Volltext Seite (XML)
Extra Beilage zu Nr. 198 der Dciitschcii Allgcmciiic« Ztituiig. Leipzig, 25. August 1870, früh 9 Uhr. Vom Kriegsschauplätze. Ä Zweibrücken, 16. Aug. Napoleonstag ist vor über, aber die Franzosen haben den Kaffee nicht in Berlin Unter den Linden eingenommen, wie sie den Departements prahlerisch prophezeit hatten, sie be gnügten sich mit den säuern Trauben der Mosel. Nach altfranzösischer Sitte ist aber auch diesmal der Geburtstag des ersten Napoleon „angeschossen" wor den, und zwar von der Wackern deutschen Armee, welche den Rothhosen bei Metz zum vierten male den Zorncsdonner beleidigter Nationalehre mit so unwider stehlicher Gewalt ins Ohr blies. Hier in Zwei brücken wie auf der Höhe von Pirmasens — um die kurze Strecke von Sulz nach dem Hauptquartier des Königs vor Metz zurückzulegen, blieb mir nichts weiter übrig, als die Tour durch die Pfalz über Weißenburg, Landau, Pirmasens und Zweibrücken zu wählen, da im Elsaß alle Wege verstopft sind — hörte man am 15. Aug. ganz deutlich den Kanonen donner von Metz herüber, und ängstlich wartete die Bürgerschaft am Bahnhofe auf nähere Mittheilungen. Aber sie blieben aus, nur das sogenannte „sichere Vernehmen", dem bekanntlich immer die unsichersten Nachrichten entspringen, machte sich mit seinen exor bitanten Combinationen breit. In der ganzen Pfalz empfindet man den Mangel einer schnellen und zuverlässigen Berichterstattung vom Kriegsschauplätze aufs schwerste; selten findet man eine Fa milie, die nicht einen Sohn, einen Bruder im Felde stehen hat; mit ängstlicher Spannung erwartet man stünd lich Nachrichten über das Befinden, aber Tag um Tag vergeht, ohne die erhoffte Information. Die Nachricht von dem Siege auf den spicherer Bergen wurdez. B. hier in Zweibrücken officiell erst am 12. Aug., also vier Tage nach dem Treffen, bekannt, obwol der Kampfplatz nur vier Meilen von hier entfernt ist. Der überall intacte Telegraphendienst könnte diesen Uebelstand mit Leichtigkeit beseitigen. Die Geheimniß- krämerci der obern Behörden leistet nur der Verbrei tung unwahrer Nachrichten Vorschub. So wurde hier erzählt, es seien bereits 12 Forts von Metz mit einem Verlust von 30000 Mann auf unserer Seite genommen, die Festung stehe im Begriff zu capitu- liren, 16000 Franzosen seien gefangen rc., und das alles wird ebenso zuversichtlich, wie es erzählt wird, geglaubt, ohne daran zu denken, daß, wenn auch nur der zehnte Theil der angeblichen Verwundungen vor gekommen wäre, die hiesigen Lazarethe überfüllt sein müßten, während dieselben jetzt nur wenige aus dem Marsche erkrankte Mannschaften beherbergen. Eben falls in die Kategorie der Ammenmärchen möchte ich das hier vielfach verbreitete Gerücht verweisen, Ge nera! Vogel v. Falckenstein rücke mit 60000 Mann von der Nordseeküste nach Metz; es verdankt dies Gerücht seinen Ursprung augenscheinlich den groß artigen Truppenschüben, welche unaufhörlich nach dem Elsaß dirigirt werden. Bataillon folgt auf Bataillon, zumeist Landwehrregimenter zur Besetzung des occu- pirten Landes, dazwischen große Arlillerieparks, mäch tige Rindoiehheerven, unabsehbare Züge von Pro viant; verwundert schauen die Elsässer auf die Ent faltung so ungeheuerer Machtmittel und lassen die Hoffnung auf die Wiedereroberung der ehemals deut schen Provinz immer mehr schwinden. Die Action von Metz, wenn sie in diesem Au genblick nicht