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30 Dr. I. W. Paul Lehmann: Wanderungen in den L-üd-Karpathen. von Süden in den zackigen Kamm hincingreifendcn Schlucht kamen, jenseits welcher sich der Negoi erhob, ein mächti ger, dreigipfligcr Berg, zwischen dessen Scharten und Schluch ten nns mehrere Schncefclder entgegenschimmerten. Plötz lich setzte sich Joan nieder nnd erklärte, weiter könne er als bejahrter Mann nicht gehen, hier müßten wir hinab und dann so und so und so — er zeigte mit dem Stocke — an der andern Seite in die Hohe; er werde nöthigenfalls win ken und schreien! Was mar zu thun? Wir sahen zwar den Fuß der sich vor uus absenkenden steilen Grashalde, aus der hin und wieder eine Felsenzacke hervorragte, nicht, beschlossen aber doch hinabzusteigcn und kamen glücklich auf den öden, mit Gerölllagern und dichten Schnecbänken bedeck ten Boden der Schlucht, von dem wir etwa noch 500 m bis zu dem, unseren Blicken jetzt durch vorspringende Felsen verdeckten Gipfel des Negoi emporzuklimmen hatten. Lang sam kamen wir an den steilen Felslehncn empor, bis wir über einen mit großen Gcsteinsplatten nnd kleinen Schiefer- stückcn bedeckten, spärlich begrasten Abhang von 28 Grad zum Gipfel (2536 m) gelangten. Wolken zogen über die in langer Reihe liegenden, sich thcilwcise deckenden Gipfel, wnrdcn aber von einem starken Winde immer wieder zer rissen. Nach Osten hin, in den wildesten Theil des Gebir ges, blieb die Aussicht am meisten verdeckt, war aber trotz dem nach dieser Seite hin am interessantesten, denn der Sturm ballte die Wolken bald zusammen, bald riß er sie in Fetzen und jagte sie in den nach Norden führenden Quer- thälcrn gegen den zackigen Kamm empor. Ein schimmern der Dunst verschleierte die ferne Donaucbcne. Dreißig Kilometer lang liefen steilgewölbte, begraste nnd von Was serrissen gefurchte Rücken nach Süden, in Form und Farbe ohne anziehenden Wechsel. Hier und da zeigte sich auf dem Rücken der dnukle Fleck eines kleinen Knicholzbcstandcs, aus dcu engen, unbewohnten Thälern blickte düsterer Fichten wald. Wilder und mannigfaltiger gestaltete sich der schmä lere, tief gefurchte Nordabhang, über den hinweg man auf die an den Silbcrfädcn der Bäche anfgcreihtcn Dorfschaf- ten der Alt-Ebene blickt. Wie fast alle Gipfel des Kam mes, hat der Negoi seinen Steilabfall nach Siebenbürgen, Uber 600 m tief senkt er sich unter einem Winkel von 45 Grad ins Laitathal hinab. Als wir mit einer Abweichung von dem am Vormittage znrückgclegten Wege bei Joan anlangUn, erhielten wir eine langathmige Belobigung über die exakte Ausführung seiner- trefflichen Unterweisung und die Versicherung, die Anstren gungen unserer Kletterei seien bei Weitem nicht so ermat tend gewesen, als die Angst, die er unseretwegen ansgestan- dcu hätte. Am Abend in der Stina zeigte sich Ioan sehr anf- gcränmt, vielleicht weil Gabriel mit den Gänlen glücklich zurückgekchrt war. In gehobener Stimmung hielt der be redte Alte dem mit seinen Knechten ums Feuer hockenden Hirten einen Vortrag über Pferdeverstand, Frauencharaktere, Kaiser Trajan u. s. w. bis spät in die Nacht. Wenig er freut zeigte er sich am nächsten Morgen über meine For derung, uns auf die Scara (2307 m) und die Csorta (2420 m) zu führen. Da seine Versicherungen, »Scara und Csorta seien höchst gefährlich zu ersteigende Gipfel« und „es werde sicher regnen«, sich als fruchtlos erwiesen, bepackte er die Pferde und führte uns auf eine kleine Kuppe des Scara-Ausläufcrs mit der kecken Behauptung, hier seien wir ans der Scara. Auf meine Erklärung hin, einem so verlogenen Führer halte ich mich nicht verpflichtet, den Lohn zu zahlen, machte Joan ein unbeschreibliches Gesicht und jammerte über sein Alter und seines Sohnes Unerfahrenheit nnd Unkenntniß im Gebirge. Ungeduldig gab ich dem Al ten die Weisung zu bleiben, dem „unersahrenen« Gabriel aber den Befehl, uns mit dem nöthigen Proviant zn folgen. Im Vertrauen auf meine Karte stiegen wir anfangs über- breite Grashalden, dann Uber einen ganz ungefährlichen Grat von Hornblendcfchicfcrn direkt ans die grasbewachsene Knppe der Scara, während Gabriel hinter uns her seufzte und stöhnte. Da die Aussicht von der Scara nach der gestrigcn vom Negoi wenig Neues bot, wanderten wir bald auf dem Kamme fort gegen S.