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Beilage zunr ^rankenbevgev Tageblatt Rr. »41 Freitag, den 14. Oktober 1NL7 8«. Jahrgang ten und ihre Wirtschaft schon heute erfasst hat, das auch hören aus den Beschlüssen des zu glei cher Zeit in Berlin tagenden 3. Kongresses d es Intern ati analen Bund es neutra ler Ange st eilten Organisationen. Mit der Tagung des Internationalen Arbeitsamtes, Eine sozialpolitische Woche — Bedeutsam« Ta gungen — Weltwirtschaft und Nationalwirtschaft. Drei große sozialpolitische Tagungen mit be deutsamen Reden und Beschlüssen gaben der zwei ten Oktoberwoche das Gepräge einer ausgesprochen sozialpolitischen Wache. So verschiedenartig auch Charakter, Wesen und Ziel der Organisationen waren, die in den letzten acht Tagen die große öffentliche Diskussion auf ihre Arbeit lenkten, so waren sie letzten Endes doch einig in dem Be streben, den Kampf um ihre Ideal« nach höheren Gesichtspunkten zu führen, als dies im politischen Leben leider ost der Fall ist. Es kann nur ge wünscht werden, daß diesem Willen auch die Taten folgen mögen. handener Gegensätze Wege und Formen suchen müsse, die aus dem vor uns liegenden Trümmer haufen allmählich eine neue fortgeschrittene Welt gestalten soll! Dieses Bekenntnis ist umso be merkenswerter, als gerade in unseren Tagen radikale Kreise mit der Behauptung über den bewußten Kampfwillen der deutschen Ar beitgeber neue schwere Erschütterungen in un ser Wirtschaftsleben zu tragen versuchen. Ms erstes praktisches Ergebnis der Tagung übermit telte Reichsarbektsminister Dr. Brauns dem Prä sidenten des Arbeitsamtes die deutsche Ratifika tionsurkunde über die Beschäftigung von Frauen. Damit ist die Zahl der ratifizierten Urkunden bei diesem Amte auf über 440 gestiegen, ein In Plauen i. V. hielt die Gesellschaft „Deut- scher Staat" ihre Hauptversammlung üb, als deren Höhepunkt allgemein «in Vortrag vom Oberfinanzrat Bang über das Thema „W erks- gemeinschaft und Nationalwirt schaft" bezeichnet wurde. Die Anhänger der Werksgemeinschaft lehnen bekanntlich die gewerk schaftliche Organisation der Arbeiter ab und treten dafür ein für die Bildung geschlossener nationaler Einheiten auf der Grundlage der Merksgemem- schaft. Bemerkenswert war nun die bewußte A b - kehr von der Weltwirtschaft, die in der Rede Dr. Bangs zum Ausdriuck kam. Bon der Weltwirtschaft müsse Deutschland wieder mehr zu rückkehren Mr Nationalwirtschaft, „da die Utopien von der internationalen Arbeitsteilung immer utopischer würden". Fast zur gleichen Zeit, da in Plauen diese Worts gesprochen wurden, erklärte der gegen wärtig in Neuyork weilende Direktor der A.E.G., Felir Deutsch, daß in allernächster Zelt der Z u- sammenschluß der europäischen Län de r zu einem großen Wirtschaftsverband erfolgen werde, daß dessen ungeachtet der deutsche Außen handel aber stärker entwickelt werden müsse, schon allein des Dawesplanes wegen. Während auf der einen Seite das Schlagwort geprägt wird, daß die „Internationalisierung unserer Wirtschaft die Ergänzung unserer Waffenablisferung durch Wirt- schaftsablieferung" bedeute, wird auf der anderen Seite dem vermehrten Außenhandel Deutschlands ebenfalls aus staatserhaltenden Gründen das Wort geredet. Wie