind lichem Wunderglauben mädchenhafter Phantasie und unter leichten Sektnebeln fühlte sie sich in strahlende Weiten ge tragen, den fremden Mann neben sich, viel näher noch, alS er ihr in Wirklichkeit faß. Der Zug hielt, viel zu früh für Lieselott. Dann hört« ye einige AbschicdSwone, eine Hand war da, die die ibr« drückte, dann ein Gang, das Damenabieil, das sie endlich -and und in dem die Alte einsam schnarchte, einige stufen. Tann der schmale Bahnsteig und viele andere Dinge, zwischen denen sie stand und dem langsam davonrollende« Zug nachblickte, enttäuscht, weil der Fremde nicht auS dem Fenster sah. Ter Papa schien doch recht zu habe«: die Männe» waren nicht.echt*. Während der Bahnsteig allmählich menschenleer wurde, stand sic da und sah dem Zug nach, der kleiner und kleine» wurde und mit allem, was sie darin erlebt, in der Fern« wie ein Dunstgebilde verschwand. Endlich wollte sie mit ihrem ganzen aufflammcnden Trotz und Stolz di« Er innerung an daS Erlebte totschlagen, da tönte eine dunkle Stimme hinter ihr: .Gnädiges Fräulein, wollen wir jetzt selber ein bißchen Eisenbahn spielen und eine kleine Reise in die Landschaft wagen? Es ist wunderbares Wetter...' Mit abgezogener Mütze, den Reisemantel über dem Arm, links einen kleinen Koffer, stand er neben ihr. Sie war so verblüfft, daß sie etwas obne Bewußtsein vaderredete und sich unglaublich blöd vorkam. Später dachte sie, ihr Herz hätte noch nie so toll geschlagen wie in diesem Augenblick. Vor lauter Selig keit war sie in den nächsten verwirrten fünf Minuten nicht in der Lage, klar und deutlich zu hören und zu antworten. .Bodo* gab Koffer und Mantel in den Aufbewah rungsraum. Dann, beim Verlassen des Bahnhofs, halt« Lieselott das Gefühl, als stürze sie sich in ihr erstes Aben teuer, bei dem Gedanken an Papa zwar mit schwarzem Gewissen, aber um so freudiger. Sie war wie übertölpelt von einem neuen, unbekannten Glück, das sie, wie ein« lichte Fee, neue, herrliche Wege führte. Was wissen Papas davon?! .Sie fahren also doch nach Berlin?* fragte sie dann, «Ich kann die Unterschätzung meiner Qualitäten nicht auf mir sitzen lasten, gnädiges Fräulein. Ich möchte Ihnen eine andere Meinung über uns Männer beibringen, und dazu brauche ich Zeit.* — Bald schritten sie über holpriges Pflaster, am „Gasthof zur goldenen Kugel' vorbei. Dann waren da altertümlich« Torbogen und ein alter Brunnen, an dessen Gestein da- GraS wild wuchert«. Kleine Gassen nahmen sie auf, unS als die sich öffnete«, ging es feldgestreifte« Bergen «uv Ldvw» V^Mtte« Hftwt» i» eine» La»da««i1ch »1u«aM gerüsteter »lesen, Uder denen ttefblau der Himmel yrng. Lieselott fragte nicht danach, wohin der fremde Mann sie führte. Dem großen Geheimnis von Leben und Liebe sann sie «ach, wie einem liefen, seligen Traum. Dann nahm sie der fremde Wald auf, in dem purpurne Blütenkerzen flammten. Er überredete sie, einen Zug zu überspringen. So hatten sie fast fünf Stunden Zeit. Und di« genügten, um Lieselott feststellen zu lassen, daß auS Sympathie tatsächlich auch Liebe werden könnte. Bald durfte er sie Lieselott nennen, nachdem er ihr verraten hatte, daß er LukaS heiße, welchen Namen sie sofort in Lutz verwandelt«. Er gefiel ihr fast noch bester als Bodo. In unerhörter