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Ur. 198. Leipzig. Erscheint außer Sonntag täglich. Preis dterteljährlich i Thlr., jede einzelne Nummer » Ngr. Deutsche Allgemeine Zeitung. «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Freitag, 26. August 1870. Inserate find an haasenstem » Vogler in retpzig oder an deren ütrig« Häuser zu senden. Zuserllonsgkbiihr sür dieEpallenzeilel '/,Rgr., unter Eingesandt Ngr. Da die Postämter des Norddeutschen Bundes nnr vierteljährliche Abonnements annehmen, so erklärt sich die Expedition der Deutschen Allgemeinen Zeitung bereit, Nachabonnements für den Monat September anzunehmen und die betreffenden Nummern nach auswärts täglich direkt unter frankirtem Kreuzband zu versendeu. Der Preis dieses Nachabonncments beträgt fllr auswärts 1 Thlr., für Leipzig 20 Ngr., und ist direkt franco einzusenden. Die im August noch erscheinenden Nummern werden den neuen Abonnenten vom Tage des Eintreffens der Bestellung an gratis geliefert. Leipzig, 25. Aug. Eben im Begriff, unsere heutige Tagesübersicht unter die Presse zu geben, erhalten wir die folgende wichtige Nachricht, die wir darum sofort noch hier an die Spitze stellen: * Berlin, 25. Aug. 8 Uhr 35 Min. vormittags. (Officiell.) Bar-le-Duc, 24. Aug. 9 Uhr abends. Chälons vom Feinde geräumt. Unsere Spitzen darüber hinaus. Armee setzt ihren Bormarsch fort. Ueberraschend kommt diese Nachricht gerade nicht. Es war bereits bekannt, daß man in Paris den An marsch des Kronprinzen direkt auf die Hauptstadt als sicher erwartete und sich darauf vorbereitete, daß daher auch Marschall Mac Mahon sich von ChalonS auf Paris zurllckziehen sollte, was um so begreiflicher, als ihm die Hoffnung einer Bereinigung mit Bazaine durch die Niederlagen des letzter» am 14., 16. und 18. Aug. vollständig abgeschnitten war. UebrigenS scheint in Paris, trotz alles Aufwandes von Verlogenheit, womit die Regierung in ihren amt lichen Erklärungen vor den Kammern und die abhän gige Presse ' in ihren Artikeln und Correspondenzen jene Niederlagen entweder zu vertuschen oder gar in Siege Bazaine'» zu verwandeln suchten, endlich doch die Erkenntniß der furchtbaren Wahrheit, und damit zugleich das erbitternde Gefühl, so schnöde betrogen zu sein, durchzudringen. Der Ausbruch dieses Ge fühls in der heftigen Anklage Gambetta'S gegen die Regierung ward zwar in der Kammer durch den Prä sidenten und die Majorität unterdrückt, aber wird er sich auch in der öffentlichen Meinung, im Volke, un terdrücken lassen? Den Ur- und Hauptlügner, der da hieß Bona parte, hat zwar der allgemeine Unwille bereits fac- tisch so gut wie beseitigt — kein Mensch nimmt mehr Notiz vom Kaiser; wie ein unbequemes Möbel muß er sich hin- und herschieben lassen und noch Vorwürfe darüber anhören, daß seine Reisen auf den Eisenbah nen die wichtigern Truppen» oder Proviantzüge auf halten —; aber das Lügensystem ist damit nicht ver schwunden („Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben"), dieses wird man auch nicht los werden, und daran muß Frankreich zu Grunde gehen! Auö französischen Quellen kamen übrigens doch auch in den letzten acht Tagen allerhand Gerüchte von Fortschritten der preußischen Waffen. Wie viel da- Frankreich und Deutschland. Ein Brief von David Strauß an Ernst Renan. (Schluß aus Nr. 197.) Während der Kämpfe der Jahre 1848—49 hatte sich immer mehr der Dualismus zwischen Preußen und Oesterreich als das Grundübel der deutschen Zustände herausgestellt. Während der Metternich'schen Zeiten war Preußen in Oesterreichs Schlepptau gegangen, und man hatte darin die Bürgschaft der Ordnung und Sicherheit gesehen; daß eS jetzt immer ernstlichere Versuche machte, seinen eigenen Willen zu haben und eigene Zwecke zu verfolgen, war der österreichischen Politik ebenso unbequem als ungewohnt. Was daher von jetzt an Preußen in Deutschland schaffen oder weiter führen wollte, vom Zollverein angefangen, wurde von Oesterreich geheim und offen bekämpft; es trat für Deutschland der Zustand eines Wagens ein, dem ein Pferd vorn, ein anderes von gleicher Stärke hin ten vorgespannt ist, und der daher nicht aus der Stelle kommt. Aber die Zeiten erziehen sich ihre Männer, vorausgesetzt, daß sich unter dem Nachwuchse Persönlichkeiten