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—' Der stLdtische Jmpsarzt Medizinalrat Dr. Ehalybäus wird von jetzt ab bi» mrt 17. April an jedem Moulage nach mittag» 2 b>» ^3 Uhr in seiner Wohnung ZeughauSstraße I, 1 Obergeschoß unentgeltliche Erstimpfungen vor- nchmen. Au« Familien und Häusern, in denen ansleckende Krankheiten, wie Scharlach. Masern. 'Diphtherie, Croup. Äcuch- duften, Flecktyphus, rosenartia« Entzündungen oder die natür lichen Pocken herrschen, darf in keinem Jolle «in Kind zur Impsuna gebracht werden. — Der Rat hat dem Werkmeister Paeltz und dem Markt- Helfer Werner, bei der Firma Louis Herrmann, Drahlivaren- sabrik. tätig, da» städtische Ehrenzeugnis verliehen. — Ein Bild de» vormaligen Freimaurer-Institutsdirektors Mauritius, für die Aula des Instituts bestimmt, ist seit gestern im Schaufenster von Os. Seifert, Pillnitzer Straße 28, ausgestellt. Es wird in erster Linie für alte Dresdner, die den hochverdienten Schulmann und Pädagogen noch persönlich gekannt haben, von bejonderem Interesse sein. August Sigis- wund Manitius war von 1831 bis 1858, also 32 Jahre hindurch, Direktor des weichin bekannten Dresdner Freimaurer-JnstitutS: nach ihm hat der Rat zu Dresden einen Strsßenzug rn der Jriedrlchstrahe „Manitiusstraße" benannt. — In letzter Stunde machen die vereinigten nationalen .Handlungsgehilsen-Vereinc nochmals aus die am Montag, den :!0. Januar, von vormittags 1412 Uhr bis nachmittags 1^1 Uhr siattsindenden Beisitzer-Wahlen zum Kauf man ns- gerichtc aufmerksam und verweisen auch aus das in vor- iieacnder Nummer befindliche Inserat. Die Wahllokale sind an den Anschlagsäulen bekannlgegeben und muh jeder Hand- ImrgSgehilse am Orte seiner Handelsniederlassung mit Bor- schlagslistc II wählen. Niemand versäume die Wahl. Auskünfte werden i>» Wahlbureau, Maxiinilians-Allcc 5, 1. El. lTel. 15171 gern erteilt. Zum AuSstlilid im Ruhrrevier veröffentlicht der konservative Landtagsabgeordnete Pastor v. Bodelschwingh einen Aufruf, der unter anderem auch Len Vorwurj gegen die Mitglieder des Abgeordnetenhauses ent hält, daß sie „der Staalsregierung nicht fester in der Gesetz gebung unter die Arme gegriffen haben und solche heillose Bürgerkriege nicht längst zur Unmöglichkeit geworden sind, — IN denen sich diejenigen grausam gegenseitig zerfleischen, die sich die Nächsten sein sollten". Ueber die Verlängerung der Seil fahrt sagt Pastor v. Bodelschwingh: „Wer, wie der Unter zeichnete, der einst auch Bergmann werden wollte, auch nur eine Nacht in Nässe und Hitze vor Ori gelegen und seinen Schräm gehackt hat, und dann, wie viele meiner späteren Gemeindeinitglieder es mutzten, nach seiner Schicht noch 1 bis „ Stunden zu gehen hatte bis zu seiner Hütte und ermattet „ach Hause kam, wird auch milder urteilen iiver die Erbitte rung, wenn es mit einem Male heisst: Eine halbe Stunde länger arbeiten." Und wenn man bedenkt, dag oft eine Bergmanns- lamilic 10 bis 20 Jahre daran gearbeitet hat, sich ein eigenes schuldenfreies Heim zu erwerben, der kann cs auch verstehen, welch eine Angst über diese Leute kam, als es hieß: „Deine Zeche wird stillgelegt, nimm Deinen Wanderstao und suche Dir wieder eine neue Heimat." Pastor v. Bodelschwingh schlicht mit der Bitte an die Abgeordneten um