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pulsnitzerZayeblait Sonnabend, 12. Januar 1S2S Für die Mußestunden. Durch jedes Begräbnis ein neues Begräbnis. Nach dem Begräbnis des belgischen Generals Jacques, des „Helden von der Pser", der vor einiger Zeit an den Fol gen einer Erkältung starb, die er sich bei einem Begräbnis zuzog, hat sich in Brüssel ein eigenartiger Verein gebildet. Seine Mitglieder sind Leute, die der Ansicht huldigen, daß man bei Begräbnissen lieber den Hut aufbehalten soll, weil man sich der Gefahr aussetze, sich ernstlich zu verkühlen, wenn man längere Zeit barhaupt aus einem windigen Friedhof ver weile. Die Gründung dieses Vereins in der belgischen Haupt stadt hat in Paris aielfach Zustimmung gesunden und wird vermutlich die Bildung eines gleichartigen Vereins zur Folge haben. Die Gewohnheit, auf dem Friedhof oft sehr langen Grabreden mit unbedecktem Haupte zuzuhören, erregt schon seit langem Widerspruch. Man hat in Paris mit Bezug auf diesen Brauch das geflügelte Wort geprägt, daß ein Begräb nis ein Begräbnis zur Folge habe. Das gestörte Esten oder Einer, der seine Vergangenheit nicht vergessen konnte. In Warschau ereignete sich bei einem zu Ehren des Marschalls und Diktators Pilsudski gegebenen Festessen ein peinlicher Zwischenfall, der später eine heitere Lösung fand, die nun durch die Indiskretion eines Staatsmannes in der englischen Zeitung „Daily Mail" bekannt wurde. Pilsudski hatte bei einem Besuch in Paris von einer Landsmännin und Verehrerin ein Zwerghündchen namens Molly zum Geschenk erhalten, das sich ganz an den neuen Herrn gewöhnte und stets seinen Platz zu Füßen Pilsudskis einnahm, ob dieser nun beim Schreibtisch oder beim Essen saß. Bei jenem diploma- tischen Festmahl war das gleiche der Fall. Als nun aus Pilsudski ein Toast gesprochen wurde und sich alle, auch der Gefeierte selbst, erhoben, wurde Molly aus seinem süßen Schlummer zu Füßen des Marschalls geweckt. Das Hündchen sprang auf, erfaßte mit der Schnauze eine Ecke des Tisch tuches und zog dieses samt allen Tellern, Schüsseln und Glä- fern herunter. Alle Gäste waren über dieses unerwartete Ereignis sehr verblüfft. Weniger überrascht ober war der Marschall selbst, der eingestand, daß ihm sein Hündchen bereits tviederholt diesen Streich gespielt habe. Man ging der Sache, Hie ganz rätselhaft schien, nach, und nun kam zutage, daß Molly in seinem früheren Leben in einem Pariser Zirkus aufgetreten ist und dort für eine Rolle in einer Pantomime „Das gestörte Essen" abgerichtet worden war, wo sich das Hündchen in ganz ähnlicher Weise zu verhalten hatte. Molly, der in der Pantomime oft austrat, hatte, jäh aus dem Schlafe aufgeschreckt, geglaubt, wieder im Zirkus zu sein und danach auch gehandelt. Ob ihn der Marschall nun weiter behalten will, ist nicht bekannt: jedenfalls aber wird dafür gesorgt weiten, daß er seine Rolle: „Das gestörte Essen" mindestens bei keinem offiziellen Galadiner mehr spielen wird. Gaben unter IO Centimes werden nicht angenommen! Der Tarif der spanischen Bettler. Madrid ist von jeder das Dorado der Bettler gewesen. Für den Nord- und Mitteleuropüer war es nie ein Vergnü gen, ihre Scharen um sich herumdrängen zu sehen, die sich nicht scheuten, ihre körperlichen Gebrechen zu entblößen, die Mitleid erregen sollten. Auch die Herrschaft Riveras hat an diesen nun einmal traditionellen Zuständen nichts ändern können. Im Gegenteil, die Bettler in Madrid haben sich in den letzten Jahren noch vermehrt und sind nicht eben beschei dener geworden. Das Neueste, was sie sich leisten, ist, daß sie eine Mindesttaxe für milde Gaben vorschreiben. Die meisten von ihnen tragen ein Schild auf der Brust, auf dem geschrie ben steht: „Gaben unter zehn Centimes werden nicht ange nommen." Vorläufig ist diese Vorschrift noch auf Spanisch verfaßt. Es ist jedoch zu erwarten, daß sie, da sie sich zum größten Teil an Fremde richtet, baldigst ins Englische, Fran zösische und