vom rechten Zeuge und diese an der rechten Stelle finden. Der Hr. v. Bismarck war ein Mann von solchem Zeuge, und seine Stellung am Bundestage in Frankfurt der rechte Standort, um in den innersten Sitz des deutschen Elends hineinzu sehen. Es war zunächst sein preußischer Stolz, wel cher Oesterreich für die von ihm über Preußen ver hängten Demüthigungen Rache schwur; doch war ihm dabei nicht unbewußt, daß mit Preußen auch Deutsch land geholfen sein würde. Aus Anlaß des Kampfes um Schleswig-Holstein gelang eS einen Augenblick, von sicher sei, ließ sich schwer ermitteln, da von deut scher Seite über die Operationen der kronprinzlichen Armee — und von dieser handelte es sich zumeist — ein fast absolute» Stillschweigen beobachtet ward, was wir sehr erklärlich finden. WaS jene französischen Berichterstatter anbelangt, so schien eS fast, als ob die Angst sie jetzt überall „Preußen" sehen ließe, auch da, wohin solche schwerlich gekommen sind. Von den uns nähern Abschnitten des Kriegsschau platzes ist zu berichten, daß die Belagerung Stras burgs anscheinend ihrem Ende sich nähert. Die Be lagerer haben die Iller, welche die FestungSgräben speiste, abgeleitet; sie haben ferner eine Position ganz nahe der Festung durch einen kühnen Handstreich ein genommen. Die Beschießung dauert fort und scheint sehr wirksam zu sein. Beiläufig bemerken wir, daß die Jnbrandsteckung Kehls durch das Feuer der Fe stung insofern dem herkömmlichen Kriegsgebrauch wi derstreitet, als nicht von Kehl aus auf Strasburg geschossen wird, wie die» des Nähern ein Artikel der Karlsruher Zeitung auSeinandexsetzt. Die bereits als eine Thatsache gemeldete Capitplation Pfalzburgs ist wieder unsicher geworden. Die Sendung des Prinzen Napoleon nach Florenz scheint gänzlich miSglückt. König Victor Emmanuel ist doch zu klug, um sein Schicksal an das der napoleonischen Sippschaft, die bereits dem Untergange geweiht ist, zu knüpfen. Auffallend ist die Nachricht aus Christianis, wonach dort Kundgebungen und sogar Gewaltthätig- keiten im deutschfeindlichen Sinne vorgekommen sein sollen. WaS haben wir denn dem norwegischen Volke gethan, daß eS uns haßt? Es thäte besser, mit dem mächtigen Nachbar sich in gutes Einvernehmen zu setzen, denn wer weiß, wozu es ihn noch einmal brauchen kann! Die Augen Europas sind so gespannt und so ganz ausschließend auf den Kriegsschauplatz in Frank reich gerichtet, daß das kleine Stückchen Revolution, welches sich da unten an der Donau, in Rumänien, an- und abgesponnen hat, beinahe völlig unbeachtet geblieben ist. Auch unsere Leser haben vielleicht kaum mehr als flüchtig Notiz genommen von der tele graphischen Depesche aus Bukarest vom 21. Aug., die wir in der Extra-Beilage vom 23. Aug. mittheilten, der zufolge ein in Plojesti gemachter Versuch, den Fürsten Karl zu stürzen und eine provisorische Ne gierung zu proclamiren, durch rasches Einschreitender die beiden Pferde nebeueinanderzuspannen; doch kaum war der Zweck erreicht, so ging der alte Gegen zug wieder an. Jetzt galt es die Stränge zu zer hauen, die das hinten angespannte Pferd mit dem Wagen verbanden; dann mußte es dem vorder» ein leichtes sein, ihn vorwärts zu bringen. Ein wahres Columbusei, dieser Gedanke; einjederschien ihn haben zu müssen, und doch hat ihn, wenn auch nicht blos einer gehabt, doch nur einer die rechten Mittel er griffen, ihn ins Werk zu setzen. Im Leben der Völker wie der Einzelnen finden sich Erfolge, wo das von uns selbst langher Ge wünschte und Erstrebte uns in so fremder Gestalt entgegentritt, daß wir es nicht erkennen, uns wol gar unmuthig und grollend davon abwenden. So war es mit dm preußisch-österreichischen Kriege des Jahres 1866 und seinen Folgen: er brachte uns Deutschen, was wir lange gewollt hatten; aber er brachte es nicht so, wie wir es gewollt hatten, und darum stieß es ein großer Theil des deutschen Volkes von sich. Wir hatten die Einigung Deutschlands von der Idee, von dem Wunsche des Volks, den Gedanken seiner besten Männer aus zu Stande bringen wollen: jetzt war sie von Seiten der realen Macht, durch Blut und Eisen, angebahnt. Wir hatten, wie ja die Idee hoch nnd weit fliegt, sämmtliche deutsche Stämme in einer Reichsverfassung zusammenschließcn wollen: jetzt waren in