Beiträge für die Berg arbeiter. Zur Einbringung einer Novelle zum preußischen Berggesetz schreibt die „N. A. Z." offiziös: „Der Weg der LandeSgesctzgebung soll gewählt werden, weil es sich um Fragen handelt, Pie fast durchweg nicht etnra allgemein gewerbliche, son dern spezifisch bergbauliche Verhältnisse betreffen und bei deren Regelung aus die Eigenart des Bergbaues Rücksicht genommen werden muh. Ferner kommen auch — wenigstens für jetzt — nur Fragen des preußischen Bergrechts i» Betracht, was um io mehr ins Gewicht fällt, als für dies Sondergeinet die Ver hältnisse schon jetzt im wesenllichen geklärt sind, so daß der Gesetzentwurf in verhältnismäßig kurzer Zeit ausgearbeitet wer den kann. Endlich entspricht dieser Weg dem bisherigen Vor gehen, da schon Anfang der 90er Jahre die damals not wendig gewordenen, auf die besonderen Verhältnisse der Berg- orbeiter bezüglichen Vorschriften nicht in der Novelle zur Ge werbeordnung vom l. Juni 1891, sonder» in der Novelle zum Allgemeinen Berggesetz vom 21. Juni 1892 erlassen wurden sind." Durch die Wahl des Weges der Landesgeictzgebuiig find die fozialdcmokratiichen und sonstigen Anträge aus reichsgesetz- liche Regelung der einschlägigen Fragen gcgenstands - los geworden. Im Anictzluß an die geplante Novelle z>"n preußischen Berg gesetz redet die „Kölnische Zeitung" d.u Arbeiter» und den lluteluehmern gleichzeitig ins GenMeu: „Au den Arbeitern wnd es nunmehr iei». durch die Tat z» beweisen, daß sie für ein wlches Vargehe» Verständnis haben. Durch die Einbringuila der Novelle, deren Annahme bei der preußischen pa>>amc»karischeii Vertreiung wohl außer Zweifel ist. weiden die me«e»ilicden Be- ichwerden der Bergarbeiter binnen kurzem hinfällig gemacht wer de,,. Unter diesen Umständen wäre eS nur eine gute und nützliche Politik, wenn die Arbeiter sich jetzt entschließe», unter Aufgabe intransigenter Forderungen, zur Arbeit zurückzukehrcu und das Weitere der natürlichen Entwicklung zu üvcrlassen, die selbstver ständlich durch ein Eingreifen der Staatsbehörden in ihrer Rich tung beeinflußt werden wird. Die Wunden, die der Ausstand der beniich.n Industrie schlägt, schlägt er nicht minder den Berg- ari>eileru. Dirke werbe» sich daran zu erinnern haben, wie geringes Vertrauen ibre Jübrer beim Ausbruch des Ausstandes aus seine erfolgreiche Durchführung feisten. Jetzt bietet sich für sic eine unerwartet günstige Gelegenheit, um mit Anstand und Vorteil aus einem Unternehmen herauSinkommen. daS ohne die Fehler der Ä>ubr»hesitzcr vielleicht einen ganz anderen Ausgang hätte nehmen können. Zur Herbeiführung des sozialen Friedens im Ruhrrevier werden natürlich auch die Grubenbesitzer beitragen können, und es wird sich hierzu Gelegenheit bieten, da am Sonnabend eine Ministerialkominlssio» zur Unleriulyung der Berbälliiisse von Be,I»i nach dem Ausstandsgebiet abreist Bei der Wendung, die die Dinge durch das Eingreifen der StaatS- gcwalt genommen bab n, und bei der vorwiegend unfreundlichen Beurteilung, die die Taktik der Arbeitgeber tn der öffentlichen Meinung gefunden hat, meide» sied die in unserer Kobleriindnitrie maßgebenden Männer wohl letzt schon sagen, daß ihr Be,haiten gegenüber den Vermilttungsvelsucden der Regierung ein schwerer Frdler war. Diese Erkenntnis