Volltext Seite (XML)
Tsmmhevd, 1». September 1-H8. M Pik SS00 »«all B»u«tn! Sir. SIS. Dritter Jahrzsvt« 5luer Tageblatt und Anzeiger iür das Erzgebirge verantwortlicher Redakteur: Sri, Krnbola Für di« Inserate verantwortlich: wllltrr wimr beide in Aue i. Lrzgeb. Sprechstunde der Redaktion mit Ausnahme der Sonntage nachmittags von 4—5 Uhr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Aue. — Fernsprecher Für unverlangt «ingesandte Manuskripte kann Gewähr nicht geleistet werden. mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. IN. b. H. in Aue i. Lrzgeb. Bezugspreis: Durch unsere Boten frei in» Haus monatlich so pfg. Bei der Geschäftsstelle abgeholt monatlich 40 pfg. und wöchentlich tv pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich >.L0 Mk. — Durch den Briefträger frei ins Haos vierteljährlich :.g2 Mk. — Einzelne Nummer io pfg. — Deutscher Postzeitungs katalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, nut Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. Annahme von Anzeigen bis spätestens g'/, Uhr vormittags. Für Aufnahme von größeren Anzeigen an bestimmten Stellen kann nur dann gebürgt werden, wenn sie am Tage vorher bei uns eingehen. Jnsertionspreis: Vie stebengespaltene Korpuszeile oder deren Raum ,o pfg., Reklamen 2» Pfg. Bei größeren Aufträgen entsprechender Rabatt. »««««<» «ntzfertzt tv Kelte« Außerdem liegt das achtseitige Illustrierte Sonntagsblatt bet. Das Wichtigste vom Lage. Die Reichstagsabgeordneten Freiherr v. Richthofen, Dr. Hieber und Basser mann haben mit dem Reichs» chatzsekretär Sydow Besprechungen wegm der Reichsfinanzreform gehabt. Ein Allgemeiner Deutscher Blindentag findet vom 2. bis 4. Juni 1909 in Dresden statt. Auf dem sozialdemokratischen Parteitag ist mit 258 gegen 119 Stimmen die Resolution des Parteivorstandes in Sachen der Budgetbwilligung unverändert angenomnien worden. Staatssekretär v. Köller hat einen Urlaub genommen, aus dem er nicht wieder in den Dienst zurück kehren wird. * Der Papst feierte ani gestrigen Freitag sein fünfzigjähri ges Priesterjubiläum. M In Washington kursieren Gerückte, daß Orvtlle Wrights Maschine vor dem Flug absichtlich b e - schädigt worden sei. Politisches und Juristisches im neuen Strafverfahren. Von fachmännischer Seite wird uns geschrieben: Vor vier zehn Tagen ist (warauf das Auer Tageblatt bereits wiederholt hinwies D. R.) der Entwurf einer neuen Strofprozeßordnung erschienen, mit ihm zusammen der Entwurf eines Gesetzes über Aenderungen des Eerichtsverfastungsgesetzes und der Entwurf eines Einsührungsgesetzes für beide. Eine ausführliche Be gründung ist den Entwürfen beigegeben, eine Begründung, die im ersten Abschnitte die Vorgeschichte und allgemeinen Ziele der Reform kurz darlegt. Dieser erste Abschnitt der Begründung ist bereits mehr oder weniger vollständig durch die Prelle wieder gegeben worden, so daß auch die breite Öffentlichkeit mit den Hauptpunkten der geplanten Reform bekannt ist. Der Deutsche Juristen tag hat vorige Woche in Karlsruhe das Werk mit Recht als im ganzen und großen wohlgelungen begrüßt und einige wichtige Fragen, die Voruntersuchung und das Legalitäts- prinziP, besprochen. Die Kritik hat eingesetzt. Einige Betrachtungen mögen an sie anknüpsen. Mehr als in anderen Rechtsgebieten muß im Strafrechte und Strafprozesse der Jurist mit dem Politiker kom promittieren. Das Strafrecht und der Strafprozeß sind die Seiten des Rechts, die öffentlich am meisten in die Augen fallen, von denen die Gesamtheit des Volkes am meisten erregt wird, an denen sie am meisten teilnimmt. Daher die Notwendigkeit, auf das Volksempfinden ganz besonders Rücksicht zu nehmen, daher die geringere Wahrscheinlichkeit, daß dieses sich leicht juristisch-technisch fortgeschrittenen, vorläufig fremden Ein richtungen anpaßt. Es kommt nicht nur darauf an, daß der Strafprozeß gut arbeitet, sondern auch, daß das Volk davon überzeugt ist, er arbeitet gut, daß es Vertrauen zu ihm besitzt. Ja, mehr: der Jurist wird