Verheißung lockte der duftende Wald. „Ist es nicht schön, Lieselott, so fernab der laut«« Welt eigene Wege gehen zu könne«?' Sie war schon ein Veilchen seltsam nachdenklich »eben ihm hergegangen. Plötzlich« Furcht und Mißtraue« und die Erkenntnis, daß sie falsch handle, hatten st« befallen. Dieser Fremde neben ihr, mit dem sie so vertraulich durch einen fremden, tiefen Wald schlenderte — konnte eS nicht ein Hochstapler sein, ein Einbrecher, rin Raubmörder, ei« Mädchenhändler? Alle diese Worte schwirrten ihr durch den Kopf. .Ist Ihnen kühl, Lieselott? Sie sehen blaß aus', klang es neben ihr. „Ja, mir ist kühl! Wir wollen umkehren — gleich!' Er beugte sich vor und zwang sie, ihn anzusehen. .Sie fürchten sich — ich sehe es Ihnen an, Lieselott. Eie haben recht: es ist gewagt, mit so einem stockfremdcn, hergelaufenen Menschen durch den Wald zu gehen Trotz- dem kann ich mit gutem Gewissen behaupten, ein an ständiger Mensch zu sein. Aber — wenn Cie durchaus wollen... Dort kommt ein Bauernwagen; der nimmt Sie sicher gern mit zurück zum Bahnhof.' Mit großen, klaren Augen sah er sie an — und da schämte sie sich plötzlich vor diesem gütigen Männerblick. Nein, es wäre töricht gewesen, sich jetzt stundenlang in die graue Bahnhofshalle zu setzen, während hier draußen der duftende Heidetag lachte und ganze Lichtungen rot von Blüten leuchteten... .Ter Bauer ist gleich da, Lieselott!* Nang eS mahnend. Da lachte sie ibn an und schüttelte mit dem Kopfe. Das Glockenspiel eines fernen TurmeS schickte verwehte Eiundenschläge herüber. Da merkte sie, mitten im Necken und Erzählen, daß über den Baumkronen blaue Schleier hingen und die Sonne schon längst versunken war. Liese- lottS Begleiter sah auf seine Uhr — und dann noch einmal genauer, so daß sie ihn plötzlich ängstlich fragend ansah. „Ja, Lieselott, jetzt — was jetzt machen? Wir haben die Zeit versäumt. In fünfzehn Minuten geht der letzt« Zug; den erreichen wir nicht...' Sir war entsetzt. Das Weinen stieg ihr in die Kehle, machte aber auf halbem Wege wieder halt. Sie hob lauschend den Kopf. Aus dem zerrissenen Waldweg drüben Nirrte ein Wagen. Lieselott sprang auf, lief ein Stück vor wärts, winkte und rief. Der Bauer wandte wohl flüchtig den Kopf um, aber er sah an ihr vorbei. Poller Herzens- angst sah sie das Gefährt in ver Ferne kleiner und kleiner werden — und dann kein Laut mehr. Nun zuckten ihre Lippen wieder in verhaltenem Weinen. Eie begann ihm Vorwürfe zu machen, die er schweigend hinnahm. „Sie haben recht, Lieselott, es war unverantwortlich do« mir. Sind Sie mir sehr böse?' „Böse!? Sie bringen mich in di« ärgste Situation und fragen noch, ob ich böse bin!' Eie lachte ärgerlich. „Ich werde St« nächstens in- Wasser wersrn und dann auch fragen, ob Sir böse sind. — Was machen wir den« jetzt?* .Lieselott', bettelt« er. „der heutige Tag war einer der schönsten, di« ich erlebt hab«, den wolle« wie unS durch Nichts verderben kaffe«. Sir werden schon etv«n Ausweg Und««.