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DIE MALEREI DES MANIERISMUS UND BAROCK IN SPANIEN Die Einigung der im Mittelalter völkisch und staatlich zerspaltenen Länder Spaniens wurde 1469 in die Wege geleitet, als Ferdinand V. der Katholi sche (1452-1516), der Erbe Aragoniens, sich mit Isabella, der tatkräftigen und klugen Erbin Kastiliens, verheiratete. Unter der Regierung dieses ersten spanischen Königspaares wurde Amerika für die kastilische Krone entdeckt, der Grund zu dem großen Kolonialreich und damit zur spanischen Groß machtstellung gelegt und der Fremdkörper auf der iberischen Halbinsel, das arabische Königreich der Mauren in Granada, vernichtet. Im Bunde mit Frankreich hat Ferdinand schließlich noch das von einer aragonischen Sei tenlinie beherrschte Königreich Sizilien mit Neapel erobert. Aus der Ehe seiner Tochter Johanna der Wahnsinnigen mit Philipp dem Schönen, einem Sohn Kaiser Maximilians I., ging Karl I. (1500-1558) hervor, mit dem das Haus Habsburg 1516 für fast zwei Jahrhunderte auf den spanischen Thron gelangte und der als Karl V. 1519 zum Deutschen Kaiser gewählt wurde. Unter seiner Herrschaft entwickelte sich Spanien, das immer Mittelpunkt seines gewaltigen Reiches war, zur Weltmacht. Die schon vorher zur Ver treibung oder Vertilgung der Juden und Mauren angewandte Inquisition benutzte er als furchtbares Instrument gegen jegliche Ketzerei, so daß die Reformation in den spanischen Ländern nicht Fuß fassen konnte. Aber er verkannte anfangs die Bedeutung der reformatorischen Bewegung im Nor den; seine Einsicht, daß die Gegensätze unüberbrückbar geworden waren, kam zu spät, um den Norden für den alten Glauben zu retten. Als er bei seinem Thron verzieht 1556 sein Reich zwischen seinem jüngeren Bruder, der als Kaiser Ferdinand I. den Hauptteil der deutschen Lande bekam, und seinem Sohn Philipp (1527-1598) teilte, erhielt dieser als König Philipp II. die außerdeutschen Besitzungen, also Spanien, Sizilien, Sardinien und Neapel (d. h. ganz Unteritalien), und die damals noch zum deutschen Besitz ge rechneten Länder Mailand, die Freigräfschaft Burgund und die Niederlande, dazu noch die Kolonien in Übersee. In den Niederlanden war die Refor mation freilich bereits so stark geworden, daß sie sich selbst mit den Blut gerichten der Ketzerinquisition nicht mehr unterdrücken ließ. In helden haftem Kampf gegen die spanischen Truppen unter der Führung des Herzogs von Alba erhoben sich 1572 die protestantischen Nordprovinzen, das heutige Holland, und sagten sich 1581 von Spanien los. Philipp II., der sich 1563-1584 unfern von Madrid an dem fast baumlos steinigen Südhang der rauhen Sierra de Guadarrama seinen grauen Mönchs- palast mit Kirche, Kloster und Mausoleum, den Escorial, eine „Brutanstalt für finstere Träume“, bauen ließ, hat zwar sonst den Besitzstand seines Reiches zu wahren gewußt, aber von der Mitte der achtziger Jahre ab begann bereits das Staatsgefüge zu bröckeln. Seine im Bunde mit dem Papst gegen England gerichteten Pläne zerschellten 1588 mit dem Untergang seiner stolzen Flotte, der „Armada“. Seine Unternehmungen gegen den hugenottischen König Heinrich IV. von Frankreich scheiterten, als sich dieser weitblickende Herr scher mit dem Papst verbündet hatte und 1593 zum alten Glauben zurück gekehrt war. Am Schluß seines Lebens stand Philipp allein. Seine Nachfolger aus seinem schon degenerierten Geschlecht, dem Hause Habsburg, Philipp III. und IV. und der gänzlich verblödete Karl II. (f 1700), mußten an das all mählich erstarkende Frankreich ein Stück ihrer nördlichen Länder nach dem andern abgeben, und im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts verlor Spa nien auch seine italienischen Besitzungen. Die großen spanischen Nationaltugenden: der sprichwörtliche Stolz des Spaniers, seine steife Würde, sein soldatischer Ehrgeiz, seine von den Idealen des Mittelalters genährte Ritterlichkeit, seine glühende Hingabe an Königs dienst und Gottesdienst, seine bewundernswerte Zähigkeit und Bedürfnis losigkeit bei unerhörten Strapazen, seine Leidenschaftlichkeit in Kampf, Haß, Liebe und Religiosität erfahren in den stürmischen Zeiten des 16. und 17. Jahrhunderts ihre glänzende Ausprägung ebenso, wie ihre Kehrseiten zutage treten: Anmaßung, schneidende Herzenskälte, perverse Grausam keit, Fanatismus und die Pflege eines übertriebenen Zeremoniells. Sie finden in dieser Epoche ihren Ausdruck auch in der großen Literatur von Cervantes bis zu Calderon. Dicht nebeneinander stehen schwermutvoller Ernst und Neigung zu derber Lustigkeit. Besonders