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Ms Senta den Heimweg antrat, gab Ruth ihr, wie gewöhnlich, ein Stück das Geleit. „Liebling — meinst du, daß dein Onkel mir ernstlich böse ist?" fragte sie die Freundin „Ich weist ja, dast ich nicht sanftmütig, sondern widerspenstig und störrisch bin, aber ich kann nun einmal nicht heucheln und — ich kann von meiner Kunst nicht lassen. Soll ich darum aber meinen besten Freund verlieren?" „Mein Onkel bleibt dein Freund, sei ruhig, Senta," tröstete Ruth. „Und — Ruth — wirst auch du mir ewig Freundin bleiben, wirst du mich nie aufgeben?" „Nie", beteuerte Ruth mit Begeisterung, und sie ahnte bei dieser feierlichen Beteuerung, die fast wie ein Schwur klang, nicht, welches schwere Opfer einst von ihrer Freund schaft für dieses schöne, trotz aller Fehler so liebenswerte Mädchen von ihr gefordert werden sollte. Senta schritt den übrigen Weg allein weiter. Ehe sie den Park erreichte, mustte sie ein Stück am Waldessaum entlang gehen. Ihre Gedanken weilten noch im Pfarrhause bei den lieben Menschen. Sie sah weder rechts noch links. „Senta!" Ein Ruf vom Waldessaum her. — In demselben Augen blick trat ein junger Mann aus dem Dickicht gerade auf sie zu. Sie sah erschreckt auf, stutzte, und ein Jubellaut entquoll ihren Lippen: „Robert!" Ohne sich zu besinnen, stürzte sie vor und wurde von den Armen des Jünglings umfangen und an besten Brust ge drückt. „Kiwitt — Kiwitt!" Nur eine Sekunde lag sie in seinen Armen, dann machte sie sich, Heist errötend, los und sah ihm ins Gesicht. „Robert, wie stattlich du geworden bist — ich erkenne dich kaum wieder. — Du bist ja ein — Mann." „Hahaha" — er lachte auf. „Soll ich denn immer der Knabe bleiben? Bedenke, es sind zwei Jahre, als wir uns zuletzt sahen. Damals war kaum der Flaum auf meinen Lippen. Aber du — du" — seine ausdrucksvollen Augen bekamen einen seltsamen Glanz — „die Zeit ist auch an dir nicht spurlos vorübergegangen — Kiwitt, wie schön du ge worden bist!" Sie lachte und rief: „Bist du hergekommen um mir Schmeicheleien zu sagen? Pfui, Robert, das sieht dir gar Nicht ähnlich." „Gottlob, das ist noch die alte, liebe, kratzbürstige Ki witt, und ich fürchtete, daß die vornehme Komteß ihren armseligen Vetter und Spielkameraden gar nicht mehr ken nen würde." „Hast du das wirklich gedacht, Robert?" „Hu, die Augen! Willst du sie mir auskratzen, Kiwitt?" „Ja, wenn du nicht sofort widerrufst, was du soeben sagtest." Mit zornigen Augen sah sie ihn an. „Ich widerrufe." Er hatte ihre beiden Hände ergriffen und sah sie bit tend an. Da lachte sie wieder. „Ach, du lieber Junge, wie ich mich freue, daß du mich besuchen kommst. Nun laste ich dich fürs erste nicht wieder fort, du mußt lange auf der Wolfsburg bleiben, hörst du?" Er preßte ihre Hand noch fester „Glaubst du, ich hätte hier am Eingang des Parks stun denlang auf dich gelauert, wenn ich dich in der Wolfsburg -hätte aufsuchen wollen?" „Ja, aber Robert, ich verstehe dich nicht — du mußt doch jetzt mit mir nach der Wolfsburg kommen." „Um mich von deinem hochmütigen, adelsstolzen Oheim als Eindringling behandeln und über die Achseln ansehen zu lasten?" „Wie du nur sprichst? Du bist doch mein Vetter, ja mehr als das, mein Bruder: wir wurden doch zusammen wie Ge schwister im Hause meines Vaters erzogen!" „So — und darum meinst du. dein Oheim würde mich sofort als lieben Verwandten herzlich willkommen heißen? — Du wirst verlegen — du errötest — das iagl mir genug " „Nein, nein. Robert, du täuschest dich Onkel Maximi lian wird dich nicht