Volltext Seite (XML)
Sonderling schildert. Alles ist so klar und wahr dargestellt.; das; man das Leben seiner Zeit nutzufühlen, mitzuleben ver meint. Daß bei ihm als Dramatiker die dramatischen Effekte nicht fehlen, ist eigentlich selbstverständlich. Das; die Er innerung das eine und andere Ergebnis etwas verwischt hat, ist erklärlich, und es ist wohl ein bißchen Treppenwitz eingeflossen bei dem, was er im besten Glauben über das En gagement von Josef Kainz erzählt, da dessen Briefe, die in der soeben erschienenen Sammlung »Der junge Kainz« herausge geben wurden, eine ziemlich abweichende Vermutung zulassen. Und dabei plaudert er von seinem Busenfreunde Kainz gern, erzählt so manche heitere, gemeinsam erlebte Episode und schil dert eingehend die paarWochen, die dieser mit König Ludwigll. verlebt hat. Die wenigen Seilen aber, die er über diesen Sonnenkönig, für den die Münchener heute noch schwärmen, gebracht hat, bilden das Beste, was über ihn je geurteilt wor den ist. Über all dem Schönen, Guten. Wahren, das er in München erlebt hat, vergißt er aber auch nicht die Dissonanzen des Lebens. Und so tönt denn auch in diesem Sang des Münchener Lebens gar manchmal das Lied vom Leid, das gar oft in Nacht und Grauen endet. Martin Greif, verbittert; Alfred Meißner, der sich die Kehle durchschnitten; Hevesi, der in den Tod getrieben wurde; Racowitza, die ihrem ruhelosen Dasein selbst ein Ziel gesetzt hat. Nur ein Schlemihl kommt ohne den Schatten solcher durchs Leben, »die sind gewandert von Ort zu Ort — sie hatten weder Glück noch Stern — sie sind gestorben, verdorben« G. Recknagel. Kleine Mitteilungen. Schundliteratur und Volkswirtschaft. — Die jetzt bei Ernst Reinhardt in München erscheinende Halbmonatsschrift für politische Bildung »Der Staatsbürger« brachte in ihrem zweiten Maiheft 1912 (Nr. 10) aus der Feder ihres Herausgebers, des Professors vr. Hanns Dorn, einen längeren Aufsatz: Die Schund literatur vom Standpunkte der Volkswirtschaft. Für den Nationalökonomen gehöre die Frage der Schundliteratur, so führt der Verfasser aus, in das Kapitel »Ethik und Volkswirtschaft« für ihn sei die Schundliteratur zunächst einfach ein Stück unserer volkswirtschaftlichen Produktion, ein Stück Buchgewerbe und ein Stück Buchhandel. Wenn der Nationalökonom aber einen Blick habe für die Zusammenhänge zwischen »Ethik und Volks Wirtschaft«, dann sehe er in dieser Schundliteratur mehr als ein gewöhnliches Stück gewerblicher Produktion; er sehe darin eine Produktion besonderer Art: eine im »ethischen Sinne unproduktive Produktion«. Der Verfasser versucht dann unter Veröffentlichung von vielen Zahlenangaben, meist dem Werke von E. Schultze: Die Schundliteratur, 2. Ausl., 1911, entnommen, der Beantwortung der Frage nahezukommen, wie groß die unproduktive Wirt schaftliche Arbeit ist, die alljährlich auf die Schundliteratur ver wendet wird. »Aber die paar Beispiele, die verbürgt sind«, sagt er, »sind schon ernst genug, um den Nationalökonomen die Mit arbeit in dieser Sache nahezulegen.« Vor allem sei vom wirtschaftlichen Standpunkt zweierlei nötig: Erkennen und Handeln. Nachdem er aufgeführt hat, welche Fülle von volkswirtschaftlichem und sozialpolitischem For schungsstoff die Frage der Schundliteratur trotz der vielen in dieser Hinsicht bereits getanen Arbeit immer noch in sich birgt, geht Professor Dorn näher auf die wirtschaftlichen Grundlinien des Kampfes gegen die Schundliteratur ein und führt wörtlich folgendes aus: Vom Standpunkt der praktischen Bekämpfung der Schund literatur darf der Wert solcher theoretischen Erkenntnisarbeit nicht gering eingeschätzt werden. Denn nur eine gründliche und syste matische Untersuchung aller einschlägigen wirtschaftlichen Fragen wird uns bewahren vor Fehlschlägen und Enttäuschungen in diesem Kampfe. Freilich mit der Erkenntnis allein ist es nicht getan. Der Er kenntnis muß die Tat folgen. Wir wollen hier keine Professoren arbeit machen. Wollen letzten Endes die Schundliteratur nicht erforschen, sondern bekämpfen. Auch zu