sollte zur Folge haben, sich nicht auf den einmal eingenommenen Standpunkt zu versteifen, sondern die Mstwirkuiig der Regierung bei der Beilegung des Ausstandes aiizuuehmen." Die in Aussicht gestellte Abänderung des Berg gesetzes wird i» der Presse überwiegend günstig beurteilt. Dvch finden sich auch Stimmen, die grundsätzliche Bedenken äußern. So schreibt die „Deutsche Ztg.": „Ohne Zweifel be deutet dieser amtliche Plan einen Eingriffin die Privat wirtschaft und die Arbeitsordnung, wie er bisher noch nicht dagewesen ist. Mit dem Ziel, das aus dem Wege einer solchen Sondergesetzgebung erreicht werden soll, werden auch die meisten nationalen und unabhängigen Politiker einverstanden sein. Als erfreulich wird man aller Voraussicht nach ferner die augenblickliche Wirkung dieser gesetzgeberischen Ankündigung in Rechnung stellen können: denn die streikenden Arbeiter im Ruhr revier werden vielleicht dadurch veranlaßt werden können, die Arbeit zunächst wieder auszunehmen und dergestalt auch ihrer seits eine neue Grundlage für Verständigungs-Verhandlungen mit den Arbeitgebern zu schaffen: und andererseits werden die Zechenbesrtzer diese Ansage empfinden, als ob der Staat eine Pistole wider sie erhebe, und sie werden in allem allgemeinen Zorn über den geplanten Gesetzgebungsakt doch wenigstens für den zur Zeit vorliegenden Streitfall weicher und nackigicbiger gestimmt werden. Aber eine gänzlich andere, eine durchaus verschiedene, eine ernste, schwierige und weitreichende Frage ist es, ob jener neue geplante Eingriff des Staates auch ein berechtigtes Mittel zum Zweck ist, ob er in den Gesamtrahmcn unserer privat- wirtschaftlichen Existenz, unserer grundlegenden ökonomischen Auffassungen und der tatsächlich bestehenden Staats- und Ge- selstchaftSordnung paßt-, ob seine allgemeine Tendenz nickt wie Sprengpulver wirkt, das in die Staatsgesetzgebuna cingestreut wird: ob er nicht in jene bedenkliche Rubrik der Politik und Ge- sekgebuna sb »rata gehört, vor der der preußische Handcls- uttnistcr m seiner ersten Rede zu dem jetzigen Bergarbesterstreik noch so entschieden warnen zu sollen meinte. . Len Gipfel der Gebäfsigkeit erklimmt der „Vorn,.", indem «r « «wem langen im sattsam bekannten Schiinpfjargon gehal- lenen Artikel u. a. erklärt: „Wir glauben nicht, daß — ganz unabhängig von der Frage de« Streiks selbst — das Büiow- Möllerschc Versprechen irgend einen Eindruck aus denkende und unterrichtete Arbeiter machen kann. Die Bergarbeiter haben seit 1889 crsahren, was sie von Versprechungen zu I-alten haben, und sie werden auch aus der genialen Kanalpolitik des preußi sche» Junkertum« gelernt baden, daß in der Politik die Bar zahlung notwendig ist. Wechsel aus unbestimmte Frist sind noch nicht das Papier wert, aus dem sic geschrieben sind, und preußische Negieruugsversprechuugen insbesondere — das weiß uian schon seit de» Freiheitskriegen und seit 1848 — sind genau so viel wert wie russische Ukase." Au Unter stützunasgeldcrn sind nach den Mitteilun gen der Siebener-Kommission der Bergleute bis jetzt eingegan- gen: beim alten sozialdemokratischen Verband rund 200 000 Mark, beim christlichen Gewerkverein rund 60 000 Mark. Weiler loird auf dieser Seile behauptet, den Bergarbeiter-Organisa tionen, die