* 2» WEßae» G« »kaudar »all» ar ihr aök«üdlich asi« Sorgen und Bedenken wieder fort. Und während sie immer «ehr im Walde sich verloren und die Schatten immer tiefer hingen, rankte sich ihr Zutrauen mek" mehr an seiner Ritterlichkeit empor. Er bot ihr den Ar» und versuchte, mit allen möglichen und unmöglichen Dinge« sie von ihren sorgenden Gedanken abzulenken. Dabei spähte er eifrig «ach einem Menschen oder Haus aus. AuS dem Druck seiner Hand strömte ein bebendes, be rauschendes Fluidum zu ihr über. Sie fühlte, so hätte sie mit ihm durchs ganze Leben wandern möge«, so kamerad schaftlich, umsorgt und bemuttert. Sie plätscherte bald in der Sorglosigkeit des unwissenden, jungen Dinges, daS dem geliebten Manne derart vertraut, daß eS aus seinem Munde Fluch für Segen nimmt und alles Böse umkehrt zum Edelsten und Bcstew Dieser aber schie« Wirklich — zu ihrem Glück — edel und gut zu sein. .So, nun hallen Sie sich fest. Wir müssen auf die Lich tung dort drüben und hier über den Bach.' Im nächsten Augenblick fühlte sie sich hochgehoben, und er trug sie auf starken Armen wie ein Kind über de« breiten, flachen und leise plätschernden Waldbach, Stein um Stein vorsichtig und sicher nehmend. Als er sie drüben behutsam und zögernd auf die Füße stellte, sagte er: .Lieselott, da bellt irgendwo ein Hund — hörst du? Wahrscheinlich liegt dort hinter der Lichtung eine Försterei. Es wird unS nichts weiter übrigbleiben, als dort zu über nachten.' Menschen, die Unglück haben, nehmen schon die kleinst« Hoffnung freudig auf. Und so freute sich Lieselott denn auch aufrichtig und schritt fragend und plaudernd neben ihrem merkwürdig schweigsam gewordenen Begleiter her. Hund« schlugen jetzt ganz in der Nähe an. Aus dichte» Tannengrün lugte rin kleines Haus hervor mit einer breiten Veranda. AuS dicken Baumstämmen zusammen gesetzt, seltsam verschlafen und leblos, mutete es die beiden Wanderer doch anheimelnd und freundlich an. Im Näher treten begrüßte sie ein »einer, glucksender Brunnen, an dem eine Magd mit blonden, dicken Haarflechten einen weitbauchigen Krug gefüllt hatte; dann wandte sie sich wieder dem Hause zu. .Heda!' Unerschrocken und gelassen, wie eS den furchtlosen Wald kindern eigen ist, drehte sie sich um. Lieselott kam mit ihrem Begleiter heran. „Wir möchten di« Frau Försterin für die Nacht um ein Unterkommen bitten!' sagte Lutz. „Zur Försterei wollens? O je, da habens sich aber arg verlaufen! Da müssens schon no a Stündel nach 'm Eächischn zu lauf«. Aber wenn Cie bloß übernachten wolln, dös könnens hier auch * .Wer wohnt denn hier?' ,DSS ist 's Sommergasthäusl vom Kugelwirt drin im Orte — nur im Sommer auf. 's hat ein Gaststüberl und ein Fremdenstüberl — da könntens schon schlafen.* Die Magd ging voran. Im Nähertreten bemerkten sie über der Tür, spärlich beleuchtet, die Inschrift .Gast haus zum Kuhstall'. Belustigt entzifferten die zwei eine« i« das »eine Gartentor aus Holz «ingekritzelten Spruch? Ich hab' ihn geschn! Ich bad' ihn geseh«! Ich hab' den göttlichen Suhktall aelehrU. Und darunter von anderer Hand: Wir hab'« «S gelesen! Wir hab n »4 gelesen! Ein Ochs« ist im Kuhstall gewesen! Lachend träte« sie ein. Eine freundlich« Alte kam ihm« entgegen, sehr sauber und mit weißem Haar. „Reserl, da iS jemand*, sagte die Magd. .Ei« wolln da schlafen * Sie blieb neugierig gaffend stehen, als Lu der alten Frau erklärte, daß sie sich verlaufen hätte«. Dann erhielt sie den Auftrag, das »Gastzimmer* zu richte«, während di« Alte Schwarzbrot, Butwr, Käs« und Bi«r auillztü.