sich dabei bescheiden müssen, daß es in erster Linie auf das ilkrtrauen des Volkes an kommt, daß sogar die juristisch bessere Form der geringeren weichen muß, wenn diese das Vertrauen des Volkes besitzt. Das muß man im Auge behalten, wenn man die neue Strafprozeß ordnung beurteilt. Schon die Existenz des Entwurfs weist darauf hin. Ganz richtig hat Professor von Liszt bemerkt, daß logischer weise zunächst das Strafensystem, dann das Verbrechensystem, dann das Strafverfahren kommen müsse, daß also ein Strafvoll zugsgesetz und das Strafrecht der Strafprozeßordnung voraus gehen müßten. Ein solcher Hinweis ist interessant, politisch aber belanglos, denn die politische Lage bei uns ist die, daß seit Jahren die Öffentlichkeit, die Parteien, der Reichstag eine Reform des Strafprozeßwesens fordern, und daß eine solche zur zeit juristisch möglich ist, während beim Strafvollzug und Straf recht noch umfasiende Vorarbeiten nötig sind. Auch der Hebel, der den Entwurf zu Tage gefördert hat, ist politischer Natur. Es ist der Wunsch der Öffentlichkeit nach weiterer Be teiligung der Laien an der Rechtsprechung, namentlich aber nach Einführung der Berufung gegen die Urteile der Strafkammern. Die Stellung zur Berufung zeigt besonders klar, wie Volksempfinden sich von Juristenempfinden unterscheiden kann. Während gemeinhin die Forderung nach der Berufung als liberale Forderung gilt, ist man in Kreisen der Kriminalisten weithin darüber einig, daß sie eine reaktionäre Einrich tung im wahrsten Sinne des Wortes ist. Die politische Partei stellung spielt bei diesem Urteile der Fachleute keine Rolle. Auf liberaler Seite haben sich namentlich die Kölnische Zeitung und Professor von Liszt in den letzten Phasen gegen die Berufung ausgesprochen. Auch Liese Gegner der Berufung wollen natürlich den Angeklagten gegen eine falsche Verurteilung sichern. Sie argumentieren daher wie folgt: Der einzelne Strafprozeß bekommt seine Richtung zumeist nicht in der Hauptverhandlung, sondern im Vorverfahren. Eine Lücke des letzteren kann in der Hauptoerhandlung oft nicht ausgefüllt werden. Es empfiehlt sich also, das Vorverfahren derart zu gestalten, daß der Angeklagte hier alle seine Verteidi gungsmittel erschöpfend ins Feld führen kann und gegen Ueber- raschungen gesichert ist. Da das Vorverfahren sich langsam ab spielt, können die Einwendungen des Angeklagten hier ruhiger gewürdigt werden als in der Hauptverhandlung, di« ununter brochen unter dem Zwange der Konzentration abläuft, und auf die häufig sofort in später Stünde nach anstrengendster Sitzung das Urteil gesprochen wird. Die besten Garantien gegen Fehl sprüche werden gegeben, wenn nach sorgfältigster Vorbereitung die Entscheidung schließlich in einer Hauptverhandlung in di« Hand eines Richterkollegiums gelegt wird, das dann die volle Verantwortung trägt. Eine Wiederholung der Hauptverhand lung, wie die Berufung sie erfordert, ist nach einem erschöpfen den Vorverfahren nicht nötig und zersplittert di« Verantwortung des Gerichts. Zudem hat die erst« Instanz notwendigerweise ein klareres Bild als die zweite, denn die Spuren der tatsäch lichsten Vorgänge verwischen sich nach und nach, di« Erinnerungen des Zeugen verblassen und seine Darstellung ist zu der Zeit, wo er das erstemal dem Gericht und dem Angeklagten gegen übersteht, lebendiger als Wochen darauf vor dem Berufungs gericht, wo er anfängt, das Interest« zu verlieren und wieder holte Ladungen als Belästigung zu empfinden. Ein Fortschritt würde getan durch moderne Ausbildung des Vorverfahrens. Einen Rückschritt tut man durch Wiedereinführung der veralte- tenten Berufung. — So Sachverständige. Aber angesichts der politischen Lage sind das fromme Wünsche. (Ein Schlußartikel folgt.) Der Interparlamentarische Kongretz. Berlin, 18. September. Zu Beginn der gestrigen Verhandlungen (2. Hauptverhand- lungstag) teilte der Präsident von Schönaich-Carolath mit, dah auf das Begrüßungstelegramm des Kongresses folgendes Telegramm des