Deutsche übersetzt wird. Der Schmuckbeirat, ein Beruf für verarmte Aristokraten. / Für die vielen verarmten Aristokraten hat sich in Ame rika jetzt ein neuer Beruf eröffnet. Die Dollarmillionäre sind zwar im Besitz von Juwelen von fabelhaftem Wert, die sie in ihren Familienschatzkammern von einigen Detektiven be wachen lassen, wissen aber nicht, bei welcher Gelegenheit die verschiedenen Schmuckgegenstände getragen werden sollen. Als einst bei der Familie Vanderbilt über dieses Problem gestritten stch ein verarmter Graf in dieser Frage gesell schaftlichen Feingefühls als Berater an und wurde seitdem zum Schmuckbeirat mehrerer Familien. Die Idee hat Schule gemacht, und nun beziehen schon einige Dutzend solcher Be rater ein schönes Einkommen aus dieser nicht sehr anstren genden Beschäftigung. Vom Seelenleben des Elefanten. Jedermann kennt die hübsche Geschichte von dem Elefanten, den ein fürwitziges Schneiderlein, am Fenster auf seinem Tische hockend, in den Rüssel gestochen, wovon das kluge Tier scheinbar keine Notiz nimmt, aber auf dem Rückweg von der Tränke dem Schneider aus wohlgefülltem Rüssel eine tüch tige Dusche versetzt. Elefanten haben ein gutes Gedächtnis und sind nicht frei von Nachsucht. Ein indischer Elefant, der von seinen: Mahaut mißhandelt worden war, erkannte die sen nach einer ganzen Anzahl von Jahren inmitten einer Menschenmenge, holte ihn mit dem Rüssel heraus und zertrat ihn. Neuere Reiseberichte haben noch manchen merkwürdigen Zug zur Charakteristik des Elefanten beigesteuert. Gegen Hmck>e sollen die meisten Elefanten eine große Abneigung zeigen. Ein sonst sehr gutartiger Reitelefant 2. Beilage za Nr. 18 pflegte, wenn der Lieblingsdackel des Reisenden in der Nähe war, seinen Rüssel mit Sand und Steinchen zu füllen und dann Lie Ladung dem ahnungslosen Hunde an den Kopf zu pusten. Hier könnte Eifersucht das Motiv sein; aber im all gemeinen ist die Antipathie.des Dickhäuters gegen Hunde wohl auf seine Nervosität zurückzuführen. Dio unruhigen Bewegungen des Hundes machen ihn nervös. Denn Elefan ten sind sehr sensible Tiere; so geht zum Beispiel der Ge mütszustand des Führers, mit dem das Reittier gleichsam verwachsen ist, auf dieses über. Das zeigt sich besonders bei Tigerjagden; behält der Mahaut sein kaltes Blut, so bleibt auch der Elefant ruhig und scheint keine Furcht vor dem Tiger zu empfinden. Daß Elefanten auch lachen können, ist schon wiederholt behauptet worden. Ein Reisender erzählt, daß sein Reitelefant, ein besonders liebenswürdiges Tier, ihn mit einem freudigen glucksenden Lachen zu begrüßen pflegte. Ein Vulkanausbruch vor 2500 Jahren. Aus neueren Forschungen ergibt sich, daß der Götterberg in Kamerun, ein angeblich erloschener Vulkan, schon im Altertum während eines seiner Ausbrüche von Karthagern gesichtet und kurz beschrieben worden ist. Im fünften Jahr hundert vor Christi Geburt unternahm der karthagische Feld herr Hanno eine Umschiffung Afrikas und berichtete dar über in einem Buch, das in griechischer Sprache unter dem Titel „Periplus" auf uns gekommen ist. Er sagt darin unter anderem, man habe einen riesigen Berg erblickt, der „Götterwagen" genannt werde und von dessen Gipfel eine Feuersäule bis zum Himmel aufgestiegen sei, während glühende Ströme sich zum Meere herabwälzten. Man hat nun viel darüber gestritten, welcher Berg hiermit gemeint sein könne. Der mächtige Gipfel des Kamerun gebirges wurde von einigen genannt, und da man diesen Berg für einen längst erloschenen Vulkan hielt, versuchte man die von Hanno geschilderte Erscheinung durch Wald- oder Grasbrände zu erklären. Nach den überzeugenden Ausfüh- rungen moderner Forscher kann es sich jedoch nur um einen wirklichen Ausbruch gehandelt haben. Denn es isti neuer dings erwiesen worden, daß der Kamerunberg noch vul kanisch tätig ist. Als Wandervogel durch Jugoslawien. Originalreisebrief für unsere Zeitung von Walter Trimpler. Nächtliche Eisenbahnfahrt non Agram »ach