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.« 146, 26. Juni 1912. Nichtamtlicher Teil. beginnt die Gefahr, daß der Käufer, der bisher doch an pas sant die Buchhandlung aufgesucht hat, seinen geringen Be darf nur durch Automaten deckt und die wertvollsten Künste des Sortimenters: literarische Kenntnisse, persönliche Liebens würdigkeit Überredungsgabe brach gelegt und zur Heran ziehung neuer Kunden auSgeschaltct werden. Na, wir müssen uns damit abfinden und werden cs ja auch tun; nur ver schärft es eben dann dem Sortimenter den Kampf ums Dasein. Daß auch der Verlag immer wieder erfährt, daß Mensch sein, Kämpfer sein, heißt, hat uns das Rundschreiben des Modernen Vcrlagsbureaus, Curt Wigand, Berlin, gezeigt, das voll teutonischen Zornes die vom Deutschen Verlegerverein in einigen krassen Fällen des Kommissionsverlags verurteilte Taktik verteidigt. Leider ziehen derartige Enthül lungen meist weitere nach sich. So bringt die Zeitschrift »Janus« in ihrem 1. Juni-Hest die Angabe zweier weiteren Firmen, die nicht ganz einwandfrei in Kommission verlegen sollen. Der Inhaber der dabei erwähnten Münchener Firma ist, wie Curt Wigand, selbst Schriftsteller und hat, wie er, auch die Wandlung vom Idealisten zum rein praktisch handelnden Realisten durchgemacht, wodurch natürlich die Gründe für die beanstandete Geschäftsführung weder triftiger noch ethischer werden. Eine Titel-Duplizität ist durch gerichtliche Ent scheidung geregelt worden. Das Deutsche Verlagshaus »Vita«, Charlottenburg, das seit längerer Zeit die Bühnc»- zeitschrift »Die Szene« herausgibt, hat den hiesigen Drei Masken Verlag, der seit diesem Jahre gleichfalls eine Theater- Zeitschrift mit demselben Titel erscheinen läßt, auf Unter lassung der Führung dieses Namens verklagt und ein obsiegen des Urteil erlangt. Nach ihm ist dem Drei Masken Verlag bei Vermeidung einer Strafe von 1500 verboten, seine Zeitschrift unter dem Titel »Die Szene« herauszugeben. Ein weiterer Fall, der leider einen Blick in die Ab gründe des Lebens tun läßt, hat die hiesigen Gerichte be schäftigt. Der ehemalige Sortimentsbuchhändler Barten - Hauser, der hier ein ganz gut gehendes Geschäft besaß, hat das ihm geschenkte unbegrenzte Vertrauen in seiner Eigen schaft als Kassierer des Christkatholischen Begräbnisvereins mißbraucht und Unterschlagungen von über 180 000 .ckk begangen. Da der Angeklagte nach Aussage der Arzte wegen seines schweren Herzleidens nicht vcrhandlungsfähig ist, mußte der Fall auf unbestimmte Zeit vertagt werden, und so scheint cS den», daß ihm das Schlimmste, der Weg ins Gefängnis, vom Schicksal erspart wird. Sei's Habsucht, sei's verfehlte Speku lation, was ihn zu diesen Vertrauensbruch verleitete — ziehen wir den Schleier darüber. Auch der Wiener Prozeß Stern hat einige Lichter auf München geworfen, da es gerade ein Münchener Schrift steller war, der den »Roman einer Sängerin« bei Stern be stellte und mit seiner Anzeige bei der Wiener Polizei die Anklage veranlaßte. Als Mitglied eines Sittlichkcitsvereins glaubte er natürlich eine Pflicht zu erfüllen, wenn er einen Betrieb lahmlegte, der, nach seiner Anschauung, eine Pestbeule am Staatskörper bildete. Ob er so ganz unrecht hat? Lassen wir den wissenschaftlichen, den kulturgeschichtlichen Wert der beurteilten Werke auch bestehen, so bilden solche sittengeschicht liche Erscheinungen doch immer eine gewisse Gefahr, sobald ihre Anschaffung durch bequeme Zahlungsweise, durch das Erscheinen in Lieferungen erleichtert wird, und sie dadurch dem Volke zugänglich gemacht werden. Daß wir einen schier unerschöpflichen Born an wirklich girier Literatur ohne den die Sinne überreizenden Paprika be sitzen, das zeigt uns die Bayerische Gewerbeschau, die Heuer den Clou für München bildet. Alle Zweige, Por zellan-, Textil-, Eisen-, Spielwarenindustrie usw. haben reich haltig ausgestellt und verlocken mit ihren faszinierenden