Kaisers eingegangen sei: Den in Berlin versammelten Parlamentariern aller Kul turstaaten spreche ich für den mir durch Ew. Durchlaucht über sendeten Gruß Meinen herzlichen Dank aus und hoffe, dah die von so vielen bedeutenden Männern des ganzen Erden runds besuchte Versammlung sich in meiner Residenzstadt wohl fühlen und in einem Teile dazu Mitwirken möge für die Er haltung der mir ganz besonders am Herzen liegenden Seg nungen des Weltfriedens. Ueber das Hauptthema der Konferenz: die Erörterung der durch die zweite Haager Konferenz der Frage der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit gegebenen Lösung, die Prüfung der Errichtung eines durch diese Konferenz den Regierungen vorgeschlagenen ständigen inter nationalen Gerichtshofes und neue Vorschläge betreffend die Schiedsgerichtsbarkeit und die obligatorische Vermittelung sprach an erster Stelle der frühere österreichische Finanzminister v. Pleh- ner. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß der von 32 Staaten angenommene Vertragsentwurf die Grundlage der nun wieder aufzunehmenden Verhandlungen bilden wird. Trotz Schwan kungen und Vorurteilen ist. die Bewegung vorwärts geschritten Die Schriftsetzerin. Skizze aus dem Leben von B. Rittweger. „Sag' mal, Wilhelm, wie bist du eigentlich mit deinen Setzerinnnen zufrieden? Es ist nun schon über Jahr und Tag, daß du sie eingestellt hast. Nunmehr muß sich doch gezeigt haben, was sie leisten können." „Gewiß, Sabine, das hat sich gezeigt. Darfst nur nicht vergessen, daß es sich zum Teil um Mädchen handelte, die erst lernen mußten. Eine ist unter, die sich mit der Zeit wahrscheinlich zu einer Stütze des Geschäfts heraufarbeiten wird. Nebenbei bemerkt, ein hübsches Mädchen mit guten Ma nieren, Martha Strobel. Sie scheint nicht beliebt bei ihren Ge fährtinnen, wahrscheinlich, weil sie sich von ihnen ziemlich fern hält und still ihre Arbeit tut. Ich sehe sie auch stets allein kom men und weggehen. Uebrigens hab' ich ja nicht viel mit dem Setzerpersonal zu schaffen; es steht unter Adolfs besonderer Kon trolle, wie du weißt." „Freilich! Du, deine hübsche Setzerin wird unserm Jungen doch nicht am Ende gefährlich werden?" Frau Sabine sah ihren Gatten mit fragenden Lächeln an und der rief belustigt: „Gefährlich? Wär' nicht übel!" Dann uickte er ihr freundlich zu und erhob sich vom Frühstückstisch, um sich an sein Tagewerk zu begeben. Auf dem Wege nach den Geschäftsräumen klangen die Worte seiner Gattin von der Gefährlichkeit der hübschen Setzerin in ihm nach. Er schüttelte unmutig den Kopf. Als ob durch diese Worte — aber diese Worte sind's ja nicht. Ihn selbst, dem Ehef der weitbekannten Buchdruckerei, ist's in der Tat schon seit einiger Zeit so vorgekommen, als wenn seinem Sohn dieses Mädchen nicht ganz gleichgültig wäre. Schon zweimal hat Adolf eine Lichnerhöhung für Martha Strobel vorgeschlagen mit der Be gründung, st« leiste das Doppelte, wie die anderen, und es sei billig, sie bester zu bezahlen. Dabei hatte er jedesmal einen roten Kopf bekommen. Der alte Herr machte eine Bewegung mit seiner Rechten, als wollte er etwas verscheuchen, und dann öffnete er di« Tür zu feinem Privatkonto», wo er zunächst die «tngelaufene Post durchzusehen begann. Ein« halbe Stund« mochte er gearbeitet haben, al» es klopfte und sein Sohn ein trat. De» Alten Antlitz erhellte sich, wie jedesmal, wenn sein Einziger in seine Nähe kam. Adolf Junker war aber auch ein junger Mann, auf dem nicht nur die Elternaugen wohlgefällig ruhen konnten. Vater und Sohn schüttelten sich mit freund lichem Guten Morgen die Hände, und der alte Herr fragte: „Na, Adolf, was bringst du mir? Oder willst du 'was holen?" Adolf Junker strich sich mit einer eigentümlichen Bewegung durchs Haar, und sein Vater schaute ihn prüfend an: diese Bewegung deutete stets auf eine gewisse Befangenheit bei seinem Jungen. „Vater, ich komme wegen dem Goethe, die Gedicht«: du hast ja die Klassiker in deinem Schrank, soviel ich weiß." „Ganz recht, da ist