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c^i 10 Niemand wird gute Melodien schreiben, der nicht die Begabung dazu besitzt. Letztere mutz aber in sorgsamster Weise zur Ausbildung gelangen. Es bedarf einer angestrengten, andauernden Übung, um schöne einheitliche Sätze entstehen lassen zu können. Wie der Virtuos immer und immer wieder technische Studien, um seine Fingerbeweglichkeit zu erhalten und zu fördern, vorzunehmen hat, so ist es Pflicht des Kompositionsschülers, Versuche in der Melodiebildung in grötzter Zahl herzustellen. Kommt es doch für ihn darauf an, in der musikalischen Sprache aller der Mittel, die sich ihm bieten, Herr zu werden. Die Lehre von der Melodie ist noch in anderer Art, als es bisher geschehen ist, zum Spezialstudium zu wählen. Datz man diesem Gebiet etwas wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat, geht schon aus der nur in geringem Matze zur Verfügung stehenden Literatur hervor. Und doch genügt es nicht, zu wissen, wie durch Aneinanderreihen von Motiven die Sätze entstehen. Ausgabe der Melodik ist es auch, zu zeigen, wie die Tonreihen nicht nur nach dem Gehalt eines Musikstückes, für welches sie bestimmt sind, sondern auch nach dem Charakter des Instrumentes, durch welches sie zum Vortrag gelangen, ein anderes Aussehen be kommen müssen. Aller harmonischen und rhythmischen Errungenschaften ist dabei zu gedenken. An Varriierung von Sätzen lätzt sich trefflich demonstrieren, wie anders Sprünge als Schritte wirken, welche Kontraste sich aus den Umkehrungen ergeben, ob Verlängerung und Verkürzung der Takte, metrische Wechsel sich mehr für lyrische oder dramatische Themen eignen. Kurz, einer Fülle von Kleinigkeiten, die sich aber doch im gegebenen Falle als bedeutsam erweisen können, ist Beobachtung zu schenken und ihrer Verwendbarkeit nachzuspüren. Wie die Melodiebildungslehre verträgt die Lehre vom freien Satz eine liebevollere Behandlung. Man nimmt gar häufig an, datz der, welcher den strengen Satz leidlich beherrscht, auch sofort mit dem freien Satz richtig umzugehen weitz. Erfahrungsmätzig bereitet aber der freie Satz auch begabten Schülern viele Schwierigkeit. Leider vermissen wir hier gleicherweise Werke, welche systematische Anleitung zur Behandlung und Darstellung des Stoffes geben. Und doch wäre es so wünschens wert, datz die Einzelbearbeitung das Verständnis für die Feinheiten freibewegter Stimmen förderte. Wenn also die Forderung gestellt werden muh, datz die Kompo sitionslehre durch Eingehen auf die Umbildungsbestrebungen in den Formen, durch richtige Würdigung der technischen Fertigkeiten und Aus-