weit der internationale Gedanke die Staa- Vornehmheit Zuweilen begegnen uns Menschen von einer lellsamen Art, von einer geheimnisvollen Macht, di« stark und mächtig überströmt auf jeden. mit dem st, «usamm,«kommen. Dieser Men — denn nie mals ist es etwas Laut« - Gewalt vermag sich niemand zu entzieh««, so sehr sich auch manche dagegen sträuben mögen. Sie sind sicher in sich selbst, um «inen ruhenden Punkt kreist ihr ganzer Weien, da, nicht hin und her oeriffen wird »wischen Unsicherheiten und suchendem Tasten, welche« der recht« Wea sei. Bon manchem von ihnen geht « au« wie eine seltsam« Kühle, «in« Fremdheit allen andern gegenüber, d«nn nicht leicht gewinn«« sie Freunde, erschlossen und vorsichtig f«d«n Menschen wägend, der ihn«n beaegnet. Die« ist Dornehm» beit, fener Adel, der nicht viel«« Menschen zu eigen ist, den viel« schmerzlich ersehnen und doch niemals aam gewinnen können, diese S«ldftsich«beit und Geschlossenheit, die ruhig und mistend ihren Weg gebt, unbekümmert um das Geschrei der Menge. Unter Adel, auch »lutsadel, sind hi« nicht nur jene gemeint, die gemeinhin darunter venianden werden, sondern alle jene Überhaupt, deren Kamin« weiter al» zwei, drei Generationen zurückreicht und in denen ein« Famiiienüberlirserung lebendig ist, seien es nun solche, di« von Ritterbüriiaen her» stammen, seien es solche, die alte, städtische Patrizier» geschlrchtrr al« Vorfahren had«n, oder sreie fwiz« Bauern auf jahrhundertelang ererbtem Hof. Und weit älter als di« Herren von und zu können ost gerade jene be'drn letzten Adelsträger sein. Ihnen allen aber ist es gemeinsam, sofern nicht schon zu große« Alter di« Kamine überzüchtet hat, daß st« den Dingen de» Leben« mit größerer Ruhe und Gelassenheit aegenüberstehen, mit größerer Stcher- heit, weil Kräfte in ihnen lebendig sind, die schon von Jahrhunderten her gepflegt wurden. Aus ihrer inneren Sicherheit heraus wächst ihr« groß« Kraft, die st« immer ihre eigen« Stellung finden läßt dem Geschehen gegenüber. Sie gehen bewußt ihren Weg und lasten sich nicht treiben von den Mä-lUen um sie und in ihnen. In innerer Freiheit stehen st« ihren Borgeletzten gegenüber, gütig und gerecht gegen die, di« unter ihnen arbeiten. Keine Laune kann st« zu Ungerechtigkeiten veran- lassen, denn sie prüfen und wägen wohl, was sie tun, und lassen sich nicht von der Stimmung der Stund« treiben. Wir all« müssen un« mühen, diese innere Ruh« und Gelassenheit zu finden, di« da» Wesen der Vornehmheit ausmacht, um sie weiterzugeben und stärker m machen in unseren Kindern, den Trägern zukünftiger deutscher Kultur. die man als das Zusammentreffen der sozialen Diplomatie bezeichnet hat, war erstmalig ein Teil der großen Völkerbundsorganisatkon in Berlin zusammengetreten. Das Bemerkenswerteste dieser Tagung war ohne Zweifel der Empfangsabend, höhen werd«. Reich und Länder befänden sich in einer Schicksalsgemeinschaft, und beid« zusam men müßten jetzt den Schritt der Beamten befok- dung tun oder lassen. Die Vertreter Bayerns und Sachsens erwiderten, der Reichsfinanzminister habe sich mit den Ländern erst in Verbindung gesetzt, als die Besoldungssätze schon föststanden. Staatssekretär Dr. Popitz erkürte demgegen über, di« Reichsrsgierung könne