bis Anfang Januar 110 000 Mitglieder zählten, seien seit Beginn der Äusstandsbewegung rund 60000 neue Mitglieder bezgeireten. Von dem sozialdemokratischen Metall- arbeilcrverbande in Stuttgart sind bei dem Berbandsbureau in Bochum 60 000 Mark eingegangen. Die beiden nach England entsandten Delegierten, die mit den englischen Bergarbeitern wegen Unterstützung der ailSständstchen deutschen unterhandeln sollen, sind der Reichs- tagsabgeordncte Bernstein und der Beamte des alten sozialdemo kratischen Verbandes, der ehemalig« Bergmann Schröder. B e r n st e i n , der sei» politisches Exil in England verlebt hat und die dortigen Verhältnisse genau kennt, ist einerseits Dol metscher, andererseits Vertreter der sozialdemokratischen Partei ans dieser Reise. Schröder ist durch seinen „Nimbus" als .staiserdelegierlcr von 1889, der ihn immer noch in Arbeiter- treisen umstrahll, der Geeignetste gewesen, weniger durch Worte als durch seine Person aus die englischen Bergarbeiter einzn- wirken. Die Gefahr eines n o r d we st b öh ui i s ch c n Verg är b e i t e r st^r e i k s ist bcigelegt. Die Arbeiter erklärten lediglich ihre Solidarität mit denen des Ruhrgebiets. Die Parteinahme sür die Bergarbeiter zieht immer weitere Kreise. Nicht nur die Arbeiterschaft tritt sür die Ansständigen ein, auch seitens der Arbeitgeber fließen der Streik kasse Untcrstützungsgelder zu. In München-Gladbach begannen katholische Großindustrielle mit namhaften Spen den für die streikenden Beraarbeiter. Eine außerordentliche Versammlung der Kreissynode Essen sprach sich sür die gesetzliche Anerkennung der Arbeiter- berussoereine. Sicherung der Vereins- und Versammlunas- sreiheil, obligatorische Einführung der Arbeiterausschüsse, Arbeiterkammern und gesetzliche Regelung der Tchichldauer aus. Tas Kabinett Rouvier hat sein parlamentarisches Debüt hinter sich. Die Sitzung nahm iolgcude», in einem Teile der gestrigen Allstage bereits kurz ilizsterteu Verlauf: Der Ministerpräsideut Nouvier verliest eine Erklärung der Negierung, woiin es heißt, die Negierung wolle Beruhigung unk Eintracht unter den Nevublikaiiern schaffen und schnellstens die Reformen durchführe», deren Notwendigkeit bereits non der Kammer anerkannt sc:. Die Regierung beklage die von den Kammern verurteilte» unzulässigen Vorgänge und werde sich nur der regelmäßigen, gesetzlichen Organe bedienen, welche An- ichluß habe» mit der außerhalb stehenden Organisation. Die Regierung werde ihre Arbeit an den von der Kammer bereits grundsätzlich gebilligten R e s o r m e n. wie Trennung von Staat und Kirche, Einkvininensteuer ustv,. bei dem Punkte > ortsetzen, bis wohin sie von der vorigen Regierung gesuhlt wurde. In den auswärtigen Beziehungen wird das .Kabinett die Politik iortielzen, die dank der Unterstützung des Parlaments und der offenkundigen Zustimmung der Nation durch die tätige Benntznrig un«erer Allianz und die Verwirklichung nütz licher Armäberungen unsere Stellung in de: Welt befestigt und in kritischen Stunde» anö Frankreich einen erhörten Agenten inter nottonaler Eintracht gemacht hat. — Tie Erklärung appelliert schließlich an die freie und loyale Msthllfe aller Republikaner. «Beifall im Zcittrum und rechts. Tie Linke und die äutzerfle Linke schweigen. Bei dem Hinweis aus die A I l i a n z m i t Rußland erlöneir aui der äußersten Linken seiirdliche Rufe, wie: Nreoer die Mörder! Nieder der Kaffer von Rußland!