Sarajevo. — Sattes Weideland und reiche Felder. — Brezelhändler, Hausierer und Mundharmonika. — Der mitleidige Wagen führer. — Markttaschen bei Pluderhose« völlig überflüssig. In Anbetracht der bedeutsamen politischen Um wälzungen, die sich zur Zeit in Jugoslawien voll ziehen, werden die nachstehenden Reiseschilderungen unseres Berliner Mitarbeiters, der sich zur Zeit auf einer Wanderung durchs ehemalige Serbien, Bosnien und Kroatien befindet, von besonderem Interesse sein. Sarajevo, 30. Dezember 1928. Nachts im Wartesaal in Zagreb (früher Agram). Wir fitzen auf unseren Rucksäcken und verdösen die letzten Stun den. Hinter uns stehen Soldaten und singen schwermütige Lieder. Am Boden hocken oder liegen malerische Gestalten. Ein pockennarbiger Kerl mit hoher serbischer Lammfellmütze sieht wenig vertrauenerweckend aus. Einige Männer mit schmierigen Festen lasten eine ehemalige Petroleumflasche mit Slibowitz, dem beliebten Pflaumenschnaps, kreisen. Zwischen ihnen sitzt eine Frau in Lumpen, ein skorbut krankes Kind am Arm. Ueberall Dreck, Papierfetzcn, Obst schalen. Wir sitzen im Zug und fahren in die Nacht. In unserem Wagen sind Soldaten und einige andere Bekannte aus dem Wartesaal. Alle haben Jacke und Schuhe ausgezogen und die Strümpfe zum Auslllften ans Fenster gehängt. Sie schlafen in den unmöglichsten Stellungen. Der Morgen graut. Wir sehen aus dem Fenster. Riesige Mais- und Weizenfelder dehnen sich auf beiden Seiten der Strecke. Schon ist die Arbeit hoch im Gange. Mähmaschinen kennt man hier nicht, Sensen sieht man selten, fast alles wird mit der Sichel geschnitten. Das Tal wird breiter. Wcideflächen verdrängen die Felder. Ueberall ist Vieh. Türkenjungen sitzen auf kleinen Pferden und bewachen mächtige Herden. In Brod steigen wir um in die Kleinbahn nach Sara jevo. Soldaten und Kerle in Schafpelzen und zerrissenen Opanken sind unsere Fahrtgenossen. Es geht südwärts. Bosnische Bauern und Frauen in malerischen Trachten drängen ins Abteil. Türken in blauen, weißen und schwär- zen Hosen mit Fes oder Turban stehen am Bahnhof. Die erste verschleierte Frau. Moscheen. Ein längerer Aufent halt. Vorm Bahnhof herrscht lebhaftes Treiben. Händler mit Obst, Brot, Getränken stehen umher. Kleine Jungen preisen schreiend ihre Waren. Bald sind wir umringt, werden bald hierhin und dorthin gezogen. Alles schreit, redet auf uns ein. Arme und Beine unterstützen die Stimme. In einer Bude im Hintergrund werden ganze Hammel am Spieß gebraten. Im Schatten der Zäune und Buden schla fen Bettler und Müßiggänger. Wir fahren an der Bosna entlang. Büffel liegen trage im Wasser, nackte Jungen reitest Maulesel zur Schwemme. Eine Burg aus der Zeit Solimans taucht auf. In Lapä steigt ein Älann ein. Serbische Mütze, weißer Kittel mit weiten Aermeln, kurze Weste. In einem breiten, wundervoll gewebten Gürtel stecken Dolch und Revolver. Man sieht es ihm fast an, daß er Bürgermeister von CcpL ist und einen Grundbesitz von 150 000 Joch Land (300 000 Morgen) mit einem Wert von 10 Millionen Dinar sein Eigen nennt. Seine Söhne haben studiert und sind Europäer geworden. Er trägt noch die alte Tracht. Wir 81. Jahrgang sprechen mit ihm, ein Jude macht den Dolmetscher. Er freut sich, daß Deutsche seine Heimat kennenlernen wollen und staunt, daß wir noch so jung sind. „Die Deutschen sind Helden", sagt er. Wir haben das Wort später noch öfter gehört, und es war ehrlich gemeint. Ein Händler kommt herein und verkauft Brezeln, die auf Leisten aufgesteckt sind. Die Reisenden sind aufgestandcn, besehen und befühlen dis Ware. Der Schaffner kommt und brüllt den Händler an, ein Fußtritt, und das Gestell fliegt hinaus auf die Platt- form. Alles schreit und lacht. Der Händler redet mit Hän- den und Füßen auf dem Schaffner ein, dann grinsen beide, heben die Brezeln auf, klopfen den Dreck ab und stecken sie wieder auf die Leisten. Andere Händler kommen mit Eis und Obst. Dann kommt ein Hausierer. Er hat eine Mund harmonika unter