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bedeutende Ideen zieht man, um eine breite Form damit auszufüllen, wie Gummi auseinander. Weil ein Musiker ein großer Akrobat ist, glaubt er auch ein großer Denker zu sein. Ein schwerer Fehler ist es, die Technik als Spezialität auszubilden,' statt sie eine Dienerin sein zu lassen, will man aus ihr eine Herrin machen. So verflacht die Kunst! Oberflächlichkeit und Seichtheit der Ideen bilden ein untrügliches Zeichen starken Niedergangs. Klagen, welche über diesen Zustand der Musik erhoben werden, sind wohl gerechtfertigt: Zum Glück gehen solch unerfreuliche Erscheinungen gar rasch vorüber, wenn ein Genie kommt, das unbekümmert um alles Weltgetriebe aus dem Bollen schafft, sich aller Errungenschaften bedient, die Technik aber nur als Hilfsmittel, um neue Ideen in neuem Ge wände zu geben, benutzt. Die unbedeutenden Werke, von denen ver irrte Propheten als von Meisterwerken faselten, sind rasch, zu rasch vergessen und nur das Neue, das wirklich Geniale erobert sich Schutt für Schritt den Boden, um nicht wieder zu verschwinden. Mit der Feststellung dieser Vorgänge allein ist nun freilich unsrer Sache nicht gedient. Bis zu der Zeit, in der ein neues Genie ersteht und uns durch neue Wunderwerke neue Bahnen führt, können so und so viele strebsame junge Künstler, von der Zeitströmung fortgerissen, irre geleitet werden und verloren gehen. Pflicht der Schule, des Lehrers ist es, die Jugend vor den ihnen drohenden Gefahren zu warnen, auf sie einen günstigen Einfluß zu gewinnen und sie richtig zu leiten. Ganz verfehlt wird das Beginnen sein, dies Ziel dadurch erreichen zu wollen, daß man die neuere Musik einfach verwirft und den Schüler nur in einer klassisch konservativen Schule selig zu machen glaubt. Damit muß man rechnen, daß die jungen Leute sich an eine musikalische Aus drucksweise, die sie so häufig vernehmen, gewöhnen, und bis zu einem gewissen Grade an ihr Geschmack finden, selbst wenn dieselbe voll von Fehlern ist. Und es ist noch gar nicht gesagt, daß nur Fehler darin enthalten sind, weil nicht alles und jedes nach den Grundsätzen, die einst als unumstößlich galten, gehandhabt wird. Auch ein Unfehlbar keitsdogma hat eine gute und eine schlechte Seite und in der neueren Musik gibt es neben der schlechten auch eine gute Seite. Die Kunst wird bei der Erziehung dahin gehen, zu zeigen, wie in der jetzigen Tonkunst die Bahnen durcheinander laufen, wie man sich zum Teil vom rechten Wege entfernt, wie aber auch noch da, wo es bergab geht, wo scheinbar jeder Halt verloren ist, gute Stützpunkte sich vorfinden.