> Jnr EinversläiidniS mit der Regierung wirb sofort in die Be ratung einer Jurerpellation über die allgemeine Politik derRegiern » g eriigelreten. Mag »raude (soz.) glaubt nicht, daß Rouvier das Land verriedigeii werde. Leroy «radika» fragt den lliiteriichtsminstlerBienveiin-Mnrtiii, welches seine Absichten bezüg lich der Trennung von Staat und Kirche leien. Redner tragt weiter, ob die Regierung die Trennung von Staat und Kirche an die Svitze ibres Programms stellen wolle Ministerpräsident Rou - vier erwidert er wünsche mit einer Mehrheit der Linken zu regieren. Das Kabinett wolle die Trennung von Staat und Kirche unter Achtung der Gcwissenssreiheit durchführen. (Beifall im Zentrum.) Ronvier ersucht dann die Kammer, zunächst die Beratung deS Budgets und des MllikärgesetzeS zu Ende zu lühre». Bezüglich der Trennung vo» Staat und Kirche und bezüglich der Einkommensteuer stehe das Kabinett zur Verfügung der Kammer. Rouvier kommt dann auf die A » g e b e re i e n zu sprechen und rmßbilligt die Vorkommnisse, durch dir das Land beunruhigt wurde. Deshalb bade er den General Peigns gemaßregelt, ov- alcich er bedauere, daß diele Maßregelung einen Diener der Republik treffe. Die Regierung habe auch »och zwei andere Generale gemaßregelt, wolle aber nicht noch weiter gehen. Er bitte die Kammer im Interesse des Landes um eine Art Amnestie, er werde dainr weder von AiiSkunitszetteln noch von Delegierten Gebrauch machen. Der Ministerpräsident schließt mit dem Wunsche der Beruhigung und der Versöbriung aller Republikaner. (Anhaltender Beirall im Zentrum.) Äerault- Richard (So;> wricht leine Verwunderung darüber aus. daß dem General Peigne dieselbe Strafe auserlrgt worden sei wie den beiden anderen Generalen: durch diese Magregei werde die Ver öffentlichung von AusknnftSzetteln nicht verhindert werden Guyot de Bille neuve (Nationalist) erklärt, die Veröffent lichung von AuSkunslSzetteln werde von heute ab anshöre». Klieg-minnter Bcrteanx erklärt, er Hube das KriegSvortefenille übernommen, weil er die versprochenen Reformen durchfuhren lassen wolle. Der Minister rcchtrertigt die gegen dr» General Peigns getroffene Maßregel und bittet schließlich das Haus, die Beratung deS Budgets zu beschleunigen, damit das Mtlitärgesetz zur Verabfchiedung gelange, dns da»» den AnSgchvberic» von 1905 lcba» zu grne komme. (Beifall.) Den folgende» Redner Allard (Soz.) nntribrlcht der Ministerpräsident R o uv ier und eiklärt. wenn er keine republikanische Majorität bekäme, wurde er sofort zurücktrrte». Allard protestiert weiter gegen die Allianz mit der „russischen Mörderreyierung". (Lärm rechts, Beifall bei ven Sozialisten.) Minister des Aeußere» Delcasss erbebt sich in großer Erregung und sagt: Zum Schutze der uns anvertrauten Interessen protestiere Ich energisch gegen diese unqualiffzierbare Sprache. (Lärmende Rufe bei den Sozialisten: Protestieren Sie gegen den verbrecherischen Kaiser in Rußland! Minister Delcasss fährt fort: Sie können die Petersburger Ereig nisse beklagen, denn Sie sind nicht Richter. Sie dürfen sich nicht in die inneirn Angelegenheiten eines ausländischen