Volltext Seite (XML)
^ 72, 27. März 1912. Nichtamtlicher Teil. Mrs-Nblatt I. d. Dtjchn. Bllchyand-I. 3981 mannigfache Art belebt. Man tupft mit einem Papierknäuel unregelmäßige Punkte hinein, wodurch oft hübsch geformte Blumenmuster entstehen, oder man führt ein Papier über die Fläche hin, wodurch die Farbe verschieden stark mitgenommen und verteilt wird oder unterbricht die Regelmäßigkeit auf irgend eine andere beliebige Weise. Dann läßt man das Blatt trocknen, und das Papier ist zum Gebrauch fertig. Umständlicher, älter und kunstvoller ist das Tunk-Verfahren. Die erste Beschreibung findet sich in der 1679 erschienenen ars vitraria siporimsntalis des Chemikers Kunckel von Löwenstern. Man denke sich einen großen, flachen Blech kasten, der mit einer Abkochung von Carragheenemoos (irländisches, fälschlich auch isländisches Moos genannt) gefüllt wird. Das -Moos« ist ein Tang, der in seichtem Meerwasser besonders in Irland gesammelt wird; es hat die Eigenschaft, mit Wasser gekocht eine eigenartig schleimige Masse zu bilden, die je nach der Menge des Mooses von mehr oder weniger schwererem spezifischen Gewicht ist als Wasser. Auf die Oberfläche dieser Masse werden nun beliebig viele Farben, die mit Ochsengalle versetzt sind, mit gebogenen Borstenpinseln oder solchen aus Reisstroh auf getragen und aufgespritzt. Die Tropfen und Tröpfchen liegen dann auf der Oberfläche der Masse, ohne darin einzusinken, und dehnen sich in verschiedenem Umfange aus. Mit Stäbchenoder kammartigen Instrumenten werden nun die aufliegenden Farben auseinandergezogen, in Bogen ge wellt, in schwingende Linien oder in quirlähnliche Ver schlingungen, kurz in die verschiedenste Form gebracht. Auf andere Weise entstehen die marmorierten Formen. Zwar hat sich der alte Ausdruck marmoriert auch für das geschilderte Verfahren erhalten. Man nennt die mit Stäbchen gezogenen Formen gezogener Marmor, im Unterschied zu dem »türkischen Marmor-, der wie folgt entsteht: Auf die auf der Oberfläche schwimmenden Farben wird noch eine mit Seifenspiritus versetzte Farbe aufgespritzt. Der Seifenspiritus hat die Eigenschaft, die anderen Farben zu zerteilen und auseinanderzusprengen und es entstehen dann Gebilde wie Marmoradern. Auf diese auf die eine oder andere Weise geschaffene schwimmende Farbschicht wird nun ein Bogen Papier gelegt und sofort wieder abgezogen. Die Farbschicht hat sich dann auf das Papier übertragen, sie löst dieses teilweise aus und dringt derartig in dasselbe hinein, daß die Schicht nie mals wieder abgelöst werden kann, wie das bei maschinell hergestellten ähnlichen Papieren der Fall ist. Die Papiere erhalten bei beiden Verfahren, dem Kleister- wie dem Tunk verfahren, eine außerordentliche Festigkeit. Büttenpapier ist dabei geradezu unzerreißbar geworden. Damit bezogene Einbände sehen nach jahrelangem Gebrauch noch wie neu aus, die Kanten selbst zeigen kaum Spuren der Abnutzung. Das steht man an den Proben der Kirchenrechnungen aus dem 18. Jahrhundert. Natürlich müssen auch die Einbände für vielbenutzte Bücher gute Arbeit sein. Was im Buchhandel unter der Bezeichnung Halbfranz band alles läuft, ist fast als Irreführung des Publikums zu betrachten. Die Bezeichnung Franz- oder Halbfranzband sollte ursprünglich und auch wohl jetzt noch etwas hervor ragend Gutes bedeuten; führt sie doch den Namen nach der Blüte-Epoche der Buchbindekunst in Frankreich unter Franz I. (ISIS—1S47). Ein solcher Band darf vor allem nicht in die fertige Decke einfach »eingehangen-, dabei mit den Enden der Bünde angeklebt werden, sondern diese müssen durch die Decke oder mindestens nach außen auf die Decke geführt und unter dem Leder sich befinden. Ein solches Buch kann also niemals in die fertige Decke eingehängt werden. Dafür ist ein richtiger Halbfranzband aber auch von