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Mit besonderer Herurbsichtr-gung der Anthropologie und Etbno ogre. Begründet von Karl Andree. In Verbindung mit Fachmännern herausgegeben von vr. Richard Kiepert. Braunschweig Jährlich 2 Bände L 24 Nummern. Durch alle Buchhandlungen und Postanstalten zum Preise von 12 Mark xro Baud zu beziehen. 1882. Belgische Skizzen. (Nach dem Französischen des C. Lemomner.) III. Während der ersten zehn bis fünfzehn Lahre der neuen Aera hatte es den Anschein, als ob die Hauptstadt der belgischen Monarchie den Charakter provinzialer Ruhe, der ihr seit dem Anfänge des Jahrhunderts schon eigen war, auch beibehalten werde. Der von den alten Adels familien des Landes gemiedene, aus ziemlich heterogenen Elementen zusammengesetzte Hof war nicht im Stande, durch Luxus und Geldaufwand dem bürgerlichen Brüssel das Gepräge einer Haupt- und Residenzstadt zu geben. Die älteren Einwohner der Stadt erinnern sich noch gar wohl der Zeit, da die Paläste des Adels, nur von den Kastellanen bewacht, mit alle den reichen Kunstsammlun gen, die sie enthielten, verschlossen dastanden, weil die Be sitzer, die sich nicht in die neue Ordnung der Dinge zu finden vermochten, in der Zurückgezogenheit ihrer entlege nen Landgüter lebten. Die sichtlich fortschreitende Kousoli- dirung des konstitutionellen Systems einerseits, andererseits aber der Trieb der Selbsterhaltung, veranlaßte schließlich die Mißvergnügten, aus ihrer Reserve hervorzutreten, und wieder nach Brüssel Uberzusiedeln; fast gleichzeitig damit begann auch, durch das wachsende Vertrauen des Volkes hervorgerufen, die naturgemäße Centralisirung der ver schiedenartigsten Interessen und Elemente des Landes in der Hauptstadt und die ungeahnt rasche Vergrößerung und Veränderung derselben. Zunächst war es die Ober stadt, die sich mit dem vornehmen Quartier Leopold und einer Anzahl schnell emporwachsender großer Straßen ausbreitete; bald aber wurden anch nach allen, anderen Globus XLi. Nr. s. Seiten hin die Boulevards, die alten, zu baumbe pflanzten Promenaden umgeschaffenen Befestigungswerkc der Stadt, durch die neuen Vorstädte weit überschritten. Die gesunde, nur dem wirklichen Bedürfniß entsprechende Thätigkeit jener Zeit hat seitdem schon mehrmals Perioden einer fieberhaften, zum Theil spekulationssüchtigeu Baulust weichen müssen, die der Stadt von Jahr zu Jahr mehr den Charakter einer modernen Großstadt ausgeprägt haben. Befinden sich unter den im Laufe dieser letzten Jahrzehnte entstandenen unzähligen Neuschöpfungen der Brüsseler Archi tektur gar viele Bauten von hervorragender Bedeutung und künstlerischem Werthe, so gipfeln sie doch alle, in Be zug auf Großartigkeit der Konception wenigstens, in dem jüngsten Monumentalbau Brüssels, dem neuen Justiz palaste, der, im Jahre 1866 begonnen, eigentlich zur Jubelfeier der Monarchie im September 1880 vollendet sein sollte, mit dessen innerm Ausbau man jedoch zur Stunde noch beschäftigt ist. Das kolossale, zum Theil auf gewaltigen Substruktionen ruhende Gebäude bildet ein Rechteck von 180 m Länge und 170 m Breite; auf groß artigen Treppen steigt man aus den tiefer gelegenen Stadt- theilen zu ihm empor. In strenger Anlehnung an grie chisch-römische Muster, mit sorgfältiger Vermeidung der Bogenlinien und jeglichen leichtern Schmuckes aufgeführt, fall der mächtige Bau nach der Absicht seines Schöpfers Poe- laert durch die klassische Ruhe und Strenge seiner Formen den ernsten Zweck versinnbildlichen, dem es zu dienen be stimmt ist. In wie weit diese Absicht erreicht worden ist, 17