diese Foststeklungi nicht anerkennen. Er stellte dann fest, daß die Besoldungsordnung mit Mehrheit angenommen worden sei. Am Freitag vormittag tritt der Neichsrat zur Beratung des N ei chs s chulg «sehentwu rfs zusammen. Preisgestaltung im Einzelhandel An den Bund Sächsischer Staatsbeamten e. B., Dresden, wurde unterm 6. Oktob«r seitens der sächsischen Handelskammern da« folgende Schreiben gerichtet: »Die Presse gibt eine Entichliehung Ihre« Bundes wieher, in der zum Ausdruck gebracht wird, daß .der Kleinhandel" durch wirtschaftlich nicht aerechstertiate Preiesttigerungen die erweiterte Kaufkraft totschlage, di« durch di« bevorstehend« Beamtengehaltserböhung hätte eintreten müssen. Im Eingänge dieser Entschließung erklären Sie wörtlich, di« Warnung de« Reichrfinanzministers vor Preissteigerungen lei »für einen großen Teil der Gelchästs- und Lodeninhaber' gewissermaßen da» Signal zur sorsortigen Preissteigerung ge wesen. Beweis dafür, daß die internationale Sozial politik marschiert. Von den Beschlüssen des 2. Kongresses des Bundes neutraler Angestelkten- organisationen interessiert insbesondere die Forderung der Ausdehnung des Washingtoner Arbeitszeitabkommens auch auf di« Handeksange- stellten und die Fortzahlung des Gehaltes kn Krankheitsfällen. Von den sonstigen wichtigen soziakpolittschen Er- eignissen der vergangenen Woche sei die Schaffung einer Abteilung für Sozialstatistik km Statistischen Reichsamt und das Urteil des Chemnitzer Landesarbeltsgerichtes erwähnt, das die Streikorganisation eines Verbandes der Zimmerleute dazu verurteilte, den Streik sofort abzubrechen, die Streikleitung aufzuheben und di« Bildung einer neuen zu verhindern. Dieser Fall steht bis jetzt einzig da und man muß seine Weiterentwicklung aus grundsätzlichen Gründen mit Interesse verfolgen. K. Lgt. Ar «eMmsKesom im Reichs»« »t« statt« «eeaimhl K«ine Erleichterungen für di« Länder Perlin, 13. 10. Heut« nachmittag fand eine öffentliche Bollsitzung des Reichsrates statt, auf Heren Tagesordnung die Bericht« der Ausschüsse Uber die Besoldungsvorlage standen. Im Verkauf der Beratungen beantragte der Vertret« Sachsen« Streichung der Bestimmung der Vorlage, daß Nenderungen der Besoldungsordnuug durch Gesetz Erfolgen können. Gegen diesen Anttag sprachen Och die Vertreter der Reichsregierung aus. Mit 87 gegen 31 Stimmen wurde dann der Antrag «bgelehnt. Die Ausschüsse hatten ferner den Antrag ein- tz«bracht, den Ländern die Deckung der mit per Besoldungsordnung verbundenen Mehraus gaben dadurch zu erleichtern, daß ihr Anteil <m d«m Aufkommen derEinkommen-uud Kör- Oerschafls st euer von 75 Prozent auf 80 «Prozent erhöht wird. Nach Annahme dieses An trages erklärte Staatssekretär Dr. Popitz, di« MÄchsregierung könne sich mit diesem Beschluß sticht abfknden und werde im Reichstag eine Dop- pelfassung unterbreiten. Bayern beantragte besondere Vergünstige. Ken für die finanziell schwachen Länder durch Rn« Aenderung de« Finanzaus- Kleichrgesetzes. Dieser Antrag, für den außer Bayern noch Württemberg, Baden, Thü ringen, Mecklenburg-Schwerin, Oldenburg, Braun- Mweig, Anhalt, Lippe, Mecklenburg-Strelitz und Schaumburg-Lippe stimmten, wurde jedoch mit 39 gegen 27 Stimmen abgelehnt. Nach Annahme