der Schlüssel. Um was handelt sich's denn?" „Ach," — wieder die bekannte Bewegung —„die eine Setzerin, die geschickte, die — na, ich kann augenblicklich nicht auf den Namen kommen —." „Vielleicht die Strobel?" „Ja, ja, die Strobel. Komisch, daß einem oft im Moment ein Name nicht gegenwärtig ist. Also, die Martha Strobel kam eben zu mir mit einer Frage. Sie setzt am neuesten Heft der Kunst, und da sind ein paar Verse aus einem Goetheschen Gedicht zitiert, die — aber es ist am besten, die — die Martha Strobel kommt selbst hierher. Die Verse sind mir schon wieder entfallen." — Und ehe der alte Herr antworten konnte, war der Junge schon verschwun den, um nach kurzer Zeit mit einem hübschen schlanken Mädchen, dem der blaue Setzerkittel zu dem schlichten Blondhaar ausge zeichnet stand, zurückzukehren. „Also, wie lautet die Stell«, bitte," ließ sich Junker junior vernehmen, und das Mädchen, das beim Eintritt höflich gegrüßt hatte, sprach nun mit guter Be tonung und ohne jede Befangenheit: Gott sandte seinen rohen Kindern Gesetz und Ordnung, Wissenschaft und Kunst, Begabte die mit aller Himmelsgunst, Der Erde grosses Los zu mindern. „Nun, und was soll's damit?" fragte der alte Herr, und die Setzerin erwiderte eifrig: „Das grast ist im Manuskript mit g geschrieben und «s ist doch viel gebräuchlicher mit k. Ich möchte es aber nicht ändern, ohne klar darüber zu sein, wie Goethe «s geschrieben hat. Es könnte sich doch auch um einen Schreibfehler des Verfasser» handeln und da» wäre unangenehm, denn es wurde mir gesagt, ich sollt« besondere Sorgfalt auf den Satz ver wenden, da der Artikel erst in letzter Stund« eingelaufen sä und dem Verfasser keine Korrektur mehr zugehen könne." „Deshalb gab ich Ä"«n die Arbeit, auf Sie kann ich mich verlassen," warf Adolf Junker ein und fuhr dann fort: „Aber wie wollen wir nur dahinter kommen? Hier sind zwei Bände Gedichte von Goethe, und mir ist die Stelle ganz unbekannt." „Wenn Sie mir 'mal ge statten wollten — ach — das ist dieselbe Ausgabe, die wir zu Hause — ich meine, ich erinnere mich genau, in welcher Abtei lung das kleine Gedicht zu finden ist." Das junge Mädchen blät terte, nachdem sie den einen Band nach flüchtigem Blick beiseite gelegt, eine Weile in dem anderem und rief dann erfreut aus: „Hier haben wir's ja. Poesie ist das Gedicht betitelt und grast ist wirklich mit g geschrieben. Wie froh bin ich, daß ich's ge funden habe, denn Goethe auf eigene Faust zu korrigieren, möcht' ich mir nicht erlauben. Erstaunt und prüfend schaute der Chef die Setzerin an, die jäh errötete und die Augen niederschlug. Dann drehte sie sich mit leichter Verbeugung rasch der Türe zu. Aber «he sie den Ausgang gewonnen, hielt der alte Herr sie mit den Worten zurück: „Bitte, Fräulein, bleiben Sie noch einen Augenblick, ich möchte sie etwas fragen. Dich" — so wandle er sich an seinen Sohn — „will ich nicht länger aufhalten. Du bist um diese Zeit drüben nicht zu entbehren, das weiß ich." Adolf Junker wurde beinahe ebenso rot, wie die Setzerin, und warf seinem Vater einen flehentlichen Blick zu, den jedoch der alte Herr gar nicht zu bemerken schien. So blieb ihm nichts weiter übrig, als das Kontor zu verlassen. „So, Fräulein, nun setzen Sie sich 'mal auf diesen Stuhl und erzählen Sie mir, wie es kommt, daß Sie den Goethe so gut im Kopfe haben. Sie werden mir zugeben, daß das mindestens ungewöhnlich ist. Das heißt, wenn Sie nicht wollen, besteh' ich nicht darauf, da es mich ja eigentlich nichts angeht." Das junge Mädchen blickte vertrauensvoll den alten Herrn an, der so freundlich zu ihr sprach. Ihr« Stimme bebte leicht, als sie erwiderte: „Gewiß, Herr Junker. Es ist sehr gütig von Ihnen, daß Sie solchen Anteil an mir nehmen, und ich habe nicht» zu verheimlichen: Ich bin Waise. Mein Vater war Offizier und nach seiner früheren Verabschiedung Verficherungsbeamter. Er starb, al» ich fast zwanzig Jahre alt war und di« Mutter folgte ihm bald nach. Ich war da eben mündig. Zwei ält«r« Schwestern