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Veilase zur ^WMesitz-Leituug" Nr. 221 Sonnabend, am 21. September 1935 101. Jahrgang Der diplomatische Korrespondent des „Daily Telegraph" berichtet, bei seiner Unterredung mit Laval habe Baron Aloisi, wie verlautet, darauf hingewiesen, wie außerordent lich wichtig es wäre, Großbritannien zu veranlassen, keine größeren Sühnemahnahmen vorzunehmen, da sie einen all gemeinen Krieg unvermeidlich machen würden. Anscheinend habe Baron Aloisi angedeutet, daß wirtschaftliche Sühne- maßnahmen von verhältnismäßig milder Art in Rom nicht als eine kerausforderung betrachtet werden würden, die als unfreundliche Haltung zu bewerten wäre und Krieg bedeu ten würde. Es heiße, daß Laval erklärt habe, hierüber keine Zusicherungen geben zu können. Gerüchte, daß Laval Eden zu überreden versucht habe, eine entsprechende Zusage zu geben, seien von der französischen und der britischen Abord- > nung in Abrede gestellt worden. „Daily Mail", ei» Blatt, das bisher betont gegen die > amtliche 'englische Politik in der abessinischen Frage auf- ! getreten mär, nimmt in einem Leitartikel Abschied von i seinem Lieblingsstandpunkt, um aus patriotischen Gründen ! sich hinter die Regierung zu stellen. Dazu wird u. a. aus- s geführt: Es sei schwer, die Empfindung zu unterdrücken, s daß es ein Fehler war, wenn England sich von dem Völ kerbund wegen eines verhältnismäßig unwichtigen afrika nischen Gebietes in Aufregung bringen ließ, während es in absehbarer Zeit vielleicht in viel ernstere Fragen ver wickelt sein werde, hierzu gehörten sowohl die Revision der europäischen Landkarte, wo gewisse ungeheuer stark gerüstete Nationen eine Gebietsvergrößerung verlangten, wie auch die Forderung der „besitzlosen" Staaten nach Kolonien und nach einem Platz an der Sonne inner halb Europas. Solche Fragen könnten England dank des Völkerbundssystems jederzeit in einen Krieg verwickeln. Die Memelsrage sei schon in den Vordergrund aetrs- ! ten und drohe eine Lage zu schassen, die sogar noch ernster - sei als der abessinische Streit. Wenn man allzu starr an j einer Politik der Unterwürfigkeit gegenüber dem Vülker- bund festhalte, laufe man Gefahr, daß eine allgemeine Um- s wälzung und eine völlige Aenderung der europäischen Land- > karte hervorgerufen werden könnte. Aus diesem Grunde bedauert „Daily Mail" auch jetzt noch die Politik der eng lischen Regierung, die zwar edel sei, aber zu wenig Rück sicht auf britische Belange nehme und vergesse, daß Eigen nutz die Grundlage einer gesunden Außenpolitik bilden sollte. Dann aber fährt das Blatt fort: Da aber die Regierung gehandelt habe, wie sie es ge tan habe, könne es in diesen schwierigen Zeiten für das britische Volk nur eine Entscheidung geben. Die Losung müsse sein: Recht oder Unrecht, zuerst das Vaterland! Alle müßten geschlossen hinter den Maßnahmen stehen, die die britische Regierung für angemessen halte. Frankreichs ungewisse Haltung Die Frage, ob Frankreich sich bereits endgültig für eine Beteiligung an etwaigen Sühnemaßnahmen gegen den An greifer im italienisch-abessinischen Streitfall ausgesprochen >abe oder ob es eine Beteiligung ablehne, scheint, nach der ranzösischen Presse zu urteilen, noch nicht endgültig ent- chieden zu sein, wenn auch das Sprachrohr des Minister- wäsidiums, der „Temps", wiederholt zugegeben hat, daß Frankreich sich den aus den Völkerbundssatzungen ergeben den Verpflichtungen nicht entziehen werde. Immerhin ist festzustellen, daß eine Reihe von französischen Nechtsblüttern fortfährt, eine Beteiligung Frankreichs an Sühnemaßnah men entschieden abzulehnen. Das „Journal des Debats" wendet sich in diesem Zusammenhang auch gegen England. Es sei unerhört, so schreibt das Blatt, daß das Mittelmeer Gefahr laufe, ein geschlossener Raum zu werden, in dem England bereits den größten Teil seiner Streitkräfte zu sammengezogen habe, und dabei gleichzeitig ein Seeaebiet Höhepunkt der ltrise Kurze Notizen Zur vollendeten 100. Ozeansahrt des Luftschiffes „Graf Zeppelin" sandte der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine^ Admiral Dr. h. c. Raeder, ein Glückwunschtelegramm an Dr. Eckener. Der zweite Sekretär der polnischen Botschaft in Mos- kau, Kaluszski, der bei einem Autounfall schwer verletzt wor den war, ist seinen Verletzungen erlegen Der rumänische Ministerrat ratifizierte das am 7. September abgeschlossene Zusatzabkommen zum deutsch rumänischen Verrechnungsabkommen In Anbetracht der