der Einzelbestimmungen gab Gesandter von Preger die Erklärung ab, di« bayrische Regierung sei nach Ablehnung ihres Antrags zum Finanzausgleichsgesetz n i ch t i nder Lage, der Vorlage zuzu stimmen. Sie ver kenne keineswegs die Notwendigkeit einer Er höhung der Beamteuüezüge, aber es märe Pflicht der Reich«r«gierung gewesen, vor Einbringung dieser Vorlage mit den Ländern und Gemeinden Fühlung zu nehmen, um die Frage zu prüfen, wie Länder und Gemeinden die Ausgaben decken könnten, dl« si« aus eigener Kraft nicht leisten könnten. Der Vertreter von Hessen schloß sich die ser Erklärung an. Die Vertreter von Württemberg, Sachsen, Thüringen und anderen Staaten erklärten, sie be- fänden sich zwar in der Zwangslage, im Interesse her Beamten die Vorlage amunehmen, aber sie könnten dasnurunterderVoraussetzung tun, daß die Reichsrsgierung die Land ör finanziell in die Lage versetze, die neuen großen Ansgaben auch leisten zu können. Staatssekretär Dr. Popitz bestritt, daß der Reichsfinanzminister es versäumt habe, sich mit den Ländern in Verbindung zu setzen. Der Mi nister stehe aber auf, dem Standpunkt, daß die Länder nicht anders gestellt seien als das Reich. Auch das Reich könne die neuen großen Aufwen dungen nur leisten in der Erwartung, daß sich das Aufkommen aus den vorhandenen Steuern er Diele Entschließung hat naturgemäß unter den Geschäftsinhabern und Verbrauchern lebhaft« Be- unruhlgung ausgeM. Im gegenwärtigen Zeit- - , ..... . punkt«, in dem alle Kräfte angespannt w»rd«n, das war deutlich zu ersehen aus der m der ver- müssen um im Geiamnnteress« da« Auftreten gangenen Woche in Berlin abgehaltsnen Tagung einer Wirischoftskrii, zu vermeiden, kann eine des Verwaltungsrates des Jnterna- iolch« «ku^uhinunq schwerwiegende Folgen nach t tonalen Arbeitsamtes und man konnte fichzIrhen.Namen«derISchPch-nHandei»kamm«rn, di« angesichts dieser ^rhälüvss« bestrebt find, auf die Vermeidung unnötiger Preissteigerungen hi«, zuwirken, aber auch kallchen Gerüchten über Prrt«. steigerungen solcher Art entgegenzutreten, ersuch«« wir Sie, un« die Vorgänge, di« d«n Anlaß zu Ihrer Entschließung gegeben hab««, i« möglichster Vollständigkeit mitzuteile«, damit wir nachvräf.n können, ob und in welchem Umfange tatsächlich unberechtigte Preissteigerungen erfolgt find und in diesem Falle nach Möglichkeit für Abhilfe sorgen können." . . . - Sine Antwort darauf ist noch nicht -tt°l«t.'L. Nach ihrem Lingana behalten sich die sächsisch«« ^»de den Delegierten dieser Tagung gaben. Handelskammern Weiteres vor. jUeber die Rede, die dabei Geheimrat Dr. ing. ' y. c. Emst von Vorsig, der Vorsitzende dieser « r j Vereinigung, hielt, wird noch manche- zu sagen ZVzfMpSMW WSHSlWW sein, erfreulich war aber sein starkes Bekenntnis " zum sozialen Frieden, der für den Ausgleich vor- bekämpfter Lluck Driginalroman von I. Schneidsr-Foerstl. Urheber-Rechtsschutz durch Verlag Osk. Meister, > Werdau. 