schon den vollendeten Thatsachen zählt, bringt ohne Zweifel den Abschluß des Kriegs; denn beide Theile setzen alle disponibel» Kräfte daran. Auf wesien Seite der Sieg verbleiben wird, kann keinem Bedenken unterliegen; je mehr der Chinesengraf Pa- likao die bösen Leidenschaften in Frankreich aufzusta cheln sucht, je höher schlagen in Deutschland die Wo gen der Begeisterung zusammen, je fester wurzelt die lleberzeugung, daß jetzt oder nie die Einheit und Freiheit Deutschlands errungen werden muß. Es ist ein erhebendes Gefühl für den Norddeutschen, wenn er hier auf der äußersten Grenze des Südens, die mit Frankreich durch die mannichfachsten Familien- und Handelsbeziehungen eng verknüpft ist, auf Schritt und Tritt die Wahrnehmung macht, daß aller Groll und Hader, der so lange Nord und Süd trennte, von Napoleonischer Ucberhebung urplötzlich fortgcblasen ist, daß alle Schichten der Bevölkerung und alle Natio nalitäten nur der Eine große Gedanke beseelt: den europäischen Störenfried so zu demüthigen, daß er der Wiederherstellung des großen deutschen Reichs kein Hinderniß mehr in den Weg legen kann. Freilich, die Opfer des Kampfes sind fürchterlich, und es kann nicht dringend genug an die Daheimge bliebenen die Mahnung treten, nach Kräften für das Wohlbefinden unserer armen Verwundeten und Kran ken zu sorgen. So unendlich viel in dieser Beziehung auch schon geschehen ist, so zeigt sich bereits in fast allen größern Lazarethen ein fühlbarer Mangel an Verbandzeug, namentlich an Charpie, und an Erfri schungen. Was würde beispielsweise mancher Unglück liche in den französischen Lazarethen für einen Schluck guten Bieres geben, das man jenscit der Grenze nur noch dem Namen nach kennt! Nöthiger aber noch ist — hört es, ihr Frauen und Mädchen in der Hei mat! — die Zufuhr von Charpie und altem Leinzeug. NNcmiUy, 19. Aug.*) Endlich in Frankreich, und zwar am schlimmsten Theile des Kriegsschauplatzes, und das in jedweder Beziehung, sowol was die physischen als was die moralischen Leiden des Kriegs anlangt. Elsaß und Lothringen, beides ehemals deutsche Provinzen, tragen in diesem Nationalkriege eine so auffallend verschiedene Physiognomie, wie man es draußen im deutschen Vaterlande kaum für möglich halten möchte. Der elsässische Bauer nimmt den „Na tionalfeind" keineswegs freundlich auf; er ist finster, verschlossen, resignirt, aber er fügt sich mit Würde in das unvermeidliche und zum Theil selbst herauf beschworene Geschick. Anders der Lothringer, der förmlich die Gelegenheit mit Haaren herbeizieht, seine Feindschaft zu beweisen, und sich dadurch manche Un gelegenheit auf den Hals ladet, die ein freundlicheres Entgegenkommen leicht vermiede. Selbstverständlich leiden unsere Truppen darunter am meisten. In Saargemünd, wo ich vorgestern mit dem Fuhrpark des GardecorpS eintras, mußte die ganze Colonne während der Nacht angeschirrt bleiben wegen einer wol mehr renommistischen als ernstlich gemeinten Aeuße- rung eines Blusenmannes, daß die „Preußen" nicht wieder aus der Stadt hinauskommen sollten. Die Truppen werden dort förmlich mit Nadelstichen gepei nigt; man schützt Unkenntniß der deutschen Sprache vor, obwol die Umgangssprache die deutsche ist, legt der Verpflegung alle möglichen Hindernisse in den Weg rc., und hinterher beklagt man sich bitter über die „Gcwaltthätigkeit" der Soldaten. Mej„ Gott, die Leute müssen