Staates ein- mischen. Jauros (Soz.) will das Wort ergreifen. w>rd aber zunächst durch den Lärm der Rechten daran gehindert. Er wartet, bis Nnhe rintritt. und sagt dann : Zur Ehre Fmnkreichs erkläre ich, daß Delcasss nicht das Recht hat. sich hier zuin amt lichen Advokaten des Zarismus ausznwersen. (Bcffalls- stnrm links ) DrlcaI' s erwidert: Ich bin der Advokat der Jitteiessen Frankreich-, denen von JaursS schleckt gedient wird. Die Allianz mit Rußland hat Frankreich Sicherheit und die Möglichkeit gegeben, leine Stellung in der Welt zu behaupten und Abkommen abzuschlleßen, deren Bedeutung niemand ableugnen wird. (Beifall im Zentrum und rechts. Zischen bei den Sozia listen.) Brisson eriuckt die Regierung, die Reihe der Reformen mit der Trennung von Staat und Kirche zu beginnen, daS werde das beste Mittel lein, eine Mehrheit der Linken zu erlangen Der Präsident bringt hieraus mehrere eingegangene Tagesord nungen zur Verlesung. Eine Tagesordnung Manien,, verlangt, daß über die Elnkomnienstcuer «st nach dem Gesetz betreffend Trennung von Staat und Kirche beraten werde. Minlsterpräsi- dent Rouvier nimmt nur eine Tagesordnung Sarrien an. die aus die Regierung zählt, daß die EnlliichlschnngS-. die deniokratt'chcn und die sozialen Reformen zur Verwirklichung ge langen. Die sür die Tagesordnung Manjean beantragte Priorität wird mit 325 gegen 61 stimmen abgelehnt und daraus die Tage», ordiumg Same» mit 110 gegen >07 Stimmen angenommen J,n Senat wurde die Erklärung der Regierung vom Iuittt- minister Ehaunirs verlele«: sie wurde von der Linken ziemlich kW ausgenommen. In beiden Häuiern des Parlaments wurde bei Beginn der Sitzung vo» den Präsidenten ein Briet des Präsidenten Landet verlelen. in welchem der Präsident den Senatoren und Deputierten seinen Tank ansipricht sür die ihm von ihnen aus Anlaß de» Ab leben» seiner Mutier bezeigte Teilnahme. Tagesgeschichte. Zu deu Unruhe» in Rußland. Die Stadtverordneten-Versammlung in Mos kau faßte eine Reihe von Beschlüssen sür den Fall des Aus bruchs von Unruhen. U. a. wurde beschlossen, die Verwaitungs- behörden zu ersuchen, im Falle des Ausstandes bei städtischen Anstalten gegen Frauen, Kinder, Schüler und Arbeiter, wenn sie sich auf friedliche Kundgebungen beschränken, keine Wasfcn- gervalt anzuwende». Ferner soll Straflosigkeit und Gestattung eines friedlichen Ausstandes zur Erzielung einer besseren Lage der Arbeiter und Gewährung des Verjammlungsrechts für Arbeiterverbäiide erbeten iverden. Gegen 10 000 Arbeiter haben die Arbeit wieder ausgenommen. Vor dem Appcllhofe in Moskau wurde gestern ein polr - tischer Prozeß verhandelt. Von 7 Angeklagten wurde einer sreigesprochen, einer zu II Wochen Gefängnis verurteilt. Die Verhandlung gegen die übrigen wurde wegen verspäletcr Zu stellung der Anklageschrist vertagt. In Paris wohnie» 3000 Personen einem vom Ternc- Syndikat veranstalteten Meeting bei, in dem heftige Reden gegen die Vorgänge in Petersburg am 22. gehalten wurden. Unter den Anwesenden bemerkte man Madame Söoerino und Analole France. Es ivurdc eine Tagesordnung im Sinne der gehaltenen Rede» angenommen. Ein Mitarbeiter des „Petit Parisien" halte eine Unterredung mit dem gegenwärtig in Paris weilenden Großfürsten Nikolaus Michaelo- witsch: dreier