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Eine Reise durch Mingrelien. 23 Reihe ähnlicher Feste, die während der Sommermonate und bis zum Beginn der Seidencrutc allsonntüglich gefeiert wer den. Gemeinhin schließen sich an die Tänze noch Belusti gungen dnrch Reiterküuste und Aehnlichcs an. Die male rische Tracht des Volkes, die sogenannte tscherkessische Klei dung, giebt für den Zuschauer auch hierbei wieder eineu Hauptreiz in dem bewegten Bilde ab. Als die Reisende nach Zugdidi gekommen war, hatte noch hoher Schnee auf allen Bergen der Umgegend gelegen, nach wenigen Tagen schon war er den Strahlen der Frühlings sonne gewichen und setzt lag die ganze Landschaft im reich sten Schmucke da; vor allem war es die wilde Azalee mit den goldgelben Blüthcn, welche die weiten Ebenen wie in leuchtendes Gold getaucht erscheinen ließ. Verschiedene Ans flüge in die Umgegend führten Madame Serena und An dere auch bis an die durch den Jngur gebildete Grenze von Zamnrzachan, des räuberischen Gebietes, um dessen Besitz früher Abchasien nnd Mingrelien mehr als einmal gestritten haben. Heute haben die Russen einen dauernden Belage- rungsznstand über das kleine unruhige Land verhängt. Die Dörfer in der ganzen Ebene von Zugdidi zeichneten sich vor allen, welche die Reisende bisher in Mingrelien zu Gesicht bekommen hatte, durch eine wohlthucnde Reinlichkeit aus. Die Zäune, welche die ausgedehnten Gehöfte umfassen, waren hier fest und dauerhaft gefügt und in bestem Zu stande. Inmitten des Gehöftes steht das hölzerne Wohn haus mit seinen Nebengebäuden, umgeben von kräftigen Apfel-, Birnen- und Maulbeerbäumen, die den grasigen Bo den des Hofes beschatten und zugleich als Stützen für die dichtrankenden Weingchänge dienen. Das kleine Wohngebäude mit weit überragendem Dache ist meist ganz ohne Fenster gebaut; zwei einander gegenüberliegende Thürcu müssen die beiden einzigen Jnncnräume ausreichend mit Licht und Lnft versorgen. Rings um das Haus, von dem breiten Dache, beschirmt, läuft eine Veranda, der Lieblingsanfenthalt und zur Zeit der Seidcnerntc, wenn der innere Raum des Hauses durch die ansgelegtcn Cocons in Anspruch genommen wird, auch der einzige Aufenthalt der Bewohner. Von den bei den inneren Räumen dient der eine als Stall für das junge Vieh, das man noch nicht, wie das übrige, im Freien zu Reitkostüm der Mingrelierinnen. (Nach einer Photographie.) lassen wagt; der andere mit seiner rings an der Wand lau fende» Holzbank, der primitiven Feuerstätte in der Mitte, dem in einer Ecke aufgehäuften Bettcnvorrath, dem Stolz der mingrelischen Frau, ist der gemeinsame Schlaf- und Wohnraum für die Familie. Von einem Balken an der Decke hängen Kleider, Vorräthc und die unvermeidliche Guitarre herab. In besonders reichen Familien findet man noch einige große, buntbemalte oder mit Metallbeschlag ver sehene Holzkisten, welche die Braut als Aussteuer ins Haus gebracht hat; gewöhnlich sind sie vollkommen leer und in dieser bedürfnißlosen Umgebung nur Luxusmöbcl. Die Betten, die während des Tages in einer Ecke aufgehäust liegen, werden sür die Nacht auf der hölzernen Bank aus- gebrcitct, doch sind dies alles Verfeinerungen, die eben haupt sächlich im mingrelischen Tieflandc zu finden sind; das Leben der Bergbewohner ist meist unendlich viel einfacher. Die unentbehrlichen Nebengebäude eines wohlhabenden mingrc- lischcn Bauernhauses sind die folgenden: Die Patsa oder die für die Neuvermählten der Familie und für Gäste be stimmte Hütte, deren leichtes Gerüst aus Nußbaumholz mit einer dichten Bekleidung von großen Farnkrantblättern ver sehen wird; die Magasa und das Begeli, zwei, nebenein ander auf sechs Fuß hohen Pfählen stehende Vorratshäuser, in deren einem der Mais in Garben anfbcwahrt wird, während in dem andern die Vorräthe au Gomi oder Hirse aufgeschüttpt werden; beide Häuser sind mit Dächern von Riedgras versehen; das Maranni oder der kellerartige Ranm, in dem der Wein in der ursprünglichsten Weise be reitet und aufbewahrt wird; der Reisende, der sich den Ge schmack an dem übrigens vortrefflichen Getränke nicht ver derben will, thut wohl daran, diesen Raum und die in ihm enthaltenen Gefäße nicht zn genau zu untersuchen; die Maraka oder der ebenfalls auf Pfählen stehende und nur mit einer Leiter zu erreichende Stall für die Schafe und Ziegen; der Sakatnio, ein großer, mit einem Deckel ver sehener und am Boden befestigter Korb, in den die Hühner sür die Nacht eingesperrt werden, und endlich das Giar- guali oder die allgemeine Werkstatt, der Aufbewahrungsort für das Ackergeräth und Werkzeug, zugleich der Raum, in dem die miugrelischc Bauernfamilie sich im Verein mit ihren Hausthieren den größten Theil des Tages über auf hält.