unfreundlich empfangen" „Vielleicht mit herablastender Duldsamkeit, aber er wird mir zu verstehen geben, daß meine Existenz ihm Unbehagen verursache und daß es ihm erwünscht wäre, ich ginge bald wieder dahin, woher ich gekommen bin. Kiwitt, ich kenne sie Hohen — laß nur gut sein und dringe nicht in mich. Ich bin zu stolz, um mich dem auszusetzcn Es würde sich auch nicht mit meiner Lebensauffassung vertragen, sollte ich mich vor ihm ducken und beugen Ich erkenne nur in dem etwas Höheres an, der sich durch eigene Kraft emporgear beitet hat. Gcburts- und anererbte Stellungen und Vor züge besagen mir gar nichts Selbst ist der Mann!" Senta sah ihren Vetter fast erschrocken an. Woher hatte er solche Ansichten, die fast wie Haß gegen die Hohen, Be sitzenden aussahen? „Du sprichst also jedem Mann, der von Geburt an hoch steht, das Recht ab, ein tüchtiger Mann zu sein?" fragte sie verwundert. „Ja" „Also auch meinem Vater?" „Dein Vater war ein ganzer Mann, er opferte seine Eeburtsvorteile um seines hohen Strebens willen." „Ob es nicht manchmal schwerer sein mag, das, was einem von Geburt zugefallen ist, zu erhalten, als sich erst zu einer gewissen Stellung emporzuarbeitcn?" fragte sie. „Nein — denn ihm stehen hundert Tore offen — uns Armen, Besitzlosen türmen sich unzählige Hindernisse ent gegen." Senta sah ihren Vetter jetzt forschend an. „Du hast Kummer — Sorge gehabt, Robert — was fehlt dir?" Seine Züge verdüsterten sich, und sein ohnehin schmales, blasses Gesicht wurde noch um einen Schein blässer. „Nichts — ich — ich wollte dir nur mitteilen, daß ich — engagiert bin." „Engagiert? Jetzt schon? Aber mein Himmel, Robert, du bist doch noch lange nicht so weit und" „Werde auch nie so weit kommen. Mit der Kunst ist es Essig!" fiel er bitter ein. „Mir fehlt das Verständnis für deine Worte," sagte sie m fassungslosen! Staunen. „Noch soeben hieltest du mir in kühner Rede vor, daß nur dem Verdienste die Krone ge bühre, und jetzt — trittst du so kurz vor dem hohen Ziele zurück?" „Die — Not gebietet es." „Die Not? So mußtest du Not leiden? Hat denn mein Vater nicht —." „Ja — er setzte mir in seinem Testament eine Summe zu meinen Studien aus. Dein lieber Vater hat es herz lich gut mit mir gemeint, aber er Hal nicht bedacht, welche Versuchungen einem Kunstjünger in der Großstadt blühen und locken — die — Summe ist verausgabt." „Robert!" „Ja, verachte mich nur — es ist nicht anders, und hör« nur weiter: Um — wenigstens den Hunger zu stillen — erschrick nicht — sang ich in den elendesten Spelunken Ber lins um Geld. Dort traf ich den — Schmierendirektor, der mich für eine Lumpengage engagierte." Senta hatte die Hand auf das Herz gepreßt und sah ihn mit großen, erschrockenen Augen an. „Das kann dein Ernst nicht jein, Robert. Du, mit deiner herrlichen Stimme, dem mein Vater eine große Zu kunft verhieß — du willst der Kunst untreu werden?" „Ich bin unwürdig geworden, ihr ferner zu dienen." „Weil du Schulden hast?" „Nicht darum allein, du verstehst das nicht, Kiwitt." „Was auch jein mag — du kannst durch doppelten Eifer die Kunst versöhnen. — Du mußt zurückkehren — darfst ihr nicht untreu werden." „Das ist gut gejagt." „Würde man dir den Unterricht in der Opernschule nicht für einige Zeit stunden?" „Ja, das würde man wohl tun, da man sich viel von meiner Stimme verspricht" „Und dennoch zögerst du? Du bist mir unbegreiflich, Robert Willst du ein Mann jein und hast keine Kraft und keine Ausdauer, schrickst bei dem ersten Hindernis, das sich dir bietet, zurück?" (Fortsetzung folgt.)