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14 1^2 Hand gleichsam wie eine Rede sprach, mit durchgängigem Fortevortrag den größten Dienst zu erweisen. Solch unbachisches Eebahren müßte Stürme der Entrüstung Her vorrufen. Meist findet aber eine kritiklose Menge diese sonderbaren Nuancen sehr originell. Und kritiklos oder, was für diesen Fall damit gleichbedeutend ist, in falscher Kritik befangen sind nicht nur zahllose Dilettanten, leider auch sehr, sehr viele Musiker. Höchst mißtrauisch muß man ja stets den Menschen gegenüber sein, welche der Kritik jede Bedeutung absprechen und dazu auffordern, sie zu ignorieren. Meistens behaupten das diejenigen, welche ihr Tagewerk damit beginnen, die Zeitung zu lesen und sich, ohne daß sie es wollen, von der darin aus gesprochenen Meinung beeinflußen lassen. Bei dem Warenhaus artigen Betrieb in der Musik muß man auch gegen das Geschäftsgebahren mißtrauisch werden. Wenn ein Kritiker an einem Abend mehrere Konzerte und dann eventuell noch eine Opernvorstellung zu besuchen hat, so muß er kaltes Blut besitzen, um das alles über sich ergehen zu lassen. Er soll aber doch noch so viel Wärme verspüren, daß er der Eigenart einzelner Künstler gerecht werden kann. Gar gern zitiert man da die trefflichen Worte, welche Leopold Schmidt einst einer seiner Be sprechungen einfügte: „Ich erblicke wahrlich nicht die Aufgabe des Kritikers darin, durch Nörgeln und Tadeln den Künstlern das Leben schwer zu machen. Darum laßt mich schwärmen, wo sich die Gelegen heit bietet. Erst dann erfüllt ja die Kritik ihren schönsten, ihren natür lichen Beruf: zwischen den Empfindungen des Künstlers und des Publikums zu vermitteln." Schwärmen und vermitteln, ach, wer das doch könnte! Wer er innert sich da nicht der vielen Abhandlungen, die so recht vom Un verstand diktiert, ohne alle Teilnahme, ohne jedes Mitempfinden, kalt, ja gehässig verfaßt sind. Schlicht musikalisch und natürlich, ohne die gesuchten Abstufungen, mit denen große Taktschläger zu wirken wissen, dirigirt ein junger Kapellmeister ein bekanntes Chorstück. Die Kritik sagt: armer Kleiner, laß die Hand vom Taktstock! Ein Virtuos von großer Eigenart spielt allbekannte Stücke in nicht alltäglicher Weise. Die Kritik sagt: Du frecher Phantast, laß deine Klimperei! Von einem wenig bekannten Komponisten erlebt ein nicht eben leicht verständliches Quartett die Uraufführung. Die Kritik sagt: Nur ein Gedanke ist in dem Werk und dieser eine Gedanke ist nichts wert! Ja, schwärmen und vermitteln, ach wer das doch könnte!