Volltext Seite (XML)
t8. Fortsetzung.) Bisher wurde erzählt: In den bisher erschienenen Kapiteln schilderte Reglerungsrat Liebermann von Sonnenberg die Untaten des Versicherungsbelrügers Saffran, und das. Schicksal de» Verbrechers Seidensaden. Wie ein kleiner Fehler den Täter der Gerechtigkeit ausllesert, zeigte der hervorragende Kriminalist an dem Fall Sen ger, während der Typ des pathologischen Verbrechers in Christina Edmonds erschien. Kriminaldirektor Trettin zeigte zwei Fälle seltsamer Verirrungen leidenschaftlicher Sammler. an ¬ lasen sie hier mit befände lassen. Der Angeklagte hat aber auch seiner Verteidigung in den Zeugenstand nehmen zu Recht, zu das ver- das Auch in Gellygaer, einem lasen die Leute diese Notiz, und Am Straßenrand des zu dem Dorfe führenden Weges stand ein kleiner ' Kraftwagen in vollen Flammen. gebrannt!" . . . Im englischen Strafprozesse hat der Angeklagte Recht zum schweigen. Er braucht sich nicht zur Sache treten und seine Darstellung des Her ganges zu geben. Mancher Ange klagte. der auf das Recht zum Schweigen verzichtet hat, um von dem Vorrecht des Redens Gebrauch zu machen, hat sich dabei um seinen Hals geschwätzt. Jedes Verbrechen schafft einen bestimmten Tatbestand: die zu seiner Vollendung begangenen einzelnen Handlungen hinterlassen am Schauplatze der Tat. am Körper des Opfers sichtbare Merkmale, die — groß oder auch noch so klein — für aufmerksame Auaen wie Pfähle in die Luft ragen. Sie zeigen, wie, es gewesen ist und strafen den Lügen, der behauptet, daß es anders gewesen sei. Ueber dieses Gerüst der Tat sachen läßt sich schwer ein Lügen- -gemebe ziehen, ohne daß es an einem der Pfähle der Tatbestandsmerkmale hänqenbleidt und zerreißt. Man konnte das, was Rouse sagte, ziehen, wie man wollte, es deckte die feststellbaren Tatsachen nicht zu. Freilich hatte der Brand fast alle Spuren zerstört und verwischt, aus denen man sonst vielleicht einen Schluß hätte ziehen können. Die Risse und Sprünge in dem halbver kohlten Schädel des Toten schienen rem Interesse. War doch ein Reisender Alfred Arthur Rouse mit der Tochter der im Orte ansässigen Eheleute Jenkins verheiratet. Die jungen Leute lebten noch getrennt, die Frau noch im Hause der Eltern, und ihr Mann, eben dieser Rouse, pflegte sie stets über das Wochenende in Gelly gaer zu besuchen, und war auch seit gestern abend wieder im Orte. Er war nicht wie sonst in seinem kleinen Morris- wagen gekommen, sondern hatte bei seiner Ankunft erzählt, sein Wagen sei ihm unterwegs gestohlen worden. Nach barn der Familie Jenkins zeigten ihm jetzt die Zeitungs notiz. Rouse blieb einsilbig bei der Lektüre und erkläne dann, er müsse sofort nach London, um sich mit Scotland Uard in Verbindung zu setzen. Auf der Fahrt nach London eilte ihm ein Telephongespräch voraus, das ein Bekannter der Familie Jenkins mit der Londoner Polizei führte, m dem er die Polizei von Rouses Abfahrt nach London un terrichtete. Als Rouse im Weichbilde Londons auf der Sta tion Hammersmith eintraf, wartete dort schon ein Detektiv- Sergeant auf ihn und winkte ihn aus dem Postomnibus heraus. Rouse war der Mann, den Brown und Bailey gesehen hatten, als er aus den Wegrandhecken des Weges nach Hardingstone hervortrat. Was er nun auf der Hammer- smither Polizeistation aussagte, und was er später aus gesagt hat. das ist in den Grundzügen immer dasselbe ge blieben: Er habe auf einer Geschäftsfahrt in seinem Kraft wagen unterwegs auf der Landstraße einen Unbekannten auf dessen Bitte für eine Wegstrecke in den Wagen genom men. In der Nähe von Hardingstone sei er versehentlich von der Hauptstraße auf den Landweg abgekommen, und gerade an der Stelle, wo sein Wagen nachher verbrannt sei, habe er halten müssen, um neuen Treibstoff nachzufüllen. Da er gleichzeitig das Bedürfnis gefühlt, habe, auszutreten, so hätte er seinen Begleiter gebeten, den Tank des Motors aus einem im Wagen befindlichen Kanister mit Treibstoff nachzufüllen. Ehe der andrre sich dazu angeschickt und er selbst sich vom Wagen entfernt habe, habe er dem Fahrgast auf seinen Wunsch noch eine Zigarre gegeben. Er habe auch noch — aus einem gewissen Mißtrauen gegen den Fremden heraus — seinen Stadtkoffer, in