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I 9 Fortsetzung/ „Wo ist Gott? Wer ist Gott? Wo haben wir ihn zu suchen?" Diese Fragen kamen mehr und minder klar zuweilen über ihre Lippen, und Pfarrer Braun fand nur eine ein zige Antwort: „Gott ist weder mit unserem Verstände zu suchen noch mit einem unserer Sinne wahrnehmbar Wir müssen ihn im Herzen tragen, in unserem Innern erleben und er fahren/' Solche kurzen Aussprachen wirkten zusammen mit der gesunden sittlich religiösen Luft, die im Pfarrhause herrschte, stärkend und belebend auf Sentas Gemüt Ihre alte Fröh lichkeit erwachte wieder, und die Trauer um den Vater lenkte in sanftere, ergebener? Bahnen ein. Auch daran hatte Pfarrer Braun ein gut Teil ge arbeitet Er hatte Sentas Vater von Kind auf gekannt Wie jetzt besten Tochter, so hatte einst auch der heißblütige Jüngling an seiner Seite gesessen und sich von ihm Rat und Trost geholt, ihm von seinen Plänen und Kämpfen erzählt Und dann war der Schlag für die Familie ge kommen, den niemand vorausgesehen hatte Diethelm hatte sich der Kunst zugewandt ohne den Willen des Vaters und war dafür enterbt und verstoßen worden Pfarrer Braun, der die menschliche Natur mit allen ihren Fehlern und Schwächen studiert hatte, sand für Diet helms Tun warme Entschuldigungsgründe. aber er verstand auch den stolzen Sinn des Grasen Maximilian, der sich da gegen verwahrte, die letzte Wolfsburgerin, den letzten Nach kömmling des alten Namens, zu deren Schutz der Bruder selbst ihn angerufen hatte, den Weg des Vaters einschlagen zu lasten. Senta sprach freilich selten genug von ihren Plänen Sie fragte nur immer nach dem Vater und konnte nicht müde werden, sich einzelne Züge aus seinem Leben erzählen zu lasten Aus dem Munde des Pfarrers Härte sie nur gute und edle Eigenschaften nennen, nie traf ein tadelndes Wort je eine der Handlungen ihres Vaters. Einmal aber hatte sie sich nicht enthalten können, zu rufen „Ich will werden, was Vater und Mutter waren, ich will zur Oper gehen!" Pfarrer Braun nahm ihre Hand und strich sanft dar über hin „Liebe Senta, machen Sic keine Zukunftspläne, freuen Sie sich bei Gegenwart" Ein Schalten ilog über ihre Züge „Ich bin ein gefangener Vogel, der seine Schwingen Nicht regen Vars" „Warum nicht regen? Sie dürfen ja singen und sich an (Nachdruck verboten.) Ihrer Kunst erfreuen. Bedürfen Sie denn der großen Menge, der wankenden Gunst des Publikums, des eitlen Ruhms?" „Nein, nicht das ist es — aber die Ausübung meiner Kunst ist mir Lebensbedürfnis, ich muß mich ihr ganz hin geben können Alles andere ist elende Halbheit, Dilettan tismus und — keine Kunst Und was meine Eltern waren, warum soll es die Tochter nicht jein? Ein echter Künstler steht in meinen Augen höher, als der höchste Eeburtsadel. Freilich hier — in dem feudalen Schlosse mit seinen alten, verrosteten Ansichten" — „Senta!" Der Pfarrer hatte ihre Hand losgelasten. Aus seinem Zwischenruf sprach kein Zürnen, aber ein schmerz- licher Vorwurf „Ihr Oheim meint es gut mit Ihnen, war- um verschließen Sie sich so hartnäckig gegen diesen Glau ben?" „Weil er meinen Vater verstoßen hat Wie kann er es gut meinen mit dem Kinde des Bruders, dem er bart und grausam Herz und Heimat verschloß?" „Sie störrisches, schwer zu gewinnendes Kind!' Wenn Sie reifer in Ihren Ansichten geworden sind, werden Sie vielleicht auch die Natur dieses Mannes bester verstehen lernen Er ist ausgewachsen in seinen Vorurteilen, in den Traditionen seines Standes und glaubt nach seiner Ansicht recht zu handeln Wollen Sie. daß er seine anererbte und anerzogene Meinung plötzlich um Ihretwillen wechseln soll? Sind Sie denn bereit, die Ihrigen um seinetwillen zu opfern? " „Nein, niemals!" rief Senta, glühendrot vor Erregung „Nun sehen Sie — welche Logik und welches Verlangen also! Den Mann, der Ihnen oerwandtschastlich nahesteht der Ihnen Schutz und Heimat bot. den möchten Sie also gern der Charakterschwäche überführen '" Senta schwieg und iah nachdenklich zu Boden Auf ein« solche Auslegung war sie nicht vorbereitet gewesen. „Und doch werde ich elend werden, wenn —" „Wenn Sie Ihren Willen nicht bekommen können," vollendete der Pfarrer und wandte sich ab Erschrocken haschte Senta nach seiner Hand und preßte ihre Lippen daraus „Sie zürnen mir?" Er wandle sich wieder um und strich sanft über ihr lockiges Haar „Nein, Senta — ich möchte Sie nur vor Konflikten be wahren " „Uno es geht ohne Kampf nicht ab " wollte Senta rufen aber ne unterdrückte es aus Furchi ven alten. rreunvUchen Herrn, den sie innig lieb halte, ernstlich zu erzürnen. Sie senkte nur den Kopf tiej auf die Brust.