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Paolo Veronese: Kreuzigung. Paris, Louvre und in der er alle großen Leute seiner Zeit porträtiert, als Hochzeitspaar den Herzog von Avalos und die französische Königin Eleonore von Öster reich, daneben Franz I. mit Maria von England, den türkischen Sultan Suleiman mit Vittoria Colonna, der Freundin Michelangelos, Kaiser Karl V. sowie einige Kardinäle. In der Mitte des Bildes, unmittelbar, vor der Figur Christi, ist ein Quartett dargestellt, in dem der alte Tizian die Baßgeige, der Maler Jacopo Bassano die Flöte, Tintoretto die Violine und Paolo Veronese selber das Cello spielt. 1570 malt der Meister für S. Sebastiano das jetzt in der Mailänder Brera befindliche „Gastmahl im Hause des Pharisäers“, um dieselbe Zeit das gleiche Thema für das Kloster Ser Servi (jetzt im Louvre), 1572 für ein Kloster bei Vicenza das „Bankett Gregors d. Gr.“ und 1572-1573 das berühmte 12 m breite Gastmahlbild für die Mönche von Sti. Giovanni e Paolo in Venedig (heute in der Accademia), das ihm eine Vorladung vor das Inquisitionstribunal eintrug. Man warf ihm vor, daß er in diesem Kirchenbilde Narren, betrunkene Landsknechte, mißgestaltete Zwerge und andere sich ungebührlich benehmende Personen verwende - ein Mann beugt sich mit blutender Nase über ein Geländer, ein anderer am Tisch reinigt sich die Zähne mit einer Gabel -, und man ver langte die Entfernung solcher Greuel aus dem Gemälde. Aber der Maler beruft sich, laut dem uns erhaltenen Protokoll, dummdreist auf die Narren freiheit der Künstler und ändert nur den Titel des Bildes. Hieß es vorher „Gastmahl im Hause des Pharisäers Simon“, so nennt er es jetzt „Gast mahl im Hause des Levi“, also des Zöllners und Sünders, in dessen Um gebung sich solches Gesindel befinden durfte. Immerhin mag der Künstler unter dem Eindruck der Gerichtssitzung oder unter dem Einfluß strengerer kirchlicher Kreise vorsichtiger geworden sein, denn das Bild, das wir als zweite Probe seines Schaffens wiedergeben, die „Kreuzigung“ im Louvre (1,02X1,02 m), unterscheidet sich von seinen anderen Passionsbildern durch den tieferen seelischen Gehalt, der in dem stillen Sterben des Gekreuzigten, dem stummen Schmerz der Trauern den, der dumpfen Schwere der Farben und der strengen Starrheit der Linien zum Ausdruck kommt. Stark dekorativ wirkt auch hier die Vertei- Prunkpalästen, die, echt manieristisch, wie Theaterkulissen aufgebaut sind. Sie gehören ebenso wie der lebhaft be wölkte Himmel zu dem dekorativen Bühnenzauber, den der Meister als Hintergrund seiner Figuren braucht. Diese aber sind in den vordersten Bildschichten scheinbar zwang los angeordnet, in den Gruppenbildungen jedoch unge mein kunstvoll ausgewogen, so daß aus dem Zusammen wirken der Formen und Linien und dem Zusammenklang der erlesensten Farben eine hinreißend schöne Malerei von unerhörtem Glanz entsteht. Dabei ist jede Person - ganz unmanieristisch - individuell durchgebildet, wie es ein Künstler der Renaissance nicht anders gemacht hätte, prächtig im Zeitkostüm aus Samt und Seide dargestellt und in edelster Haltung gegeben. Das Symbolische des Vor gangs aber wird unterdrückt. Christus bespricht nicht das Wasser, damit es sich in Wein verwandle und von seiner göttlichen Sendung Zeugnis ablege, sondern sitzt wie ein Zauberer, den Blick starr geradeaus gerichtet und die Stirn magisch erleuchtet, zur Linken seiner Mutter, als wolle er mit seinen Künsten nur sich und den Freunden eine Über raschung bereiten. Die Verwandlung des Wassers in Wein geschieht etwas abseits; aber diese Szene mit dem Alten, der ein Glas unter den Krug hält, einem andern Greis, dem das Wasser im Munde zusammenläuft, und dem stehenden Mann, der genießerisch abschmeckt, ist mit einer psychologischen Feinheit geschildert, die der Künstler sonst selten erreicht. Kunsthistorisch betrachtet ist hier die glück lichste Mischung von renaissancehaften und manieristischen Stilelementen gelungen. Das gilt auch für die fast 10 m breite, außerordentlich figurenreiche zweite Darstellung der „Hochzeit zu Kana“, die der Künstler 1562-1563 für das Refektorium (Speisesaal) des Klosters S. Giorgio Mag giore in Venedig malt (heute ein Glanzstück des Louvre) Paolo Veronese: Raub der Europa. Venedig, Dogenpalast