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und kirchlicher Hinsicht gefestigte Verhältnisse voraussetzt, die im Frühfeudalismus nur das Ergebnis eines jahrzehntelangen Prozesses sein können (Schlesinger 1962 a, S. 170), muß die weltliche Erwerbung des Gebietes zu einem weit früheren Zeit punkt erfolgt sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach geschah das zwischen 1005 und 1017, jedenfalls vor 1040. Den ersten Hinweis dazu lieferte die Urkunde von 995 (MGD O III, 174 A), in der Otto III. die Lehen des Merseburger Grafen Esico dem Meißner Bistum „in proprium“ schenkte. Die Urkunde ist erwiesenermaßen echt, aber die Lehen werden nicht einzeln aufgeführt, sondern es heißt nur „beneficium totum“. Erst in der nachweislich gefälschten Zweitausfertigung (MGD O III, 174 B) werden die Burgwarde Wurzen, Püchau, Pouch, Tiefensee und Löbnitz namentlich auf ge führt, neben einzelnen Dörfern, die alle westlich der Saale gesucht werden müssen. 26 Offensichtlich ist die echte Urkunde MGD O III, 174 A bei Esicos Tod nicht reali siert worden, denn die vier Muldenburgwarde, die wohl mit Wurzen, Pouch, Tiefen see und Löbnitz zu identifizieren sind, wurden an einen miles Thiedbern verlehnt (Thiet. VI, 16). Erst als dieser 1005 im Kampf gegen Boleslaw fiel (Thiet. VI, 22), bot sich die Möglichkeit, in den tatsächlichen Besitz dieser Burgwarde zu kommen. Allem Anschein nach hat die Urkunde MGD O III, 174 B, die in eine Reihe im Auf trage des Bischofs von Meißen angefertiger Fälschungen zu Beginn des 11. Jh. gehört (Beumann/Schlesinger 1955, S. 133), weitgehend die Funktion einer echten Urkunde ausgeübt (Schlesinger 1962 a, S. 90, 148). Denn neben Püchau läßt sich auch für die vier übrigen Burgwarde Restbesitz belegen. 27 Daß die Urkunde MGD O III, 174 B, zumindest für Wurzen, noch vor 1017 zur Wirkung kam, ist daraus zu schließen, daß der weltliche Besitz der Meißner Kirche über die 1017 festgelegte Bistumsgrenze hinausreicht (Thiet. VII, 52). Somit läßt sich mit einiger Sicherheit sagen, daß der Burgward Wurzen zwischen 1005 und 1017, spätestens bis 1040, an das Meißner Bistum gelangte, als Püchau als königliche Schenkung hinzukam (MGD H III, 59). Damit war die im 10. Jh. sich anbahnende territoriale Einheit wieder hergestellt, die 1114 mit dem Begriff „territorium Wurczensi“ umrissen wurde und in der sich wesentliche ökonomische, politische und ideologische Prozesse vollzogen. Ihre Ergeb nisse werden erstmals umfassender in der Fundationsurkunde des Wurzener Kolle- 26 Schlesinger sieht die aufgeführten Dörfer als die tatsächlichen Lehen an, die an die Meißener Kirche übertragen wurden (Schlesinger 1962 a, S. 303, Anm. zu S. 49). Ich halte es im Gegen satz zu Schlesinger, Bönhoff u. a. für wahrscheinlich, daß auch die Burgwarde zu den Lehen Esicos gehörten. Aufgrund dessen, daß Esico aber bis 1004 lebte und bis dahin ein Herrscher wechsel vollzogen war, wurde die Schenkung nicht realisiert. Dafür spricht auch, daß auch die einzeln genannten Dörfer, u. a. der in MGD O III, 174 B genannte Ort Unsci (Niederwünsch), im gleichen Jahr, als die vier Muldenburgwarde an den miles Thietbern (Thiet. VI, 16) gelang ten, an das Bistum Halberstadt verschenkt wurde (MGD H III, 62). 27 Die Realisierung der Besitzansprüche an den fünf in der Urkunde MGD O III, 174 B genannten Burgwarden ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, aber nicht mehr vollständig zu belegen. Am deutlichsten gelingt das bei Wurzen und Pouch. Aus der Gründungsurkunde des Kollegiatsstifts im Jahre 1114 geht hervor, daß der Bischof über beide Burgwarde wie über Eigengut der Kirche verfügte. Noch 1350 befand sich das Bistum Meißen im Besitz der weltlichen Gerichtsbarkeit in Pouch (CDS II, 1, 453). Auch um Löbnitz bis in die Gegend um Bitterfeld besaß das Bistum Streu besitz (Rhieme 1909, S. 432 f.). Außerdem ist urkundlich überliefert, daß der Bischof von Mei ßen in Löbnitz Kolonisten ansiedelte (CDS II, 1, 59).