unverwüstlicher Dauer. Das nebenher I Aus die gleiche Weise des Tunkverfahrens wird das Marmorieren des Bücherschnittes erreicht, und wie die Vor satz- und Deckelpapiere, die mit dem geschilderten Hand verfahren hergestellt find, eine ganz andere Leuchtkraft der Farben besitzen als die durch Maschinen hergestellten Surro gate, so macht auch ein Schnitt mit dem Tunkoerfahren her gestellt einen ganz andern Eindruck als ein mit Abziehpapier erreichter. Nun könnte man freilich einwenden, daß besonders das Tunkverfahren mit reiner Spritztechnik in das Gebiet der Zufallskunst falle, also eine Afterkunst sei, wie sie u. a. auch in der seit 1909 bestehenden Stuttgarter Geschmacks verirrungs-Ausstellung im Landesgewerbemuseum als Muster geschmackloser Kunst zu sehen ist (Pazaurek hat über die Ausstellung ein interessantes Buch »Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe- veröffentlicht)'). Das dürfte aber der vorschnelle Schluß eines Theoretikers sein. Zunächst setzt schon die Farbenwahl ein ausgebildetes Geschmack vermögen voraus. Der Praktiker muß oft zahlreiche Versuche machen, ehe ihm die Farben, deren Mischung übrigens die größte Sorgfalt erfordert, in ihrer Zusammenstellung genügen; auch die Reihenfolge im Auftrag der Farben ist nicht gleich gültig, da das verschiedenste Verhallen gegeneinander fest- gestellt werden muß. Dann aber kann der Künstler, dem ein fertiges Bild vor seinem innern Auge steht, die Wirkungen ziemlich genau berechnen, die er erzielen will. Weiterhin müssen seine Hantierungen von großer Schnelligkeit sein, weil die rasch eintretende Hautbildung auf der Schleimschicht vermieden werden muß. Alles in allem: es kann einer noch so gut theoretisch die Vorgänge verstehen, und er kann praktisch nicht das unvollkommenste Muster zustande bringen; denn zu guten Leistungen in diesem Verfahren gehört ein gut ausgebildeter Künstler! Die Ausstellung weist auch noch Proben anderer Ver fahren auf; so den Prägedruck, meistens Goldprägungen auf farbigen Papieren aus dem 18. Jahrhundert von Joh. Mich. Munck und Joh. Mich. Reymund in Augsburg, Eckart in Nürnberg u. a. m. Diese Sachen entsprechen mit ihrer Fülle von Ornamentik nicht mehr dem modernen Geschmack. Bis in die neueste Zeit hat sich die Beliebtheit der »gesprengten» (bester wohl gesprenkelten) Kleisterpapierc erhalten, ein Ver fahren, dessen Erklärung schon die Bezeichnung in sich schließt. Von neueren Meistern rühren außer Stempeldrucken auch Linoleumdrucke her, bei denen also die Muster aus Linoleum flächen ausgestanzt und dann abgedruckt werden. So haben sich im Lauf der Zeiten die Verfahren vermehrt, deren Krone aber immer die Handarbeiten der Kleister- und Tunktechnik bleiben werden. G. Hölscher. Kleine Mitteilungen. Prämie» einer Nährmittelsabrik. — In Nr. 63 des Börsenblatts vom 16. März 1912 befindet sich in dem Aufsatz »Berliner Briese« aus Seite 3435 auch die Mitteilung, daß eine Nährmittelsabrik ihren Kunden neben anderen Zuwendungen auch 400 Exemplare von Professor Bocks Buch vom ge- »> Eine Stelle aus dem amüsanten Buche möchte ich hier wiedergeben: ... wenn man so rätselhafte Schristgattungen aus- brütet, daß man zur Entzifferung jedes Wortes eine Halbs Ewig keit benötigt, als hätte man Briese von Lionardo oder Maximilian, dem letzten Ritter, herauszutüsteln — wenn der breite Satzspiegel eines Quersormatbuches keine Kolumnenteilung ausweist, so daß man nur mit einem Lineal lesen oder mühsam probieren muß, ob der Anfang einer Zeile zum Schluß der eben gelesenen Zeile passen könnte — wenn tausend solche Unzweckmäßigkeiten uns aus Schritt und Tritt verfolgen, dann müssen wir doch zur Über zeugung kommen, daß man den Fragen der Zweckmäßigkeit doch wohl nicht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit schenkt iS. 165). 514»