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Dr. F. W. Paul Lehmann: Wanderungen in den Süd-Karpathen. 29 „Bergwicsc" erinnerte, erhielt ich zu nicht geringer Ver wunderung die Antwort, daß ooliba selbstverständlich von dem lateinischen outtieulum abstammc. So schön wie der Morgen gewesen war, gestaltete sich der Abend. Bis nach Mitternacht saß ich mit dem Herrn Pfarrer — der wie ich einst in Berlin ein eifriger Zu hörer Droysen's gewesen war — im Garten unter einem mächtigen Wallnußbaume, mit dem Blick auf das vom sil bernen Mondlicht umflossene Gebirge. Nach herzlichem Abschied brach ich am nächsten Mor gen auf, begleitet von dem ältesten Sohne aus dem Pfarr- Hause, einem soeben in Hermannstadt mit dem Zeugniß der Reife entlaßenen jungen Manne. Daß der sächsische Bauer, welcher uns an den Fuß des Gebirges fahren sollte, längere Zeit auf sich warten ließ, setzte mich nicht mehr in Erstaunen. Endlich fuhr er vor; die reichlich gespendeten Borräthe wurden auf den mit vier (!) kleinen Pferden befpannten, leichten Leiterwagen geladen; der Sachs bestieg sein Sattelpferd, schwenkte die Peitsche und setzte sein Gespann in Trab. In Frei schlossen sich uns die rumänischen Führer, Joan und sein Sohn Gabriel an, beide beritten. Wir bogen von der Reichsstraße rechts ab und fuhren auf holprigem Wege auf das die 400 bis 500 m hohe Ebene fast um 2000 m überragende Gebirge zu. Die kleinen Gäule griffen munter aus, und, während wir mit nnscrM Wagen hin und wieder durch einen Roll stein in die Höhe gepufft wurden, flogen der Sachs und die beiden Rumänen auf ihren primitiven Holzsätteln auf und ab. Der Weg führte uns an dem mehrere Meter tief in die Diluvialebene eingcschnittenen Freker Bache entlang, anfänglich durch bebaute Felder, dann -durch Hutweiden, aus denen niedriges Gebüsch, hier und da ein geschundener Waldbaum oder ein wilder Birnbaum hervorragten, bis wir zwischen die Auslänser des Gebirges hineinkamen, und der Buchenwald begann. Der Weg führte nns mehrmals durch das steinige Bett des Baches, dessen rauschendes Was ser den Pscrden bis an den Bauch ging. Nach einer von Frek an 13 km langen Fahrt erreichten wir einen zwischen 1200 m hohen —,— bewaldeten Rücken etwa 700 m hoch gelegenen Thalboden „Pojana Niamzului", auf dem wegen des über das Hochgebirge führenden Saumpfades „Sca- risora" ein einsamer Finanzansageposten liegt. Hier ward Rast gehalten, und der sächsische Fuhrmann ent lassen. Der aus dem Salzburgischcn gebürtige Finanzbcamte, welcher in diesem einsamen Thale mit seiner rumänischen Frau, seinen Kindern nud seinen vielgerühmten Jagdhunden lebte, war ein Mann mit unstätcm Blicke und widerwärtig freundlichem Wesen. Er besichtigte meinen Paß sehr ein gehend, ertheilte ihm das Prädikat „sehr gut" und ver langte dann Plötzlich, ich weiß nicht genau, ob für die Füh rer oder die Pferde, die Zahlung von zwei Gulden. Hatte er gehofft einen Unkundigen zu prellen, fo fah er sich ge täuscht. Ich erklärte, ich würde bezahlen, aber den einen der Rumänen zum nächsten Bezirksrichtcr senden, um mich über die Rechtmäßigkeit der Forderung zu iuformircn. Der Wächter des Gesetzes meinte darauf, wir könnten die Sache bis zu meiner Rückkehr lassen, und hatte bei derselben die ganze Angelegenheit vergessen. Als die Bahn freigegcben war, beluden wir die Pferde mit unserm Reisegepäck und stiegen eine ziemlich steile Lehne zu dem sich am rechten östlichen Ufer des Baches hinziehen den Gebirgsausläufer empor. Anfangs standen die Buchen auf dem von der Sonne beschienenen Abhange spärlich, und führten Wasserrisse durch den lehmgelben, mit spär licher Grasnarbe