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Die marxistische Stadtgeschichtsforschung geht demgegenüber von dem gemein samen theoretischen Standpunkt aus, daß der Prozeß der gesellschaftlichen Arbeits teilung in seiner Differenziertheit und Wechselwirkung die wichtigste Vorausset zung für die Herausbildung städtischer Verhältnisse darstellt. Besonders Junghanns, Herrmann, Hensel, aber auch Müller-Mertens, Czok, Brachmann u. a. haben von jeweils unterschiedlichen Aspekten aus zu Fragen früh städtischer Entwicklung Stellung genommen. Am umfassendsten äußerten sich dazu Hensel (1967) und Herrmann (1974; 1976 a). Sie orientierten sich vor allem an den Forschungsergebnissen in Polen und an den böhmischen und großmährischen Burg wällen, da teilweise im Gebiet zwischen Saale und Neiße aus verschiedenen Grün den solche prägnanten Ergebnisse fehlen und Ansätze zur frühstädtischen Entwick lung auch nicht in diesem Umfang zu erwarten sind. In Anlehnung an andere Historiker stellt Hensel Kriterien heraus, „die die Mög lichkeit bieten, ein Ortsforschungsobjekt als städtische Siedlung anzuerkennen“ (Hensel 1967, S. 14), und gliedert die frühstädtische Entwicklung in zwei Stufen mit unterschiedlichem Niveau: den Stadtkeim und die Stadt mit Lokalrecht. Unter Stadtkeimen versteht er „Mittelpunkte, in denen die Bevölkerung nichtlandwirt schaftliche Tätigkeit ausübte, wo in offenen Siedlungen bei der Burg bzw. im Be reich einer Burg, am Hofe eines Feudalherren Kaufleute und Handwerker siedel ten, die sich aber auch weiterhin in hohem Maße mit typisch bäuerlichen Arbeiten befaßten (ebenda, S. 29). Die Stadt mit Lokalrecht identifiziert Hensel z. B. mit den Verhältnissen in Mi- kulcice und den Suburbien in Polen, aber auch im Gebiet zwischen Saale und Neiße mit solchen Orten wie Meißen und Bautzen u. a. Für Mikulcice stellt er als wesent liche Merkmale die großangelegte Siedlung mit städtischem Charakter, die soziale und berufliche Differenzierung der Bewohner, die Bedeutung als Zentrum des po litischen und religiösen Lebens sowie das Vorhandensein mindestens eines befestig ten Suburbiums heraus, während er bei den Suburbien in Polen die dichte Bebauung, die relativ große Zahl von Produktionswerkstätten verschiedener Art sowie die ge ringe Zahl der für landwirtschaftliche Zwecke genutzten Gebäude und das Vor handensein von Lebensmittel verarbeitenden Gewerben besonders betont (ebenda, S. 68, 89 f.). Eine rechtliche Sonderstellung der Lokalrechtsstädte ist an anderer Stelle erwähnt (ebenda, S. 114). Dabei sieht Hensel ein wichtiges Kriterium für das Vorhandensein städtischer Verhältnisse in der Frage, ob die ansässigen Handwer ker vorwiegend auf Bestellung oder für den Markt produzierten (ebenda, S. 66). Von Bedeutung für die Frühstadtforschung auf dem Gebiet der DDR und dar über hinaus sind die von Herrmann in den siebziger Jahren erarbeiteten vier „ge nerellen Stufen“ 9 der Herausbildung städtischer Verhältnisse (Herrmann 1976 b, 9 Herrmann sieht folgende vier Stufen der Stadtentwickung auf dem Gebiet der DDR: 1. die Her- ausbidung von Keimformen nichtagrarischer frühstädtischer Zentren seit dem 8./9. Jh.; 2. die volle Ausbildung frühstädtischer Zentren mit Marktrechten seit der ersten Hälfte des 10. Jh.; 3. die Anfänge der Bürgerstadt und des in Verbindung mit dem Kaufmann stehenden Marktes; 4. die Durchsetzung der Lokations- und Rechtsstadt als Form der städtebürgerlichen Gemeinde seit dem 12. Jh. (ausführlicher dazu Herrmann 1976 b, S. 176).