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Die absonderliche Tatsache ist festzustellen, daß gewisse Menschen nicht mehr normal hören können oder nicht mehr normal hören wollen. Jedenfalls darf für sie die Musik nicht mehr wohlklingend sein; es ist erforderlich, daß die Geräusche in ihr vorherrschen, daß ein Summen und Surren, ein Chaos von Schallwellen, aus welchem erst der Zu stand höherer Verzückung resultier:, entsteht. Die Wollust der Kreatur mutz auch in der Musik mit Bitterkeit gemengt sein. Zudem scheint es erforderlich, datz die Schöpfer neuer musikalischer Abnormitäten, an denen die Schreihälse Gefallen finden sollen, sich selbst schon als Götter fühlen. „Aber der Künstler der Zukunft, der doch über die Gegenwart weit hinausragt! Gott sei Dank sind unsre neumodischen Heroen nicht mehr so dummbescheiden wie die alten Meister. Sie wollen und müssen schnell bekannt und dementsprechend reich werden, auf datz sie ihr Dasein in eine ihrem Übermenschentum entsprechende übermenschliche Pracht hüllen." (Urban: Strautz kontra Wagner.) Bravo! Da ist endlich einmal ungeniert gesagt, worauf es an kommt. Ganz zutreffend wird mit diesen Worten das treibende Element in unsrer Musik gekennzeichnet. Heitzt es doch jetzt für den Künstler nicht mehr in stiller Abgeschlossenheit nur seiner Kunst leben, nur schaffen, weil er, von innerer Begeisterung getrieben, schaffen mutz, ohne Rücksicht darauf, was die Welt dazu sagt. Jetzt gilt es, schnell bekannt und, wenn irgend möglich, schnell reich zu werden. Die Kunst besteht darin, ein Musikstück so einzurichten, datz es Aufsehen erregt, datz es von sich reden macht, datz man Geld mit ihm erwirbt. Dadurch erklärt sich, datz diejenigen Musiker, welche in der modernen Tonkunst voranmarschieren möchten, als die Führer gepriesen werden, mit Vorliebe nur ganz bestimmte Gebiete bearbeiten. Die symphonische Dichtung oder überhaupt das Orchesterstück und die Oper werden von ihnen bevorzugt, die Kammermusik, mit Ausnahme des Liedes, so gut wie ganz beiseite gelassen. Wie will man auch mit einer Violinsonate, einem Streichquartett Sensation machen. Einzig das Orchester gibt alle Möglichkeiten dazu in ausgiebigster Weise an die Hand. Hier lätzt sich die Form in das Ungemessene dehnen, hier lassen sich die Darstellungsmittel derartig häufen, datz die Aussprache über sie voll ständig zur Aussprache über das Kunstwerk genügt. Und wie ist das bequem! Nun kann man sich stundenlang darüber unterhalten, welch wunderbare Effekte in einer Symphonie durch einen Hammerschlag,