doch leben, und was man ihnen nicht gutwillig gibt, müssen sie da hernehmen, wo sie cs finden. Die Militärverwaltung thut, waö in ihren Kräften steht, um die Lage des occupirten Landes zu erleichtern, sie verpflegt die Truppen selbst gegen an gemessene Entschädigung, geht mit möglichster Scho nung bei den Requisitionen zu Werke rc, allein das versöhnt die französische Regierungspresse nicht, welche den Leuten von den Grausamkeiten der „Preußen" — für die Franzosen gibt es nämlich keine deutsche, son dern nur eine preußische Armee — so viel vorschwin delt, daß ganze Ortschaften wie ausgestorben sind. Die Fabriken stehen still, die Läden sind geschlossen, die Firmen an den Cafes und Restaurants ausgelöscht, die Häuser verödet — dasselbe Bild in ganz Lothrin gen, soweit die deutsche Armee siegreich vorgedrungen ist. Von Saarbrücken aus, von wo der einzige „Sieg" der Franzosen datirt, wird der Eisenbahnbetrieb zum größten Theile mit französischem Material bedient, preußische Beamte haben die Verwaltung in Hän den, denen sich nur wenige französische untere Bedien stete, darunter mehrere Frauen, zur Verfügung gestellt haben, die französischen Telcgraphenleitungen sind zer stört und dafür neue Kabel ausgestellt. Mit welcher Energie die preußische Verwaltung vorgeht, ersieht man am besten daraus, daß augen blicklich mehrere tausend Bergarbeiter gegen einen Tagelohn von 1 Thlr. mit der Eindämmung einer neuen Eisenbahn von Nemilly um Metz herum be schäftigt sind, theils um die Cernirung dieser Festung zu erleichtern, theilS um die Verbindung der Ost- und der Westbahn herzustcllen. ElwaS AchnlicheS ist noch in keinem Kriege vorher dagewesen. In Saar brücken sind die von den Franzosen angerichteten Schäden bereits wieder restaurirt, auf der Eisenbahn, tour nach Forbach sieht man dagegen noch viele Wär- lerhäuser zerschossen, und namentlich ist das große Eisenhüttenwerk Sliring, das die Schienen für den neuen Bahnbau liefert, hart mitgenommen. Auf dieser *) Nemilly, ein kleiner Ort an der Eisenbahn von For bach nach Metz, etwa 2 Meilen westlich von Falkenberg und 3 Meilen südöstlich von Metz. Strecke sind auch vielfach Vorkehrungen zur Spren gung des Bahnkörpers getroffen worden. Bei Fanlqucmont versuchten die Franzosen die Brücke über einen tiefen Abgrund dadurch zu demo- liren, daß sie die Schienen aufnahmen und dann einen schweren Gütcrzug darüber hinweggchen ließen; sie erreichten jedoch nichts weiter, als daß der ganze Zug über das Geländer in den Grund rollte. Die mäch tige kaiserliche Tabacköfabrik bei Faulquemont ist zu Ka- sernementS, die Lagerräume sind zu Proviantmagazinen umgewandelt; die Vorräthe der Fabrik, circa 6000 Ctr. Nohtaback, sind verschwunden, und dürfte der größte Theil derselben in den benachbarten Bauer häusern zu suchen sein. Bei Hcrny sind die Fourrage- depotS'für die avancirende Armee etablirt. Nemilly, ein anheimelndes Landstädtchen, von den Einwohnern fast ganz verkästen, gleicht einem großen Verbandplätze; hier finden die vom Schlachtfelde ein gebrachten Blessirten die nöthige Hülfe und Erquickung, werdendieVerbände erneuert, die Transportabel» mit der Eisenbahn sofort weiter spedirt, die Schwerkranken in die stehenden Lazarethe untergebracht. Die frommen Schwestern der verschiedensten Orden, die freiwilligen Krankenpfleger und namentlich die Damen des Main zer Frauenvereins