Anbequemung an die Verhältnisse der Wirk lichkeit, nicht nnr die Deutschen in Oesterreich, son dern auch die süddeutschen Mittelstaatcn draußen ge blieben. Es hat Zeit gebraucht, bis der deutsche Idealismus, bis auch der deutsche Eigensinn sich mit Regierung im Keime erstickt und gegen die Haupt- rädelsführer mit Verhaftungen vorgegangen wurde. Zwar brachte die Neue Freie Presse noch in ihrer letzten Nummer ein Telegramm aus Pesth, demzufolge auch in Bukarest selbst die Entthronung deS Fürsten Karl proclamirt worden wäre. Allein die Nachricht ist wenig glaubwürdig. Wenn die Regierung die Plaue der Aufständischen in Plojesti rechtzeitig kannte und zu durchkreuzen vermochte, so würde ihr die» noch weit eher am Sitze der Gewalt selbst gelungen sein, um so mehr, als mehrere der Hauptführtt bei jenem erstern Versuche bereits wirklich zur Haft gebracht worden. Die wiener «Presse» betrachtet den Aufstands versuch in Rumänien als gescheitert und am Ende. Sie bringt denselben in Verbindung mit den Ereig nissen im westlichen Europa. Die Bulletins, welche das Ministerium in Paris über den Tag von MarS- la-Tour zum besten gegeben, hätten die Führer der AclionSpartei in Bukarest verleitet, etwas voreilig ihre Karten aufzudecken und vom Schwarzen Meere aus eine Diversion zu Gunsten Frankreichs in Scene zu setzen. Die «Presse» betrachtet es als ein Glück für Oesterreich, daß der Streich mislang. Weder in Wien ncch in Pesth könne man wünschen, in Bukarest die Rothen ans Ruder kommen zu sehen, in deren Namen Bratiano die Befreiung der siebenbürger Wa lachen von dem magyarischen Joche gepredigt. Auch kenne man die Großmachtsphantasien Bratiano'S, und die Herstellung einer Regierung in Bukarest, welche an der untern Donau hohe Politik treiben möchte, hätte den Gegnern deS passiven ZuwartenS in Wien und Pesth frisches Wasser auf die Mühle zugeführt. „Wer gern tanzt", sagt die «Presse», „dem ist leicht gepfiffen, und ein Grund, aus der unbewaffneten Neu tralität herauszutreten, ist bald gefunden für diejenigen, die nur auf einen Halbwegs plausibeln Vorwand, in die Action einzugreifen, warten." Aus diesen letzten Worten der « Presse» schließen wir, daß die Kriegspartei in Oesterreich ihre selbst mörderischen Plane noch immer nicht ganz aufgegebcn hat, sondern nur auf eine Gelegenheit wartet, um darauf zurückzukommen. Es wird viel darauf an kommen, wie die öffentliche Stimme durch ihre nun mehr wieder in Thätigkeit versetzten gesetzlichen Or gane, die Landtage und später den Reichsrath, in Be zug auf die Neutralitätsfrage sich ausspricht. Die Männer der Verfassungspartei, wie HaSner, scheinen, dem Gegebenen versöhnte; aber die Macht, ich möchte sagen die Vernunft, dieses Gegebenen war so unwider stehlich, daß die bessere Einsicht in kürzester Frist die erfreulichsten Fortschritte gemacht hat. Was nicht am wenigsten beigetragen hat, auch dem Verblendctstcn ein Licht aufzustecken, war die Art, wie Frankreich sich zu diesen Ereignissen ver hielt. Es hatte sie geschehen lassen in der Hoffnung, aus den innern Kämpfen des Nachbarlandes Gewinn für seine Uebermacht zu ziehen; als es sich in dieser Rechnung getäuscht sah, konnte es seinen Verdruß nicht verhehlen. Von jetzt an konnten wir Deutschen die Wcrthbestimmnng unserer politischen Verhältnisse an der französischen Schätzung reguliren; denn die Werthe erschienen auf beiden Seiten geradezu ent gegengesetzt. An Frankreichs säuern Mienen gegen Preußen und den Nordbund konnten wir ermessen, daß in beiden unser Heil, an seinem Liebäugeln mit der süddeutschen Sonderbündelei, daß hier unser schlimmster Schaden liege. Jede Bewegung, welche Preußen machte, nicht die Südstaaten zum Beitritt zu nöthigen, sondern nur ihnen die Thür offen zu halten, wurde von Frankreich beargwöhnt und zum Gegenstände von Einreden gemacht; selbst bei so gar nicht politischen Anlässen, wie die Unterstützung der Eisenbahn über den Gotthard, krähte kampflustig der gallische Hahn. Frankreich hat seit dem Sturze Na- poleon's dreimal seine Verfassung geändert; Deutsch land hat nie daran gedacht, ihm dareinznredcn, eS hat stets das Recht des Nachbars anerkannt, sein Haus im Innern nach Bedürfniß und Bequemlichkeit, oder auch nach Laune, umznbauen. Ist denn nun,