dem' sich sein Nachtzeug und einige Kleidungsstücke befunden hätten, an sich genom men, dann sei er etwa zweihundert Meter beiseite gegangen und hinter eine Hecke getreten. Als er sich nach kurzer Zeil wieder aufgerichtet habe, hätte er den Wagen schon in vollen Flammen gesehen. Er sei rasch hinzugelaufen, hätte aber wegen der Feuerhitze und der hochschlagenden Flammen nicht dicht an den Wagen herangekonnt. So sei es ihm un möglich gewesen, dem Unbekannten, den er vor Rauch und Flammen nicht habe sehen können, den er aber in dem brennenden Wagen vermutet habe, irgendwelche Hilfe zu leisten. Völlig fassungslos über das gräßliche Unglück sei Zwei lunge Leute, Brown und Bailey, aus dem mit telenglischen Dörfchen Hardingstone hatten am 5. November 1930 an einem Fest in der nahen Stadt Northampton teil genommen. Es war Guy-Fawkes-Tag, der Tag der Er innerung an die glückliche Verhütung der 1605 von Guy Fawkes gegen König Iakob I. unternommenen Pulver- verschwörung. ein Gedenktag, der in England noch heute mit Fest und Tanz und durch Verbrennung einer Fawkes darstellenden Strohfigur gefeiert wird. Um zwei Uhr mor gens befanden sich die beiden jungen Leute aus ihrem Heim wege und hatten eben die Stelle erreicht, wo der Weg nach Hardingstone von der Hauptstraße abzwcigt, als sie in der Richtung auf ihr Heimatdorf einen Feuerschein sahen. Im gleichen Augenblick trat vor ihnen aus den Grabenhecken des Weges nach Hardingstone ein Mann heraus und ging in der Richtung nach der Hauptstraße an ihnen vorüber. Der gutgekleidete Fremde, der ohne Hut und mit einer Art Stadtkoffsr in der Hand zu so außergewöhnlicher Zeit vor ihnen aus dem Straßengraben auftauchte, erregte die Auf merksamkeit der beiden, so daß sie seine Gesichtszüge im Gedächtnisse behielten. Im Vorbeischreiten warf Bailey die Frage hin was dort für ein Feuerschein sei. und der Mann, der schon an ihnen vorüber war, rief — wohl im Hinblick auf den Guy-Fawkes-Tag — über die Schulter zurück, es sähe so aus. als hätte einer ein Freu^enfeuer angebrannt. Es war kein Freudenfeuer. In der Nähe des Dörf chens Hardingstone. am Straßenrand des zu dem Dorie führenden Weges stand ein kleiner Kraftwagen in vollen Flammen. Erst als die Flammen niedergebrannt waren, entdeckten die von Brown und Bailey herbeigeholten Poli zisten in dem Wagen eine im Feuer fast bis zur Unkennt lichkeit zusammengeschrumpfte, verkohlte menschliche Leiche. Die Leiche lag mit dem Gesicht nach unten über dem Füh rersitz. ein Bein ragte zu der offenen Türe hinaus. Das Nummernschild des Wagens war noch erhalten und die Nummer ,.M U 1468" deutlich lesbar. Als den Besitzer von Nummer und Wagen stellte die Polizei aus den amtlichen Eintragungen den Londoner Ge- schäftrsisenüen Alfred Arthur Rouse fest. Der Londoner Schutzmann, der am nächsten Morgen mit der Nachricht von dem Unglücke die Wohnung Rouses aufjuchte, traf dort dessen Ehefrau an. die sofort nach Northampton fuhr und eine zwischen den Trümmern des Wagens gefundene Gür telschnalle und einige Meiallknöpfe als Eigentum ihres Mannes bezeichnete. Vielleicht hätte mit dieser Feststellung die polizeiliche Tätigkeit ihr Ende gefunden und wäre zu dem Urteile gelangt, daß Mr. Rouse, der Besitzer des Wa gens. sein Leben durch einen tragischen Unglücksfall ver loren habe wenn eben nicht jener Fremde den auf ihrem nächtlichen Heimweg begriffenen Brown und Bailey begeg net gewesen wäre. Die Beobachtung Browns und Baileys mahnte jedoch die Polizei zur Vorsicht. Ihr rege gewordenes Mißtrauen drückte sich in einer Presseveröffentlichung aus. In ihr gab die Polizei den Fund des verbrannten Wagens und den Namen und die Adresse des Eigentümers bekannt. Auch er nun. von Panik ergriffen, in kopfloser Weise geflohen. — Das war die Darstellung des Mannes, der mit Brown und Bailey fast angesichts des brennenden Wagens zujam- mengestoßen war, und der auf Baileys Frage nach der Ursache des Feuerscheins ruhig zur Antwort gegeben hatte: „Es sieht so aus. als Hütte jemand ein Freudenfeuer erwähnte sie. daß die Persönlichkeit des in d^m brennenden Wagen gefundenen menschlichen Körpers noch nicht sicher festgestellt sei. und forderte den Mann, der zur Zeit