überbieten sich in der Pflege der Verwundeten, ohne einen andern Dank als den Hände druck eines Schwerleidenden, das letzte Lächeln eines Sterbenden. Bis heute langen nur die Verwundeten aus dem Treffen vom 16. Aug. hier an, und nicht ohne Beängstigung fragt man sich, wo für die Opfer der später» Tage Unterkunft und Pflege geschafft wer den soll. Der zu Gebote stehenden Localitäten sind viele, der Opfermuth ist groß, aber die Kriegssurie hat in dieser Woche eine zu schreckliche Ernte gehal ten. Besonders stark haben das 3. (brandenburgische) ! und das 12. (sächsische) Armeecorps gelitten; einzelne Truppentheile derselben sind bis auf kleine Cadres aufgerieben. Der Transport der Verwundeten geschieht aus schließlich nach Maßgabe ihrer Krankheit; hohe Offi ziere fahren uiit gemeinen Soldaten auf dem bloßen Leiterwagen, im Coupe erster Klasse liegt neben dem Füsilier der Major. Mit den Verwundeten treffen lange Transporte Gefangener ein, aber merkwürdi gerweise unter denselben weder ein Turco noch ein Zuave, sodaß es den Anschein gewinnt, als würde diesen Banden wegen ihrer Scheußlichkeiten auf dem Schlachtfelde kein Pardon mehr gegeben. Leider muß berichtet werden, daß auch Deutsche auf dem Schlacht felde marodire», denn bei meiner Ankunft wurden eben drei dieser Schufte, denen man sehr bezeichnend den Namen „Schlachtfeldhyänen" beilegt, stark gefes selt nach Mainz transportirt- Daneben kann ich Ihnen einen andern Zug menschlicher Bestialität nicht vor- enthalten. In einem Dorfe kurz vor Nemilly schossen die zurückgebliebenen Einwohner auf einen Transport Leichtverwundeter; im Nu stürmten jedoch die Trans porteure die Häuser und machten mit den Elenden kurze» Proceß. Heute Nachmittag wurde unter dem heftigsten Gewitter die gesammte Garnison znm Appell ge blasen, um ihnen die Nachricht von dem gestrigen großen, entscheidenden Siege des Königs zu ver künden; in das dumpfe Grollen des Donners mischte sich das Hurrah der Mannschaften, selbst die Ver wundeten stimmten mit ein in das Lebehoch auf den Heldengreis, und allgemein sprach man die Ueberzeu- gung aus, daß dies die letzte Schlacht in dem bluti gen Nationalkriege sei, der in Bälde ein ehrenvoller Friede in Paris folge. Gott gebe, daß der Wunsch bald eine Thatsache werde und daß die Diplomatie die schweren Erfolge der Waffen nicht illusorisch mache. Aus Pont-ä-Mousson vom 20. Aug. wird der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung geschrieben: Wenn die Proclamationen des Kaisers Napoleon und seiner Generale nicht lögen, so hätten die Franzosen bei ihren Feldzügen in China, Cochinchina uns Mexico sich's angelegen sein lassen, als Träger und Verbreiter derCivi- lisation zu wirken. Nach ihrer jetzigen Kriegführung scheinen sie vielmehr während jener Expeditionen die Sitten und Empfindungen civilistrter Völker sich vollkommen ab gewöhnt zu haben. Es ist vollkommen verbürgt, daß sie in diesen Tagen auf Verbandplätze geichosten haben, trotzdem die weiße Fahne mit dem rothen Kreuze darüber wehte. ES ist ebenso gewiß, daß sie nach dem schändlichen Dictum des Journal de Paris: „Wenn der Blessirte zu stark verwundet ist, als daß er transportirt werden könnte, so ist es Sache der Brüderlichkeit, ihm mit dem Flintenkolben den Kopf einzuschlagen", gegen am Boden liegende preußische und wehrlos gewordene Verwundete verfahren sind, daß sie z. B.