kritischen Lage in Europa hat der höchste Geistliche Tibets, der Pantschen Lama, am Kukunor-See ein jünf- tagiges Gebet für die Erhaltung des Weltfriedens abgehoben, an dem mehr als 40 000 Gläubige teilnahmen. Die holländische Regierung hat beschlossen, das Tempo der Modernisierung des Landheeres wesentlich zu beschleunigen. Ins» besondere sollen die Luftstreitkräfte durch Anschaffung neuer Flug zeuge verstärkt werden. Es soll auch eine größere Anzahl von Lufiabwehrgeschützen in Auftrag gegeben werden. Ferner beab sichtigt man, die Vorräte der Munitionsdepots, die jahrelang au» Ersparnisrücksichten sehr niedrig gehalten wurden, aus der ganzen Linie aufzufüllen. Rach einer Meldung des „Daily Worker" häufen sich im Londoner Stadtteil Stamford Hill die Angriffe auf Juden. So fielen zahlreiche Personen vor einem Lichtspieltheater über Men Juden her, der sich später in Krankenhausbehandlung begeben mußte. Die englischen Heeresmanöver, die nördlich von Southampton abgehoben wurden und an denen gegen 50 000 Mann teilnahmen, sind beendet. Manöver dieses Umfanges waren seit zehn Jahren nicht mehr abgehaltcn worden. Wie die Zeitung „Shunpao" berichtet, haben Räuber einen Anschlag aus dje Eisenbahn Mukden-Kirin ausgesührt. Sie rissen im Südabschnitt der Strecke dis Gleise auf, so daß der Zug au»' den Schienen sprang und sich überschlug. 25 Personen wurden gelötet oder verwundet. Sieben Reisende wurden von den Räu bern entführt. ungeschützt laste, das es verabredun'gsgemäß bewachen sollte. Das Blatt vertritt den Standpunkt, daß die in ge-' wissen Punkten so leicht auftretende englische Empfindlich keit mit mehr Mäßigung hätte zum Ausdruck kommen sol len. Interessant ist eine Stellungnahme des rechtsgerichteten Abgeordneten Ferry in der „Libertö". Frankreich hätte allen Grund, diejenigen Leute anzu prangern, die Frankreich gegen seine lateinische Schwester aufhelzen wollten und die nicht zögerten, sich aus den inter nationalen Kapitalismus und den britischen Imperialismus zu stützen. Das kommunistisch-sozialistische freimaurerische Manöver ziele in innerpolitischer Hinsicht vor allem auf den Sturz der Regierung Laval ab. Laval soll bei dem Meder- zusammentritl der Kammer unter der Anklage der Defla tion und der Jtalienfreundlichkeit gestürzt werden. Gewisse Rachrichlen gestatteten die Feststellung, daß ein von London aus ausgeübter Druck diese Manöver unterstütze. Es liege also eine neue Zusammenarbeit zwischen dem internationalen Kapitalismus und den revolutionären Parteien vor und ebenso eine ausländische Einmischung in die französische In nenpolitik, dank der Mitschuld französischer revolutionärer! Elemente. ? Der Berichterstatter des „Echo de Paris" in London ! berichtet seinem Blatte, die englische Mar'neleikung sei der > lleberzeugung, im Ernstfälle Jlalien durch Abfchnüren der Petrolcumsteserungen mattsehen zu könen. Dieser Absicht entsprächen auch die Zlottenbewegnngen. Die Schließung des Suezkanals würde die Versorgung durch den Persischen Meerbusen und die Petroleumlinie von Abadan abschneiden. Die Bewachung der Palästina küste und Haifas würde die Zufuhren von Petroleum aus dem Irak sperren. Selbst wenn die Italiener dort Erfolge haben sollten, würden die Engländer leicht das Petroleum an der Quelle in Mossul aufhalten können. Um den Ita lienern die Lieferungen aus dem Kaukasus abzuschneiden, sollen gegenwärtig Verhandlungen mit der türkischen Re gierung über die Schließung der Dardanellen im Gange sein. Durch Sperrung der Meerenge von Gibraltar werde Italien von der Zufuhr amerikanischen Petroleums abge schnitten. Es könnte dann nur noch auf dem Festlandsweg über die Schweiz, Deutschland und mittelbar über Rumä- Abessinien erwartet Kriegsbeginn Zuspitzung des KonMs London-Rom Die abessinische Regierung erwartet den Ausbruch der Feindseligkeiten innerhalb von 14 Tagen, nachdem Mussolini die Vorschläge des Genfer Fünserausschusses für völlig um annehmbar erklärt Hal. In Addis Abeba rechnet man sogar damit, daß Italien nicht einmal eine förmliche Kriegser klärung abgeben, sondern ohne jede Ankündigung die Offen sive beginnen wird. Das schlußfolgert man aus der italie nischen Darstellung, daß es sich bei dem vorgehen gegen Abessinien nicht um einen regelrechten Krieg, sondern um eine Polizeiaktion handele. Es heißt, daß der Regus seiner seits keinesfalls zur Kriegserklärung schreiten werde. Lr habe seinen Truppen befohlen, sich streng defensiv zu ver halten Die Vorschläge des