-W. und hinter der schroff nach Siebenbürgen abfallenden Felsnase Girbowa herum aus die zackige Csorta zu, den Budislav der Generalstabs karte. Der drcigipfligc, zackige Kamm der Csorta besteht ganz aus großen, witd übereinander gethürmtcn Blöcken und fällt nach Norden mit steiler Wand ab zu dem kleinen Freker Jäser (4,aon^vriZnlni), während er sich nach Süden in einem anfangs zackigen Bergkammc mit dcntlich nach Süd fallenden Schichten fortsetzt. Mit der Csorta, die gegen Süden und Südwcst in zwei öde, trümmererfülltc Schluchten abstürzt, hört nach Westen hin der wilde Cha rakter des Gebirgskammes auf; vom Racovitzan zum Su- rul würde man bequem reiten können. Ueber anstehende Felsen mit mehreren zwischcnlagcrnden Bänken hellfarbigen Urkalks nnd steile Schutthalden stiegen wir 400 m hinab zu dem kleinen See. Der Frecker Jäser gehört zu den größe ren Wasserbecken, die sich in den oberen Thalböden der Süd karpathen, unmittelbar unter dem Kamme, zu befinden pfle gen. Mich erinnerte er mehr an den kleinen Teich des Riesengcbirges, als an de» großen Fischsee der Tatra. Den 850 m langen Spiegel des Fischsces überragt dcr Mönch in einer 1051m hohen Wand, deren durchschnitt liche Neigung noch.460 gxMgt, der 200 m lange nnd 150 m breite Freker Jäser liegt 400 m unter dem Gipfel der Csorta, zu der man über Schutthalden und Felswände vom See in einer Linie emporblickt, die 33° gegen die Horizon tale geneigt ist. Ueber die Tiefe des kleinen Bcrgsces konnte ich nichts ermitteln, halte dieselbe aber nicht für bedeutend und bei ihm nnd allen ähnlichen Wasserbecken des Hoch gebirges für viel geringer, als bei den größeren Meerangen der Tatra H, da sic meist in der Mitte der Thalböden liegen und selten mauerartig in sie absallende Felsen bespülen. Aufgestaut ist der See durch eiue Thalsperre festen Gesteins und nicht etwa durch eine Trümmeranhäufung, die man als die bogenförmige Stirnmorüne eines vcrfchwundcncn Glet schers, oder auch als das Material eines von den benachbar ten Lehnen niedergebrochenen Bergsturzes ausehen könnte. Ich habe an anderer Stelle auseinandergesetzt?), daß das Fogaraschcr Hochgebirge sich darstellt als die Faltung eines großen Komplexes kristallinischer Schiefer, in welche, senkrecht durch die nach Norden und Süden fallenden Schichten, die erodirende Kraft des Wassers die Uesen Querthäler genagt hat. Durch Erosion können natürlich die oft nnr 10 m breiten und nicht einmal 1 m tiefen kleinen Teiche nicht entstanden sein, welche man in einer Höhe von 1700 bis 2000 m auf dem Felsboden der Thäler trifft. Wahrscheinlich haben die einst in diesen Thälern vorhandenen Gletscher, während sic ihre Eis massen und die Grundmoräne über den Thalböden hinscho- bcn, bei der ungleichen Härte nnd Widerstandsfähigkeit der einzelnen Felsbänke diese flachen, tellerartigen Vertiefungen ausgehobelt, wie sie den aus den Thalböden hcrausragcudcn Felsenzacken die in vielen Thälern auftretendc Gestalt von Rundhöckcrn gaben. Nach Schliffen habe ich mich aus den ff Gr. Fischsee 60 m, Csorbaersee 20 m, Poppersee 16,4 m, Felkaerste 5,3 m im Maximum. Bergt, meinen Aufsatz. Beobachtungen über Tektonik und Gletscherspuren im Fogaraschcr Hochgebirge. Zeitschr. der deutschen geologischen Gesellschaft 1881, S. 109 f.