seinem Kram. Einer entdeckt sie, spielt darauf, alles freut sich, aber keiner will kaufen. Der Hau- sierer nimmt das Instrument zurück, packt es wieder in die Schachtel und geht in den nächsten Wagen. So geht es weiter, bis wir endlich in Sarajevo unser Ziel erreicht haben. Um 7 Uhr sollte der Omnibus nach St. Anna a. Aigen abfahren, um ^8 ist er noch gar nicht zu sehen. Während des ganzen Tages hatte es schon geregnet. Wir stehen pitschnaß, sind müde und warten. Endlich kommt das Auto. Vollgepfropft bis zum äußersten. Während wir unsere Rucksäcke auf dem Verdeck verstauen, haben sich Lei densgenossen, die auch nach St. Anna wollen, schon in den Wagen hineingezwängt. Ich stecke mein freundlichstes Lächeln aus und frage den Schaffster mit schmeichelndster Stimme, ob wir nicht auf dem Verdeck mitfahren können. Mit einem Blick a la Napoleon mustert er den Wagen, macht dann eine tiefe Denkerstirn und spricht: „Warten's no a bifferl, 's wird schon no Platz werd'n. Schließlich bleibt der Schaffner unseretwegen zurück und übergibt dem Führer die Fahr- scheinblocks. Statt seiner fahren nun wir beide mit. Ihn dauerte vielleicht unsere Jugend. Wir stehen zwar nur auf einem Fuß, aber es geht. „17 Sitzplätze, kein Stehplatz", steht groß und deutlich auf einem Schild, wir sind ungefähr 35 Personen im Wagen. Holpernd, schwankend und stoßend geht es vorwärts, bergauf, bergab. Die Straße gleicht einem Sturzbach. Zwei Männer tauchen aus der Dunkelheit und winken. Der Wagenführer hält. Eine junge, hübsche Frau möchte noch mitfahren. „Besetzt." Liner der Männer spricht für sie. „Kann sie sich denn net irgendwo no hinstelln?" Gelächter. „Se hat zwa klane Kinder darham. De ferchten» doch, wenn de Mutter nachtüber net nach Haus kommt. Se Ham ach nets zu essen." Der Führer läßt sich erweichen. „No, da müss' mer se scho mitnahm. Er öffnet die Tür und teilt sich mit ihr seinen Platz. „Wenn i Ihnen amol wo hinfass', da derfen's net glei krakeeln. I kann's net ändern bei der Bedrängnis", meint er lachend. Dann geht es ohne Zwischenfall weiter nach St. Unna. Auf dem türkischen Markt in Sarajevo. Vor der Bude eines Opankenschusters wird heftig debattiert. Dem Fremden scheint es, daß sich dort der Schuster mit ein.m großen, schwarzbärtigen Mann streitet und beide bald zu Tätlichkeiten übergehen. Das ist aber nicht der Fall. Dort wird gehandelt. Wir wären gar nicht stehengeblieben, wenn wir nicht neugierig geworden wären, worüber der Schuster und der Schwarzbärtige sich nicht einigen konnten. Erst denken wir, der Mann will Opanken kaufen, dann aber merken wir, daß nicht er, sondern der Schuster kaufen will. Der schwarzbärtige Mann hat um den Hals eine Schnur, auf die er Stücke von Mänteln alter Autobereifungen ge zogen hat. Aber was soll der Schuster mit Autoreifen- stücken? Endlich sind beide handelseinig geworden. Der Schuster nimmt die Gummistücke, der Mann das Geld, und beide trennen sich, jeder im Glauben, den andern übers Ohr gehauen zu haben. Später sahen wir, daß der Schuster aus den alten Mantelstücken Opanken verfertigte und Schuhe damit besohlte. Wir gehen weiter. Plötzlich kommt ein Mann aus einer Kafana, stellt sich mitten auf die Straße, schreit nach allen Richtungen, tanzt wie ein Irrer und schwingt dabei etwas in der Hand. Im Augenblick ist er umringt. Da er genug Neugierige angelockt hat, hört er auf zu schreien, und siehe da, er will seine Taschenuhr verkaufen. Nach langem Feil- scheN-Nimmt sie. ihm auch einer der Umstehenden ab. Bet einem Obsthändler steht eine Frau in weißer Bluse und Pluderhosen und kauft Birnen ein. Der Verkäufer hat kein Papier mehr zum Einwickeln, die Frau weder Korb noch Tasche. Was tun? Die Frau findet schnell einen Aus weg. Sie öffnet ihre Bluse und läßt von dem Obsthändler die Birnen hineinschütten, strampelt und hüpft ein paarmal von einem Bein auf das andere, bis alle Birnen in ihre Pluderhosen hinabgerutscht sind, und geht dann zufrieden weiter.