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zu hohe bez. zu tiefe gewesen ist. Uns interessirt die Abweichung der Gewitter frequenz im Mai. die die weitaus höchste nach der positiven Seite hin ist. Man wird also zu dem Schlüsse geführt, dass die Wärme allein die Gewitter periode nicht bestimmt, es müssen vielmehr noch andere Factoren für dieselbe massgebend sein. Solche Factoren findet man aber, wenn man sich mit Hilfe der Sohncke’schen Anschauung über die Gewitterbildung die dieselbe befördern den Umstände vergegenwärtigt. Da ist es vor Allem die grössere Häufigkeit von bestimmten dynamischen Vorgängen in unserer Atmosphäre, mit Hilfe deren Luftmengen von reichem Wasserdampfgehalt in Regionen geführt werden, wo infolge der dort herrschenden Gefriertemperaturen Eisnadeln oder Cirrusschleier schweben, so dass es also dadurch zu Reibungserscheinungen von Wasser tröpfchen an diesen Eiskrystallen kommt. Es fragt sich nun, welchem Umstande verdankt der Monat Mai diese relativ hohe Gewitterfrequenz. Den Schlüssel für die Erklärung dieser Er scheinung wird man in der charakteristischen Luftdruckvertheilung des Mai zu suchen haben, und diese wiederum wird durch die ungleich rasche Erwärm ung der Land- und Wassermassen bedingt. Ueber das charakteristische Vordringen der Wärme während des Mai sagt von Bezold in seiner Abhandlung „Die Kälterückfälle des Mai“:*) „Wenn im Frühjahre die Erwärmung Europas von Süden nach Norden weiterschreitend beginnt, so muss der charakteristische Umschwung im Ver halten des Festlandes und des Meeres in den Wärme- und Luftdruckverhält nissen eintreten und zwar wieder zuerst da, wo eine Landmasse den continentalen Charakter in ausgesprochenster Weise zeigt.“ „Wenn man sich nun mit Hilfe der Hildebrandson’schen Karten versinn licht, wie diese Erwärmung erfolgt, und wie das warme Gebiet gerade im Frühjahr mit einer WNW nach ESE streichenden Frontlinie nach NNE sich verschiebt, so sieht man sofort, dass hier zunächst die Balkanhalbinsel mit dem ganzen zwischen der Adria und dem Schwarzen Meere gelegenen Hinterlande bis zu den Karpathen die charakteristische Rolle eines vorgeschobenen Conti- tinentes übernehmen muss und dass sich über demselben an geeigneter Stelle, und eine solche bietet die ungarische Tiefebene in hervorragender Weise, zuerst die Erwärmung am stärksten fühlbar machen muss. Die Rheinebene verhält sich im Kleinen ähnlich. Damit ist aber auch die Bedingung für das Ein dringen von Depressionen von Seiten des Adriatischen Meeres, sowie für die Bildung von solchen gegeben. Da nun zugleich fortgesetzt hoher Druck im Westen Europas andauert, so müssen in dem zwischen beiden liegenden Gebiete und zwar insbesondere in den nordwestlich von Ungarn liegenden Ländern, also vor Allem in Deutschland, nördliche Winde die Oberhand gewinnen.“ In dieser aus dem Norden erfolgenden Luftzufuhr aber liegt für den grössten Theil Deutschlands der Grund zur Entstehung von Gewitterheerden. Durch die häufig während des Mai ins Binnenland rückenden Depressionen sieht man auf deren Südostseite ein Gebiet hoher Wärme entstehen, weil dieser östliche Theil dem abkühlenden Einflüsse der aus dem Westen stammenden Luft entzogen ist, bei dem vorherrschenden Südostwinde kann sich also hier die Wärme ungestört steigern. Es werden also in der Nähe einer derartigen Depression starke, thermische Differenzen in grosser Nähe neben einander bestehen. Die Westseite derselben erscheint durch die aus West und allmäh lich aus Nord erfolgende Luftzufuhr stark abgekühlt, während auf östlichen Gebieten die ungestört wirkende Insolation hohe Wärme zeitigt. Dieser Vor gang wird aber auch starke Druckverschiedenheiten wachrufen müssen, deren Ausgleich nun an dem sich fortwährend vorlegenden Grenzgebiete kalter und warmer Luft bei starkem Luftwechsel zur Entstehung von Gewittern und Hagel führen muss. Zieht man nun in Betracht, dass die Wärmevorgänge im Mai am meisten der Entstehung von solchen bedeutenden thermischen Differenzen über verhältnissmässig nahen Gebieten günstig sind, so begreift man, dass das Auftreten verheerender Unwetter in diesem Monat eine höhere Wahrscheinlich keit besitzen dürfte, als in jedem anderen Monat. Um Licht in diese Frage zu bringen, würde eine Statistik der bedeutendsten Luftdruckanomalien sich empfehlen, die gegenwärtig hier ausgeführt wird. Die verheerendste Böe, welche *) Abhandlung der königl. bayrischen Akademie der Wissenschaften II. CI. XIV. Band. II. Abtheilung. München 