des Brandes in der Nähe des Wagens von Zeugen gesehen worden sei, auf, sich bei der Polizei zu melden. Orte im südlichen Wales, Folgen des Brandes zu jein, jedenfalls machte der Grad der Verbrennung es unmöglich, noch Spuren der Einwirkung menschlicher Gewalt an dem Körper fest- zusteuen. Aber die Darstellung Rouses, die den Eindruck Hervorrufen sollte, als habe der Unbekannte durch un vorsichtiges Hantieren mit der brennenden Zigarre bei offener Brennstoffkanne den Brand selbst verursacht, diese an sich gewiß plausible Erklärung, deckte einen Tat- umstand nicht. Sie- gab keine Erklärung dafür, wie ein Rouse gehöriges Werkzeug, eine Art Schlegel, der mehrere Meter vor dem Wagen im Grafe gefunden worden war, an diese Fundstelle gekommen sein konnte. Am Kopse, am Schlagende dieses Schlegels klebte ein menschliches Haar! Außer den Tatbestandsmerkmalen gibt es noch einen anderen Prüfstein dafür, ob ein Beschuldigter den Sachver halt wahrheitsgemäß schildert. Das ist die Untersuchung, ob sein Verhalten nach dem Ereignisse zu seiner Schilde rung des Herganges paßt. War Rouses Darstellung richtig, — warum hatte er dann Brown und Bailey nicht zu Hilfe gerufen, weshalb im nahen Dorf keine Unterstützung ge sucht? Warum hatte er anderen Tags in Gellygaer erzählt, sein Wagen sei ihm gestohlen worden, während er in einer Wirtschaft Tee getrunken habe? Die Polizei las in den Trümmern des Wagens, der Lage der Leiche und dem Fundorte des Schlegels den Her gang des tragischen Ereignisses ganz anders, als ihn Rouse- Als Rouse auf der Station Hammer smith eintras. war tete schon ein De tektiv-Sergeant unk winkte ihn aus dem Postomnibus heraus geschildert hatte. Sie meinte, Rou>e habe den unbekanntem Fahrgast mit dem Schlegel niedergeschlagen, den Bewußt losen auf den Führersitz geworfen, seine Kleider mit Brenn stoff übergossen und dann mit einer Zündschnur Feuer an den Wagen gelegt. Aus sicherer Entfernung, hinter den Weghecken hervor, habe er dann beobachtet, wie die Flam men hochschlugen. Ihr gewaltiges Auflodern habe ihm ge zeigt, daß Wagen und Leiche vor der sicheren Vernichtung stünden, und nun sei er, ganz erfüllt von dem Gelingen seines Planes und dadurch in seiner Aufmerksamkeit ge fesselt, hinter der Hecke heroorgetreten, um sich zur Flucht zu wenden. Da sei er auf Brown und Bailey gestoßen, deren Herankommen er überhört haben müsse. So sah die Polizei den Tatbestand, aber sie verhehlte sich nicht, daß ihr die Möglichkeit fehlte, die Richtigkeit ihrer Auffassung augenfällig zu beweisen Das Fundament des Schuldbeweises in einer Mord- fache ist die Erhärtung des Motivs. Ohne Grund und ohne Zweck begeht niemand einen Mord, und es wird immer bedenklich machen, wenn bei einem Verdächtigen kein Be weggrund zur Tat zu finden ist. Oft gibt schon die Persön lichkeit des Opfers über den Beweggrund Aufschluß. Hier gab sie keinen Aufschluß, konnte keinen geben, weil trotz aller Nachforschungen bis auf den heutigen Tag verborgen geblieben ist. wer der Unbekannte war. der auf dem Feld wege von Hardingstone den Feuertod starb. Im Grase neben dem Wagen hatte man einen halboerbrannten Ab satz gefunden, der von einem Frauenschuh herzurühren schien. Bis auf diesen Absatzrest waren die Schuhe der Leiche ebenso wie die Füße verbrannt. War es die Leiche einer Frau? Aber an der verkohlten Leiche fanden sich Tuchrcste von Männerkleidern, und die Aerzte haben ge meint, Ser Tote sei ein etwa dreißigjähriger Mann. An scheinend ein mittelloser Mann vielleicht ein Landstreicher, vielleicht ein Arbeiter aus dem Kohlendistrikte. In einem Tajchenteil seiner Klciderreste fanden sich lediglich drei Pennies. Mehr weiß man auch heute noch nicht von ihm. Für das Forschen nach dem Motiv blieb als Anhalt nur die Persönlichkeit Rouses. Als Sohn eines Arbeiters und einer Frau, die Schau spielerin gewesen sein soll, war er oöm sechsten Lebensjahre an, als die Ehe seiner Eltern auseinanderging, bei Ver wandten des Vaters ausgewachsen. Er wurde Handlimgs- gehilfe, trat, als England den Krieg erklärte, freiwillig in die Armee und machte den Feldzug in Frankreich mit. (Fortsetzung solgt.- Beilage zur „Weißeritz-Zeitung«. Sonnabend, 2 l. 9.193 5,Nr.