18 Nachdruck verbalen. Marla würgte die Tränen zurück und sah in >ie Augen über ihr, die ebenfalls rot und ver« chwollen in dem kalkweißen Gesichte brannten. Wo hatte sie diese Frau nur schon einmal ge- ehen? Sie fand es nicht. „Haben Sie Vater gekannt?" fragte sie unter Tränen. Die Fremde bejahte. „Auch meine Mutter?" Wieder ein Bejahen. „Solange inan noch eine Mutter hat, ist man nie ganz verlassen, Kind!" „Ich habe auch diese nicht mehr." Maria geigte nach der Inschrift auf der großen, schwarzen Marmortafel, die sich als Sockel der Kreuzigungs- vruppe präsentierte und in welcher der Name ver Toten eingegraben war: Gertrud Molton, f 34. Juni 1905. ir. i. ?. Das Frauengesicht wurde noch fahler. Selbst das Rot der untergehenden Sonne, die sich hinter dem Bergrücken hinabsenkte, vermochte keinen Schimmer von Farbe auf demselben hervorzu- drkngen. „Mütter lönnen nicht sterben," sagte fte langsam. „Sie leben immer, auch wenn sie ihrem Kinde nicht nahe sein können. Und wenn Sie einmal ihrer-bedürfen, dann rufen Sie nach khr und sie wird kommen." Maria empfand das Gespräch mit der Fremden peinlich. Vielleicht war sie eine von den Spirk- Psten, die glaubten, die Toten heraufzitieren zu können. Sie widerstrebt« merklich, als die Dam« ßrach ihrer Hand griff und sie an die Lippen drückte. Knapp und gemessen erwiderte sie den Gruß, als sie sich zum Gehen anschickte. Maria war eine von den Naturen, die es nicht Aebten, wenn andere sich in ihr Inneres zu drängen suchten. Sie gab gerne und freudig, aber nicht dem Nächstersten, der da an ihre Türe zu Köpfen kam. Am Abend dacht« sie noch einmal flüchtig über die Begegnung mit der Fremden nach. Dann war sie vergessen. Die Anforderungen des Alltags getriebes schlugen wie eine kalte Welle über ihr zusammen. Sie erstickte förmlich in Arbeit. Aus der Stille der Schweizer Pension war sie mitten hinein ins Leben geworfen worden. Kommerzienrat Molton kam getreulich jeden Morgen von Spiegelhütte herüber und führte sie in die Geschäfte ein, da dem Verwalter Bomhart nicht immer die nötige Zeit dafür blieb. Wenn sie allein war, ergriff sie jedesmal eine grenzenlose Verzweiflung. Bomhart fand sie oft mals vollkommen fassungslos, die Arme über den Schreibtisch gelegt und das Gesicht darein ver graben. Es dauerte Wochen, bis das überwunden war, bis sie ruhig daran ging, sich einzuarbeiten und in di« Roll? des Chefs der großen Fabrik zn schicken. , „Du bekommst ein Gesicht wie ein Mann, Kindchen!" sagte Molton und fuhr ihr über das Haar, das sie glatt und hinten zu einem tiefen Knoten geschürzt aus der Stirne gestrichen hatte. Sie zog die Unterlippe zwischen die starken, schönen Zähne und sah ihn nachdenklich an. „Ich habe mir das anders gedacht, Onkel! Ganz, ganz ander»! Nicht so viele Außenstände und die Geschäfte reicher, glänzender. Ich habe Mühe, ein Defizit zu vermeiden." „Du verschwendest auch," sagte er mit einem herzlichen Lachen und sah an ihrem einfachen schwarzen Kleide herab, das sie seit dem Tod« des Vaters zu tragen pflegte. „Hat dir Bomhart schon gesagt, daß die Arbeiter Lohnerhöhung wollen?" Sie nickte gleichmütig. „Aber ich kann nicht. Sie müssen das einsehen, daß es jetzt für den Manat nicht geht. Es ist noch io vieles fertig zumachen und zu bezahlen, was Vater begonnen hat: den Kanal — drei Wohnhäuser — die Bäder. Wo soll ich's denn hernehmen? Wenn ich dürfte, Onkel! Wenn ich dürfte!" „Was wär's dann, Kindchen?" Er streichelte ihre Hände. ! „Dann würde ich laufen, so weit ich könnte." „Solch ein Feigling bist