1883. bisher Deutschland betroffen, trat am 14. Mai des Jahres 1886 ein. Die meteorologischen Vorgänge, welche sich vor ihrer Entstehung in unserer Atmosphäre abgespielt haben, sind genau dieselben gewesen, wie sie für die Entstehung starker, thermischer Differenzen dem Mai charakteristisch sind. In seinem neuesten Werke *) widmet Prof. Hann diesen eigenthümlichen Vorgängen in unsrer Atmosphäre während des Mai eine kurze Besprechung und giebt für dieselben einen höchst interessanten Beleg. Wenn nämlich bei der Luftdruckvertheilung des Mai, die auch im Mittel eine Barometerdepression über Ungarn und der Balkanhalbinsel erkennen lässt, auf der Westseite dieser Depression durch die vorherrschenden Nordwest- und Nordwinde Abkühlung hervorgerufen wird, so muss auf der Ostseite derselben Erwärmung eintreten, weil dort südöstliche Winde herrschen müssen, die zu dieser Zeit aber heiteres und warmes Wetter bringen. Es müsste daher auch in den Tagesmitteln der Temperatur zweier entsprechend gelegener Orte derselbe Gegensatz zwischen Erwärmung und Erkaltung zum Ausdruck kommen. Zu diesen Zweck würden die beiden auf entgegengesetzten Seiten dieser Depression gelegenen Stationen Wien und Kiew sich gut eignen. Die Temperaturaufzeichnungen sind von Hann einer entsprechenden Bearbeitung unterzogen worden, ihr Resultat erhärtet die Vorgänge, wie wir sie geschildert haben. Im Mittel von je 3 Tagen waren die Abweichungen vom normalen Gange für Wien und Kiew während des Mai die folgenden: Temperatur-Abweichungen der Maitage 1856 — 1874 incl. j Mai 1—3, 4—6, 7—9, 10—12, 13—15, 16—18, 19—21, 22—24, 25—27, 28—30 Wien—La —1.5 —0.3 O.o 0.7 O.t 0.» O.i —O.o 0.» j Kiew—O.7 0.5 —O.i 0.8 2.0 O.o —0.; —O.2 — l.i —l.i Ohne Weiteres erkennt man hieraus den erwarteten Gegensatz zwischen j Erkaltung und Erwärmung zu Wien und Kiew und zwar in mehrfacher Folge, j Wir werden sehen, wie die Vorgänge des Mai 1887 mehrfach die hier charak- terisirte Eigenthümliclikeit an sich trugen und wie speciell die atmosphärischen Zustände vom 16.—18. Mai über Mitteldeutschland durch ihre Eigenart den verheerenden Gewitterregen über der Lausitz verursachten. Die letzte Aprildekade des Jahres 1887 hatte, da die Centren niederen Druckes die für die Witterung in Mitteldeutschland günstigste Bahn einschlu gen — sie bewegten sich aus dem Nordwesten Englands heran nach der Nord westküste Scandinaviens — bei vorwiegend aus dem Süden erfolgender Luft zufuhr, ausserordentlich warme, heitere Frühjahrswitterung über Sachsen gebracht. Die Steigerung der Wärme war eine bis zum 28. ununterbrochen anhaltende; der mittlere Wärmebetrag der Luft über Sachsen an jenem Tage stand um 7.9 Grad über dem normalen, in Leipzig wurden schon 24.1 Grad Maximal temperatur aufgezeichnet. Diese Auflockerung der Luft musste nun nothwen- dig ein Einbrechen kälterer Luft aus dem Norden begünstigen; so sehen wir bereits im Laufe des 29. April einen Wirbel aus dem Canal nach der Ostsee herüberwandern, der auf seiner westlichen Seite durch die Nordwinde unter bedeutenden Regengüssen und Gewittern in die hohen Temperaturverhältnisse erhebliche Abkühlung brachte. Die Temperaturvertheilung vom Morgen des 30. April zeigt die oben erwähnten starken Tomperaturdifferenzen auf verhält nissmässig engem Gebiete ganz deutlich. Während auf der westlichen (Rück-) Seite des Wirbelcentrums, das über der Südspitze Schwedens lagert, die Tem peraturen bis zu 6 Grad herabgedrückt erscheinen, steigert die Südluft über der östlichen (Vorder-) Seite des Wirbels die Lufttemperatur noch fortwährend. Charakteristisch für diesen Vorgang sind die Wärmeverhältnisse der Luft längs der Linie Münster-Kassel-Chemnitz. Bei der Ablesung 8 h a. m. vom 30. April melden Münster 6.5, Kassel 8.1 und Chemnitz 16.4 Grad Wärme. Die Nordluft verdrängt nun bei dem weiteren nordöstlichen Fortgang des Wirbels unter weiteren starken Gewittern und Regen auch über östlicheren Gebieten die Wärme, am Morgen des 1. Mai konnte Chemnitz nur 5.6 Grad Wärme beobachten. Das gleiche Spiel wiederholt sich in den nun folgenden Maitagen. Schon am Morgen des 2. Mai hat sich über dem Canal ein neues Depressions centrum gebildet, das über Sachsen die Winde wieder nach Süd drehte, die uns die durch die eben beschriebenen, electrischen Vorgänge nicht gestörte hohe Wärme aus Ungarn herbeiführten. Dadurch wurden erneut die thermischen Differenzen *) Die Vertheilung des Luftdruckes über Mittel- und Südeuropa. Wien 1887.