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13 baren. O, mögen doch bald die Tage kommen, in denen auch in die dunkelsten Winkel hineingeleuchtet und aller Unrat, der darin noch auf gespeichert liegt, hinausgekehrt wird! Auf einem großen Scheiterhaufen sollen dann all die trüben Reste verbrannt werden, die Flammen werden auflodern und ihr Licht wird einen Gruß der Erkenntnis der künstlerischen Freiheit, Wahrheit und Natürlichkeit entgegensenden. Gewiß sind beim Beginn unbedingte Gebote und Verbote zu er lassen, um das Vorwärtskommen überhaupt zu ermöglichen und aus dem Wirrwarr der Anordnungen einen Ausblick auf das fernstehende Ziel zu erhalten. Ist der Blick aber einigermaßen gelichtet, so hat jede Einzelerscheinung Anspruch auf Berücksichtigung und die Generalerlasse sind mit Spezialklauseln zu versehen, „denn in der Tat ist nichts in der Musik absolut verboten, und man findet von sämtlichen Regeln der Stimmführung Ausnahmen gerade in den wirkungsreichsten Sätzen der größten Komponisten. Offenbar ist es daher ein falscher Standpunkt, auf den sich die Lehrer der Harmonik gestellt haben, indem sie dies und jenes in der Musik für verboten erklärten" (Helmholtz). Nur der wird imstande sein beurteilen zu können, ob etwas Unge wöhnliches auch an der passenden Stelle Verwendung gefunden hat, der seinen Blick historisch geschult hat. Auf allen praktischen und theo retischen Gebieten der Musik sind deshalb ununterbrochen historische Überblicke zu geben. Wie kann jemand ein Musikstück richtig genießen, richtig auslegen und Wiedergeben, wenn er nicht weiß, in welcher Zeit und in Melcher Umgebung das Werk entstanden ist? Ist es ferner beispielsweise denkbar, daß in der Harmonielehre Klarheit geschaffen wird, wenn nicht der Unterschied zwischen reiner und temperierter Stim mung durchgesprochen worden ist? Wie will ein Dirigent sinngemäß die Werke älterer Zeit interpretieren, wenn er sich nicht selbst in den Geist jener Zeiten versetzt hat, wenn er sich mit ihren Manieren, ihren Vorführungsgebräuchen nicht vertraut gemacht hat? Wenn mehr histo rischer Sinn bei den Musikern vorhanden wäre, dann könnten die Choräle eines Bach nicht derartig verschimpfiert werden, wie es häufig geschieht. Durch die tollsten piani88imi oder korti88imi, die größten Verzerrungen der Fermaten, ja durch mangelnde Beleuchtung im Konzert saal sucht man den Weisen eines Bach näher zu kommen. Manche Klaviertitanen sind der Meinung, vielen Klavierstücken desselben Meisters, von dem zuverlässige Quellen berichten, er habe so viel Mannigfaltig keit in seinen Vortrag zu bringen gewußt, daß jedes Stück unter seiner