du. Mariechen? — Sieh einmal, das geht uns anderen ebenso. Ich habe ja im Augenblick gerade nicht zu Nagen, aber es hat schon eine Zeit gegeben, da war's mir zumute wie dir, und ist alles wieder flott geworden. Man muß es nur abwarten können." Ein mattes, verzweifeltes Lächeln stand in ihrem Gesichte und Molton schwebte es noch immer vor Augen, als er längst im Kraftwagen saß und Spiegelhütte zufuhr. — Armes Mädel! Nur gut, daß Marias erste Jugend so sorglos schön gewesen war. Die Gegenwatt zeigte sich nichts weniger als rosig. Der nächste Morgen war ein Sonntag und zu einem großen Ausflug berechnet. „Die Feier tage gehören mir!" sagte sie abwehrend, als der alte Bomhart ihr die Hand aus den Arm legte, sie vor dem Einsteigen in das Auto, das bereits angelurbelt war, zurückhaltend. „Es gibt Dinge, die keinen Aufschub dulden, gnädiges Fräulein! Auch am Sonntag nicht!" „Aber gerade heute!" sagte sie verzweifelt und sah nach dein Hochwald, der im verheißenden Frühlicht des Sommermorgens stand. „Ich möchte doch auch einmal Mensch sein und nicht nur Maschine! Tag und Nacht und Nacht und Tag — und —" Sie blickte in das ernste Gesicht des Alten, dessen Augen still und vorwurfsvoll auf ihr ruhten und schämte sich plötzlich, daß er sie erinnern mußte, daß die Pflicht über alles ging. Mit raschen Schritten ging sie mit ihm nach dem Bürogebäude, wo er ihr ritterlich die Türe öffnete. In ihren, Privatzimmer legte sie die Mütze ab, streifte die Handschuhe herunter und setzte sich, nachdem sie ihm zuvor noch einen Stuhl zugeschoven hatte. „Nun reden Sie, lieber Bomhart." „Sie erlauben doch, daß ich die Fenster schließe, gnädiges Fräulein?" Verwundert sah sie ihm zu, wie er beinah« lautlos die Riegel in die Oesen gleiten ließ. Dan« ging er nach der Türe, sah zuerst nach dem Gange und schob dann den Riegel vor. „Ich war heute nacht in der Kantine," sagte er und setzte sich ihr gegenüber. „Ja?" „Es sind böse Worte gefallen, gnädiges Fräu lein! — Böse Worte!" „Ueber mich?" Er hielt sie ans dem Stuhle zurück und legte ihr begütigend die Hand auf die Schulter. „Nicht erregen, bitte, ich mein's ja gut! Es läßt sich vielleicht noch manches einrsnken, wenn man's klug anfängt und sich zu einigen Zugeständnissen her beiläßt — beim der Streik —" „Man will streiken?" „Ja!" Sie griff nach ihren Handschuhen und schleu derte sie zornig auf die grüne Platte ihres Schreibtisches. „Sollen sie! Gesindel!" „Gnädiges Fräulein!" „Bomhart, wenn sie wüßten, wie ich es satt habe, dieses — dieses Hüttenpack!" „Fräulein Molton, wenn es so ist!" In seinen Augen lag Trauer und grenzenloses Entsetzen, „Wenn es so ist " Sie preßte beide Hände gegen die Schläfen. „Ach, Bomhart, es war ja nicht so gemeint. Aber diese Leute ziehen an meinen Nerven wie an Stricken. Früher habe ich garnicht gewußt, daß ich welche habe, und nun in den wenigen Mo naten, die Vater tot ist, komme ich mir vor wie eine alte Frau, der die Jahre den Rucken krumm gemacht haben." „Der Herr Kommerzienrat selig war immer zugänglich und ließ mit sich reden." „Lasse ich's denn nicht?" Sie sah, daß sie ihn kränkte, wenn sie ihn immer wieder unterbrach. „Lieber Bomhart, was soll ich denn tun, wa» kann man denn machen?" (Fortsetzung folgt.)