soll gesagt haben, er finde die Haltung, welche die sranzösische Presse dem Kaiser Nikolaus gegenüber beobachtete, in jeder Hinsicht sehr bedauerlich. Die französischen Blätter hätten alle Depeschen der englischen Zeitungen und alle erstindenen Gerüchte über die Ereignisse vom letzten Sonntage mit Behagen abgedruckt: dies habe einen bemerkenswerten Ein druck in Rußland hcrvorgcrusen. Die Sozialisten und Radikale» betreiben umer der Führung von Jaurös und Clömenccaus ganz offen die Kündigung des r u ssi s ch-> r a nz ö si schc n Bündnisses und befürworten eifrig den Abschluß cincs Bündnisses mit England. Tic Zeitungen „Aurore", „Humanitö", „Petite Nr'publique" und „Action" haben gemein sam mit anderen radikalen Blättern den Feldzug zur Er reichung dieses Zieles begonnen. Deutsches Reich. In den reich geschmückten Fest- räurnen feierte der Reichstag den Geburtstag des Deutschen Kaisers. Zwischen vierzig bis fünfzig Personen, darunter der Präsident Graf Ballestrem uni die Vizepräsidenten Graf zu Stolberg - Wernigerode und Ta. Paasche, halten sich zum Mahl eingestellt. Ten einzigen Toast brachte der Präsident Graf Ballestrem auf das.aller höchste Geburtstagskind aus, indem er u. a. sagte: Ich spreche von dem Aufstand in S ü d w c st a f r i k a. Die deutsche Armee hat wieder gezeigt, daß der lan^e Friede nicht entnervend auf sie gewirkt hat: die deutschen Offiziere haben wieder gezeigt, daß sie nicht Schlemmer und Prasser sind, sondern daß sic, wo cs darauf ankommt, ihr Leben freudig sür Kaiser, Lanbcsyerrn und Vaterland hingevcn! ILebhastes Bravo!s Meine Herren, es war vielleicht an der Zeit, daß das wieder einmal gezeigt wurde. Tenn, von einzelnen Ereignissen ausgehend, hatte eine böswillige Presse es sich besonders angelegen sein lassen, die Ehre unserer Armee und die Ehre unserer Offiziere in den Kot zu ziehen. Wenn man nur die Schreiber dieser Artikel jetzt dort hmschickte (große Heiterkeit), dann woll ten wir einmal sehen, ob sic das reisten würden, was die von ihnen vielgejchmähten Offiziere und Soldaten leisten! (Leb haftes Bravo!) Meine Herren, dieses Gefühl muß auch ein Trost für das landesväterliche Herz Seiner Majestät gewesen sein, wenn er gesehen hat, wie die Angehörigen seiner Armee und die der anderen Bundesstaaten sich so bewährt haben in diesem ungewöhnlichen Kampfe, wie sie sich nur jemals bewährt haben in europäischen Kämpfen. Viele schmerzliche Verluste haben ja einzelne erlitten: aber das allgemeine Gefühl wird doch das sein, daß man sich sür die Zukunft erhoben und ge sichert fühlt, wenn man unter dem Schutz« einer solchen Arme« steht. (Lebhaftes Bravo!) Meine Herren, dann war es wohl auch noch im vergangenen Jahre der große Krieg in Ost- asien, der wohl den Leiter eines so großen Gemeinwesens, wie das Deutsche Reich ist, mit einer gewissen Besorgnis er füllte. Meine Herren, wieder hat sich Se. Majestät der Kaiser als der I r i ed e n sf ü rst bewährt, der er immer war. Wieder hat er es verstanden, das Staatsschifs durch sein« Regierung — daS Reichsschiff, sagen wir—so leiten zu lassen, daß der Friede für uns weder bis jetzt gestört ist, noch daß eine Befürchtung nach dieser Richtung hin vorliegk. Es ist >a das hervorragende Verdienst unseres Kaisers, daß er den