Fünfer-Ausschusses werden ein gehend geprüft. Im großen und ganzen betrachtet man sie als annehmbar. Allerdings steht die Negierung aus dem Standpunkt, daß sie gemäß ihren früheren Zusagen über wirtschaftliche Zugeständnisse, die allen Ländern gleiche Rechte einräumen, nicht in der Lage sein wird, Italien Sonderzugestündnisse einzurüumen, da diese unter Um ständen Streitigkeiten mit den anderen interessierten Groß mächten bringen könnten. Ein großes Festessen, das der Kaiser von Abessinien, wie angekündigt, am Donnerstag abend für die in Addis Abeba weilenden Vertreter der Weltpresse veranstaltet hat, nahm in Anwesenheit von 8L Pressevertretern einen glänzenden Verlauf. Der Kaiser erklärte in einer Ansprache, daß er nie mals ein Mandat, welcher Form es auch sei, annehmer werde, das die Unabhängigkeit seines Landes verletzen würde. Erregung in Aalien Inzwischen werden die Rachrichten über den drohen den krieasausbruch in Afrika überschattet von der ständig sich verschärfenden italienisch-englischen Spannung. Unter der Parole: „Das britische Weltreich in Gefahr", vollzieh! sich rasch in England die Einigung aller Parteien, so daß man bereits jetzt von einer Einheitsfront sprechen darf, aus die sich die Regierung bei allen ihren Maßnahmen zuver lässig stützen kann. Sius italienischer Seite werden die An- griffe gegen England täglich schärfer, und erregt wird in der Presse erklärt,' daß England gegen Italien Krieg führen wolle. Der diplomatische Mitarbeiter der „Gazzetta del Po- polo" erklärt, der Völkerbund bilde nur einen Vorwand und wer in Genf den Richtlinien Londons gehorche, werde zum Mitschuldigen der britischen Großmachtspolink. Eng land habe boshaft und heimtückisch gehandelt, weil es Ita lien sein afrikanisches Unternehmen vorbereiten lckß, bevor es dagegen Einspruch erhob, den Widerstand des Negus ver stärkte und alle Verhandlungen für einen freundschaftlichen Vergleich vereitelte. Der Zweck der Hetze sei gewesen, den Völkerbund gegen Italien aufzubieten. Nachdem dieses Ziel erreicht sei, habe England fast die gesamte Flotte im Mittel meer und im Roten Meer zusammengezogen. Jetzt habe es Eile, zu den Sanktionen zu gelangen. Es wolle den Krieg. Ebenso wendet sich die „Stampa" gegen die Haltung der britischen Politik und schreibt, selten habe man in der Geschichte der Welt ekne zynischere und überlegtcre Heraus forderung zum Kriege gesehen. Die Vorschläge des Fünfer ausschusses, die juristische und diplomatische Hetze des Fo- reign Office, die Zusammenziehung der gesamten britischen Flotte im Mittelmeer verfolgten ein einziges Ziel: den Krieg zwischen Italien und England herauszufordsrn. Alle heuchlerischen Schleier der Völkerbundsfreunde fielen. Die Masken würden gelüftet, England wolle die ita lienische Iugend treffen und die jungen Kräfte des neuen Italien niederwerfsn, um das Prestige des britischen Impe riums zu retten. Mit teuflischer Kaltblütigkeit stürze Eng land Europa in den Abgrund. In dem entscheidenden Ernst der Stunde sammle sich das italienische Volk geschlossen um seinen Führer. „Die blutige Wunde dieser Tags wird ewig in unseren Herzen wie in denen unserer Sohne eingebrannt bleiben. Der hundert- jöhrige Haß eines Volkes wird die Herausforderer verfolgen und dieses Volk wird sich auch erinnern, wer sich den Her ausforderern angeschlossen Hal." r ' EMMd üleM fest Die Berichte der englischen Blätter aus Genf lauten wo möglich noch dusterer als bisher. Viele Beobachter vermu ten, daß es w.eder eine glatte italienische Ablehnung geben werde, die Mmderyeit ist aber der Meinung, baß Jtaiien nicht wieder die Verantwortung für die Verwerfung einer Reihe von oorjastagen ohne vorhergegangeue Erörterung auf sich nahmen iverse. Der Sonderkorrespondent der „Ti mes" in Genf meldet, daß in französischen und britischen Kreisen in Abrede gestellt wurde, daß Laval Eden um ein Versprechen ersucht habe, daß die britische Ncaierung auf keinen Fall über wirtschaftliche Sühnemaßnahmen gegen Italien hinausgehen werde. Zu der „Daily Mail"-Ünter- redung mit Mussolini bemerkt der Korrespondent, bei den etwaigen Gebietsabtretungen an Italien handele es üch nicht nur um Wüsten, sondern auch um ein beträchtliches Stück fruchtbaren Landes zwischen Jubaland und dem abes sinischen Hochland, das die Italiener mit Vorteil kolonisie ren könnten. / -- Weltbild (M) O Indienststellung von U-Booten. Die ersten deutschen U-Boote wurden in Kiel in Dienst gestellt. U-Boot 8 in voller Fahrt.