Schau- Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 79. Jahrgang. stellungen zum Kauf. Nur der Buchhandel zeigt eine arge AuS- stellungsmüdigkeit. Ganze sieben Verlage zeigen »München als Verlegerstadt«. Die erst seit einigen Jahren bestehende Firma Melchior Kupferschmid, die seinerzeit die Verlags übernahme des Wohl besten Werkes über Reklame: Kropeit, Reklame-Schule, gewagt hat, ist mit ihrer kleinen »Sammlung Kupferschmid« vertrete», die in ihren bis jetzt erschienenen 10 Bändchen zeigt, daß sic an der deutschen Erziehung nach besten Kräften mithelsen will. Die Ausstattung der Broschü ren ist zwar einfach, ohne jedes Raffinement, aber doch ge schmackvoll. Etwas mehr Abwechslung hätte der Verlag der Ärztlichen Rundschau, Otto Gmelin, bei seinen gebundenen Büchern anwcnden dürfen. Das monotone, ganz gleichmäßige Blau der Einbände, die zudem die Titel ohne jede Ornamentik ganz puritanisch, im einfachsten Satze tragen, wirkt zu wenig anziehend, fast einschläfernd. Durch die geschmackvolle Ausstattung des Pfadfinderbuches, durch dessen Herausgabe sich die Firma ein außerordentliches Ver dienst erwarb, hat sie doch bewiesen, daß sie dem neu zeitlichen Geschmack Rechnung trägt. Warum nicht auch hier bei dem Einband für die Ausstellung? Die Tendenz des Verlages, Medizin, hauptsächlich populäre Medizin, erlaubt ja allerdings an und für sich keine besonderen typographischen Extravaganzen, aber etwas weniger konservative Ausstattung wäre doch besser. Einen großen Fortschritt zeigt da derVer - lag der Jugendblätter, Carl Aug. Seyfried L Comp., der mit einer kleinen Auswahl seines Verlages vertreten ist. Einige Jahrgänge der Jugendblätter, die hübsch ausgestattetc Sammlung der »Quellen«, die ja als Kampfmittel gegen die Schundliteratur bekannt ist, dje Bücher der deut schen Jugend in ihren geschmackvollen, modern gedachten Leinenbändcn, und last not least das herrliche »Kaulbach- Güll-Bildcrbuch«, sic geben Zeugnis von einem vorwörts- strebenden Verlag, der sich dem Zeitgeist anpatzt. Wenn man aber die Werke der noch übriggebliebenen aussteUendcn Münchener Verlage betrachtet, dann merkt man den FIllgelschlag der neuen Zeit, die mit ihrem Wehen all den alten Krimskrams überladenen Zierats, den Sinn zerstören der überreicher Ornamentik aufräumt, und dem Geist des Buches schon durch die Form gerecht wird. Type, Papier und Einband sind mit feinem Empfinden immer speziell für das einzelne Buch gewählt; cs spricht uns also schon durch sein Äußeres richtig an; es läßt uns schon durch seine Aus stattung in seinen Inhalt hineinfühlen. Die Firma Eugen Ren 1 sch hat mit ihrer Sammlung »Pandora« die reichen, verschütteten Goldadern der Vergangenheit neu ausgedeckt. »Heine und die Frau«, »Marlowe, Doktor Faustus«, »Les- sings Religion«, »Aus der großen Zeit des deutschen Thea ters«, »Das poetische Berlin«, »Nordische Dichtungen«, »Rahel und ihrer Zeit«, das sind alles Themata, die in unserer gegenwärtigen Rcligionsentwicklung, in der Zeit der Fraucn- emanzipation, in einer Zeit, in der auf dem Gebiete des Thea ters, wie der Literatur, ein eigentlicher Führer fehlt, allge mein das Interesse in Anspruch nehmen. Wenn uns gar oft die Überproduktion der Gegenwart erschreckt, wenn uns »die Fülle der Gesichte« verwirrt, so gibt ein Blick in die Vergangen heit, in jene selige Zeit, da die Menschen noch Zeit hatten, ihr eigenes Leben zu leben, uns die Ruhe wieder, die uns auf uns selbst besinnen läßt. Dem aber, der es zu ge nießen weiß, ist so ein Buch, das in Inhalt und Ausstattung ein Ganzes bildet, ein köstlicher Gewinn. Etwas tiefer und in weiterlaufende Gänge schürft die Firma Martin Mörike mit ihren geschmackvollen Aus gaben des »Don Quixote«, »Grimmelshausen, Abenteuer«, und all den anderen Bänden ihrer dem Sortimenter ja be kannten Sammlungen. Ein Kabinettspick in unserer, an guten humoristischen Werken etwas armen Literatur bildet das te z