diesem Kampfe führt für den Pädagogen, für den Literaten und für den Nationalökonomen eine getrennte Marsch route. Der Nationalökonom, der die Macht wirtschaftlicher Tatsachen aus der nächsten Nähe sieht, hält nicht allzu viel vom »Unterdrücken« der Schundliteratur mit Ge waltmaßregeln. Er erwartet wenig vom Strafgesetz, er knüpft keine großen Hoffnungen an Polizeiverbote. Er sieht auch nicht das Heil in Verfügungen der Verwaltung. Alle solche Maßregeln zur Unterdrückung können da und dort von Nutzen sein; namentlich gegenüber den schlimmsten Fällen. Aber sie treffen alle das Übel nicht an der Wurzel. Für den wirtschaftlich Denkenden liegt die Sache einfach so; Hier ist ein Bedarf nach Lektüre, hier sind tausend und aber tausend Bücherkäufer, Kunden. Diese Kunden sind bis heute in schlechten Händen. Sehen wir zu, daß sie in bessere Hände kommen; in unsere Hände. Also müssen wir in irgendeiner Form in Produktion und Vertrieb eingreifen. Entweder selbst produzieren und Handel treiben — was eine nicht ungefährliche Sache ist — oder Produzenten und Händler beeinflussen. Produzenten und Händler der Schundliteratur sind also ein fach unsere Konkurrenten, denen wir die Kundschaft nehmen wollen. Das wird kaum gelingen, wenn wir zum Kunden sagen: »So was sollst du nicht kaufen, siehe, was du da kaufst, ist un- sittlich; das ist moralisch verwerflich. Kaufe unsere Produkte, die sind auf einem so viel höheren sittlichen Niveau«. So wird es nicht gehen. Mindestens nicht bei den Erwachsenen; mit Predigen und guten Worten werden wir die Konkurrenz nicht schlagen. Wie sollen wir das fertigbringen? Erschrecken Sie nicht! Offenbar nur, indem wir recht gute Geschäfts leute sind. Ich betone absichtlich das brutale Wort »Geschäft«. Ich weiß, daß das manchem hart ins Ohr klingt. Die Idealisten vom reinsten Wasser sind überzeugt von der Kraft unserer sittlichen Idee; sie haben keine Neigung für das häßliche Wort »Geschäft«. Und doch ist dies ganz gewiß: Wir führen hier für eine Idee einen Kampf gegen wirtschaftliche Kräfte. Und wir kommen in diesem Kampfe nicht vorwärts, wenn wir nicht volles Verständnis für die Stärke unseres Gegners haben. Darum müssen wir den Kampf so gestalten, müssen namentlich alle neuen Gründungen, alle Gegengründungen so einrichten, daß sie ein Geschäft werden, vor allem für die beiden Hauptbeteiligten, die Verleger und die Kolporteure oder Sortimenter. Das gilt von unserer Arbeit im großen und ganzen; nicht minder aber auch von allen Einzelheiten: Wir müssen ebenso billig sein, müssen geradeso angenehme Lieferungsbedingungen bieten, müssen gleich hübsche und schmackhafte Ware offerieren wie die Konkurrenz. Wir müssen den Sortimentern und Kolpor teuren gleich gute oder noch bessere Rabatte geben; müssen ebenso tüchtige Akquisiteure, geradeso geschickte Propagandisten zur Ver fügung haben wir unsere Konkurrenten, und wir müssen auch recht gefällig dem Kunden entgegenkommen und beileibe nicht laut und aufdringlich sein mit unserer Moral. Denn wer kauft will nicht erzogen werden. Kurz: Wir müssen alle Praktiken, denen die Konkurrenz den Erfolg verdankt, über nehmen, soweit immer unser Endziel dies erlaubt. Unser Endziel aber bleibt: Gute Literatur an die Stelle von schlechter zu setzen. Wenn wir nur dieses Endziel sicher im Auge behalten, dann brauchen wir keine Angst zu haben: Wir verlieren nichts an idealer Stoßkraft, wenn wir tüchtige Geschäfts leute sind. Wir brauchen diese geschäftliche Tüchtigkeit. Denn noch keine Kulturbewegung hat dauernden Erfolg gehabt, die in Widerspruch trat zu ökonomischen Wirklichkeiten. Gerade auf einem Kulturgebiet, wo die sittliche Idee und die wirtschaftliche Wirklichkeit so nahe beieinander wohnen, tut es doppelt not, sich über die Grenzen der Macht der Idee recht klar zu sein. Geben wir uns keiner Täuschung hin: Es geht hier wie überall im menschlichen Leben: Unsere sittlichen Ideale setzen das Endziel. Die wirtschaftliche Wirklichkeit bestimmt die Wege, auf denen wir allein dem Endziel näher kommen.