bedeckten Boden, dann betraten wir ge schlossenen Buchenwald, unter dessen dichten Kronen der beschattete Boden mit trockenem Laube, dünnem Reisig und hin und wieder einem mächtigen, halbverfaulten Stamme bedeckt war. Eine kolossale Baumleiche, die Joan als eine „Mutter des Waldes" bezeichnete, fesselte einige Zeit unsere Aufmerksamkeit. Wir waren bei hoher Temperatur etwas über 400 m cmporgcsticgcn, als wir auf einem Grasplatze unter dem Schatten einer Buche Halt machten und unsere Blicke über das tief unter uns cingeschnittene Waldthal, die jenseits desselben ansteigenden Lehnen und weit hinaus über die mit Dörfern besetzte Ebene und den schimmernden Streifen des Alt in das Innere des siebcnbürgischen Hügellandes schwei fen ließen. Zwischen 1250 und 1300 m Meereshöhe er reichten wir die obere Buchcngrenze, welche mit stattlichen Exemplaren an den hier beginnenden Fichtenwald heran reicht, ähnlich wie auf dem jenseits des Freker Baches ge legenen Auslänser, wo der 1253 m hohe Clobucel auf seinem Gipfel noch prächtigen Buchcnschmuck trägt. Längs des S c a r a - Ausläufers wanderten wir, bald langsamer ansteigend, empor und wandten nns bei 1700m, nnr noch 3 km vom Kamm des Gebirges entfernt, links, um durch das obere Thal der Stina (Hütte) Boha nnd über den nördlichen Ausläufer des Moscavo zur Stina Serbota zu gelangen. Im Thal der Stina Boha stiegen die Fichten bis 1500 m empor, während darüber hinaus die steilen Lehnen nur noch mit Fichtcngcstrüpp, Bcrgwacholdcr oder Rasen bedeckt waren. Uebrigcns sah man deutlich, wie die Waldgrenze herabgedrängt war, denn unter dem vom Negoi nach Norden laufenden Grate Picioru Negoi reichte der Fichtenwald in einzelnen Streifen bis Uber 1700 m empor, während er an denselben Abhängen oft nicht die Höhe von 1500 m erreichte. Von einem Dutzend bellen der Schäferhunde umsprungen, erreichten wir die an der oberen Grenze des Fichtenwaldes liegende Stina Ser- bota, die Sommerwohnung eines rumänischen Schafhirten, der mit furchtbaren Flüchen und drohenden Gebcrden erst die heulende Meute verscheuchte und dann bereitwillig in seiner rauchgeschwärzten Hütte ein Obdach für die Nacht bot. Den Abend verlebten wir, zumal das Innere der Hütte nicht gerade einladend war, natürlich im Freien und betrachteten, während wir auf einer nmgestürzten Riescn- fichte unser Abendbrot verzehrten, die länger und länger wachsenden Schatten der Berge, bis der Schein von den höchsten Gipfeln verschwunden war. Ein schimmernder Sternenhimmel war in herrlicher Pracht über den schwar zen Fichtengründen ausgcspannt, als wir unser aus frisch gehauenen Zweigen bereitetes Nachtlager in einem Winkel der Hütte aufsuchtcn. Als wir am nächsten Morgen auf brechen wollten, fehlte Gabriel, der den mit der Bergwan derung unzufriedenen und bei Nacht verschwundenen Pfer den nachgceilt war. Nach längerem Sperren nnd Zaudern entschloß sich Joan ans mein energisches Drängen ohne sei nen Sohn zum Aufstieg auf den Negoi. Wir stiegen nach Süden gegen den Kamm empor. Neben uns schäumte in tief geschnittenem Fclscnbette der linke Qucllarm des Rin mare von Porumbach und stürzte in einem stattlichen Fall über den Rücken einer steil nach Norden fallenden Gcsteinsbank hinab, lieber Trümmer- halden gelangten wir unter den Steilabfall des Moscavo (2261 m) und kamen unter diesem entlang kletternd auf eine Einsattelung des Kammes (2120 m), von der wir zum ersten Male unsern Blick über die fremde Bcrgwclt des rumänischen Abhanges schweifen ließen. Steile Grashal- dcn überschreitend, gingen wir auf der südlichen rumänischen Seite nach Osten weiter, bis wir an den Steilrand einer