charakteristisch für den Spanier dieser Zeit - vornehmlich für den Kastilier, an den man zunächst denkt, wenn vom Spanier gesprochen wird - ist die tiefe Verflochtenheit soldati schen Gehorsams und schwärmerischer Religiosität. Karl V. und Philipp II. wußten diese Anlage klug zu nutzen, um ein strenges absolutistisch-monar chistisches Regierungssystem auszubauen. Diese echt spanische Bereitschaft zu unbedingter militärischer Unterordnung unter Königtum und Kirchen regiment ist auch die Grundlage für die Erfolge des Jesuitenordens, dessen Aufbau und Organisation nur einem Mann gelingen konnte, in dem sich, wenngleich er baskischer Abkunft war, alle spanischen Eigenschaften und Leidenschaften zu unheimlicher Energie steigerten: dem Edelmann und früheren Offizier Ignatius von Loyola (1491-1566), während sich die zar teste und zugleich glühendste religiöse Schwärmerei der Spanier in der 1622 heilig gesprochenen Nonne Teresa von Avila (1515-1582) verkörperte. Von diesem Spanien aus erhielt die Gegenreformation ihren unablässig wirken den Antrieb und wurde zu einer gesamt-europäischen Bewegung. Die Kunst Spaniens war von jeher vielfachen Einwirkungen ausgesetzt ge wesen. Sie hatte nach Überwindung frühgermanischer und islamischer Ein flüsse die mittelalterlichen Stilphasen der romanischen und der gotischen Epoche im Anschluß an die Entwicklung in Frankreich übernommen, wenn auch sehr eigenwillig abgewandelt, hatte dem heiter-sinnlichen Heidentum und dem humanistisch-klassischen Ideal der italienischen Renaissance im allgemeinen widerstanden, sich aber um so williger dem flandrischen Realis mus hingegeben und schließlich erst im Zeitalter des Absolutismus und der Gegenreformation ihren höchsten eigenen Ausdruck erreicht. Die Zierlust des Manierismus und die Erregtheit des Barockstils, namentlich seiner natu ralistischen Richtung, lagen dem spanischen Wesen. Auswärtige Künstler wurden hier immer mit offenen Armen aufgenommen; wenn man auch nicht die bedeutendsten Italiener oder Niederländer als Hofmaler nach Toledo oder Madrid ziehen konnte, so suchte man sich doch einige ihrer Hauptwerke zu sichern, so daß der Prado in Madrid eine der reichsten Sammlungen großer europäischer Malerei geworden ist. Karl V. und Phi lipp II. bevorzugten noch Ausländer, wenn sie sich porträtieren ließen: Tizian in Venedig und Anthonis Mor aus Utrecht, der am Hofe Phi lipps einige Jahre lebte und in dem Portugiesen Alonso Sanchez Coello (um 1515-1593) einen würdigen Schüler und Nachfolger fand. Bereits Philipp IV. nahm sich als Hofporträtisten und Hofmaler einen Meister spa nischer Nationalität. GRECO (1541 bis 6J7. IV. 1614). Die Heimat des lange vergessenen und erst vor wenigen Jahrzehnten in seiner Größe erkannten Meisters, dessen eigentlicher Name Domenikos Theotokopulos lautet, ist wahrscheinlich das kleine Bergdorf Phodele bei Kandia auf der griechischen, damals Venedig gehörenden Mittelmeerinsel Kreta. Der ihm später in Spanien gegebene Name „el Greco“ bedeutet „der Grieche“; mit griechischen Lettern si gnierte er, auch in spätesten Jahren, seine Bilder. Künstlerisch schon in Griechenland vorgebildet, wird er um 1565/66 nach Venedig gekommen sein, etwa zehn Jahre vor Tizians Ableben, dessen Schüler er geworden sein soll. Seiner tiefreligiösen Gesinnung nach dürfte er sich allerdings mehr zu dem ihm innerlich verwandten Tintoretto hingezogen gefühlt haben; viel leicht hat er auch in dessen Atelier mitgearbeitet, vielleicht auch bei Jacopo Bassano. Eine Streitfrage um einige früher diesem Meister, heute vielfach Greco zugesprochene Gemälde ist noch nicht restlos geklärt. Spätestens von 1570 an ist Greco in Rom, nachdem er in Parma Werke Correggios und Parmigianinos in sich aufgenommen hat. Nach wahrscheinlich mehrjähri gem Aufenthalt in Rom und einigen Wanderjahren in Italien geht er, ver mutlich mit festen Aufträgen, nach Spanien, und zwar zunächst nach Ma drid, Philipps II. Residenz seit 1559, und dann nach Toledo. Hier, in der alten kastilischen Königsstadt, der kirchlichen Hauptstadt Spaniens, ist der griechische Meister seit Juni 1577 nachweisbar. Während der Entstehungsort des frühesten datierten Bildes Grecos, einer signierten „Kreuzigung“ von 1569 in englischem Privatbesitz, ungewiß er scheint, gehören zwei kleine Gegenstücke „Hochzeit zu Kana“ und „Christus und die Ehebrecherin“ im Straßburger Museum sowie ein „Abendmahl“ im Privatbesitz in Lugano bestimmt noch der venezianischen Zeit an; sie zeigen das Bestreben, in der Art Tintorettos oder Bassanos effektvoll