Frieden überall vertritt. Diesmal war er nur zu vertreten dadurch, daß man eine strenge Neutralität beobachtete, und die ist auch be wahrt worden. Auch diese Gefahr ist für das Deutsche Reich vorübergegangen, und der Kaiser kann mit Genugturum auf die Aktion sehen, die auf seine Anordnung von seiner Regierung getroffen worden ist. Noch in den letzten Zeiten ist gewiß das landesväterliche Herz Sr. Majestät sehr bewegt durch den großen Ausstand in Westfalen, und ans sein« Anordnung hin sind seine Organe lebhaft bemüht, dort den Frieden wiedcrherzusteÜen, auch den inneren Frieden! Wir wollen zu Gott hoffen, daß ihnen das unter Berücksichtigung aller Verhältnisse und aller Interessen gelingen möge. Meine Herren, so ist es im Leben, wie es in diesem Lebensjahre des Kaisers war, auch. Es ist Trübes und Heiteres, cs ist Schweres uno Leichtes vorüber- gegangcn, und das muß ein Monarch mehr tragen als andere. Er steht immer vor aller Augen, jeder Mensch beurteilt ihn nach jedem Worte, nach jeder Tat, und sich da immer in der rich tigen Mitte zu Hallen, ist schwer — sehr schwer. Aber unser Kaiser versteht das außerordentlich. Er ist immer derjenige, welcher in allen Lagen des Lebens und der Politik für den Frieden und die mittlere Linie eintritt und dadurch dem Reich« ungeheure Segnungen verschafft. In dem Gefühl der 'Dank barkeit gegen diese Tätigkeit unseres erlauchten Rcrchsoder- hauptes bitte ich Sie, Ihre Gläwr zu erheben und mit mir zu rufen: „Unser liebes, hochverehrtes Reichsoberhaupt, Seine Majestät Wilhelm II,, Deutscher Kaiser, König von Preußen, er lebe hoch, hoch, hoch!" Die Versammlung stimmte be geistert ein. Nach Aushebung der Tafel blieben die Reichs- tagsmittzlieder in fröhlichster Stimmung längere Zeit beisam men, während das Reichstagsgebäud« seine Kerzen zur Feier des großen Festtages leuchten ließ, unter deren Schein die «dien architektonischen Formen des Gebäudes in ihrer Schönheit her- oortraten. In M ü n ch e n fand die übliche Festtafel der Offiziere des Beurlaubtenstandes aus Anlaß des Geburtstages deS Kaisers statt. Vom König!. Hose wohnten dem Festabend bei die Prinzen Ludwig. Rupprecht, Leopold, Konrad, Arnulf. Heinrich und Alfons: außerdem waren noch der preußische Üsga- tronsrat Freiherr v. Werthern und der Altach« bei der preu ßischen Gesandtschaft Freiherr v. Welzeck, Generalmajor und Brigadekommandeur Graf, mehrere Stabsoffiziere und an 200 Reserve- und Landwehrossizicrc anwesend. Nach einigen Gängen erhob sich P r i n z Ludw ig zu einem Toast auf den Prin z- Regenten, in dem er ausführte, daß der diesmalige Fest tag sür des Kaisers Geburtstag kein ungetrübter Tag der Freude sei, denn der zweite Sohn des Kaisers sei schwer erkrankt: „Wenn wir bedenken, welchen lebhaften Anteil der Kaiser bei allen Unglücksfällen nimmt, so werden wir mitfühlen können, was der Kaiser heute im Innersten seines Herzens cmpsind-t. Möge das Schlimmste abgewendet werden! Möge der junge Prinz bald wieder gesunden und ebenso gesund und kräftig wer den wie sein seliger Großvater! Mehr, glaube ich, kann ich n-cht wünschen. Dem Kaiser danken wir, daß wir in dem verflossenen Jahre nicht in emeo großen Krieg verwickelt worden sind. Dverdrrev Nachrichten. 2V. Seile 3. M» Somitaa. LS. Januar 1VV3