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nlo. 45. Steglitz-Berlin, den 5. lovember 1904. XiX. Jahrgang. Eigentum des Verbandes der Bandeisgärtner Deutschlands. Organ des Gartenbau-Verbandes für das Königreich Sachsen, herausgegeben unter Mitwirkung der hervorragendsten Fachmänner des In- und Huslandes. Das „Bandelsblatt für den deutschen Gartenbau usw." erscheint am Sonnabend jeder Woche. Rbonnementspreis für Dicht-Uerbandsmitglieder in Deutschland und Oesterreich-Ungarn pro Jahrgang 8 Mk. 50 Pf., für das übrige Husland 10 Mk., für Uerbands-Mitglieder kostenlos. Verantwortlicher Redakteur: F. Johs. Beckmann in Steglitz-Berlin. Verlag: Verband der Bandeisgärtner Deutschlands, eingetragen auf Seite 179, Band IV, des Genossenschaftsregister des Königl. Amtsgerichts zu Leipzig. Carifgemeinschaft und Carifreform. Dieses Thema bildete, wie wir bereits in voriger Nr. des Hdlsbl. in einer Vornotiz erwähnten, den Gegenstand eines Vortrages im Verein zur Beförderung des Garten baus in den preuss. Staaten in seiner Versammlung vom 27. Oktober. Vortragender war der Ministerial-Direktor im Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, Wirkl. Geh. Ober-Reg.-Rat Dr. Thiel, der, einerseits, weil der für diesen Vortrag in Aussicht ge nommene Prof. Franke erkrankt war, andererseits, weil er der Frage der Tarifreform allgemein ein grosses Interesse entgegenbringt, sich erboten hatte, das Referat zu übernehmen. Wenn, um es gleich vornweg zu nehmen, der Vortragende sich in der Hauptsache auch auf die Erläuterung des allgemeinen Wesens der Tarif gemeinschaften beschränkte und es nicht als in seiner Absicht liegend bezeichnete, besonders auf die Bestre bungen, auch in der Gärtnerei Tarifverträge ins Leben j zu rufen, einzugehen, weil ihm dazu die intime Kenntnis der einzelnen Verhältnisse dieses Berufes mangle, so konnte es trotzdem nicht fehlen, dass in dem Vortrage selbst und noch mehr später in der Diskussion die event. Anwendung der Tarifgemeinschaften auf die Gärtnerei gestreift und behandelt wurde, und so war denn die ge nannte Versammlung wohl die erste, in welcher diese wichtige und zeitgemässe Frage auch ausserhalb der Kreise der Arbeitnehmer einmal angeschnitten wurde. Als um die Mitte ds. J. vom Deutschen Gärtner- Verbände der Entwurf zu einem gärtnerischen Tarifver träge veröffentlicht wurde, und auch schon früher, bei Gelegenheit der eingeführten Tarifgemeinschaft in der Hamburger Landschaftsgärtner-Branche, haben wir uns bereits im Handelsblatt mit der Sache beschäftigt und unsere Ansichten dazu geäussert. Auch der obige Vortrag wird uns abermals hierzu Veranlassung geben, und dies umsomehr, als wir der festen Ueberzeugung । sind, dass man in gärtnerischen Kreisen auch allgemeiner j gezwungen sein wird, sich mit diesen Fragen zu be schäftigen, ganz einerlei und ganz abgesehen davon, ob man vor der Hand zu praktischen Ergebnissen überhaupt gelangen wird, oder nicht. Solche mögen noch in weitem Felde liegen, aber das darf ein Vertraut werden mit der Sache an sich nicht ausschliessen, wir sind so gar der Ansicht, dass dies letztere immer mehr zu einer zwingenden Notwendigkeit für uns werden wird, und je eher es also geschieht, desto besser. Wir haben bereits damals das Miquel’sche Wort: „Beuge vor!“ angeführt. Zunächst haben wir es jedoch mit dem Vortrage selbst und mit der ihm folgenden Erörterung zu tun. Nachdem der Vortragende also erklärt hatte, dass er nur seine Privatmeinungen hier äussere und sich auf eine allgemeine Darstellung der Tariffrage beschränken wolle, ging er auf die Verhältnisse ein, unter denen in der ge werblichen Welt diese Frage ihren Einzug gehalten habe und führte demnächst dann ungefähr Folgendes aus: Wir haben es hier mit den Ausläufern einer grossen säkularen Bewegung zu tun, welche in ihren Endzielen darauf hinausläuft, das ganze Verhältnis zwischen Arbeit gebern und Arbeitnehmern zu revidieren. Ist doch heute die ganze Welt erfüllt von der sozialen Bewegung und haben wir hier die letzten Konsequenzen der geschichtlichen Entwickelung vor uns. Es ist eine der urgeschichtlich interessantesten Tatsachen, dass, obgleich die Menschheit ohne Arbeit nicht existieren kann, doch die Arbeit mehr als ein Fluch denn als ein Segen betrachtet wird. So finden wir die Arbeit vielfach nur als Sklavenarbeit und auch noch heute sehen wir bei den wilden Völkerschaften, dass die Frau die Arbeit zu verrichten hat, während der Mann sie als etwas knechtisches, etwas unwürdiges betrachtet, seine Aufgaben sind der Krieg, die Jagd und dgl. Eine richtige Würdigung der Arbeit und damit des Arbeiters selbst hat erst verhältnismässig spät Eingang gefunden. Aber auch heute noch finden sich Reste solcher vorweltlichen An-