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Beilage zur Weiheritz-Zeitung Nr. 19 Mittwoch, am 23. Januar 1929 SS. Jahrgang Ehr»»« des Tages. — Die Verhandlungen über dte Bildung der Großes Koalition sollen noch in dieser Woche wieder aufgenomm« werb—' Das Reichsarbeitsgericht verhandelte am Dieustq die Nichtigkeitsklage gegen den Jöttenschen EtsenschiedSspvrq — Der Generalstaatsanwalt beim Kammergericht bean tragt gegen LandgertchtSdirektor Hoffmann-Magdeburg Dievst entlassung und gegen Kölling Strafversetzung. — Im Berliner MassenmeinetdSprozeß wurde Fr« Ohlerich zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Die übrige, Angeklagten erhielten Gefängnisstrafen von 2 Wochen bi! zu 10 Monaten. — Bet Wetter anhaltender Nachfrage wurde in Berit, der PrivatdiSkont für beide Sichten um V» v. H. au 5°/» v. H. ermäßigt. — Der bekannte Grotzkaufmann und RennstaWesitzo Ernst Gottschall hat in Berlin Selbstmord verübt. — Aus dem Zuchthaus in Gollnow bei Stettin ftnl wiederum vier Gefangene ausgebrochen. — Der 19 Kilometer lange Apennintunnel, der di Strecke Florenz—Bologna um 35 Kilometer verkürzt, st soeben feierlich eröffnet worden. — In Sidney hat bei der Notlandung ein Flug zeug einem Landarbeiter den Kopf abgeschnitten. Wendung in Afghanistan — Moskau» 22. Januar. Wie verlautet hat das afghanische Außenministerium die Be ziehungen zu den Gesandtschaften abgebrochen Inayat Ullah hat zu Gunsten Aman UllahS au die Krone verzichtet. Es stehen neue Kämpfe bevor Die Gerüchte, der frühere Banditenführer Bach« Saquao und jetzige afghanische König Habib Ullah ss ermordet worden, haben keine Bestätigung erfahren Habib Ullah lebt und regiert noch, aber sein, Anhänger fallen von ihm ab und die Schar sein ei Feinde wird größer! Aus der Straße nacs Dschellalabad an der indischen Grenze wird wieder go kämpft. Die Schinwari haben sich gegen Habib Ulla! und für ihren Prinzen Sirdar Omar Khan entschieden den sie nun in Kabul auf den Thron heben wollen Noch verwehren ihnen die Rebellen Habib Ullahs de> Weg, unter schweren Blutopsern; ob sie aber auf dei Barrikaden ausharren werden, ist ungewiß. Eine neue Gefahr zieht von den südlichen Pro vinzen herauf, in denen der Stamm der Durani, zi dem auch Aman Ullah gehört, seine Zelte aufschlägt In Kandahar weht die rote Königsstandarte Amar Ullahs mit den gekreuzten Säbeln. Und die Durams schwarzgebrannte und verwegene Gesellen ohne Aus. nähme, scheinen auf ihren königlichen Stammesbruder auch heute noch stolz zu sein. Sie reiben ihre stachlicher Bärte an Aman Ullahs Wange, galoppieren auf ihrer Gäulen wie wild um den Königspalast und feuerr ihre Flinten in die Luft, um ihrer Treue' und gleich zeitig ihrer Kampfgier Ausdruck zu verleihen. Aman Ullahs Bruder, Inayat Ullah, von den, Sohn des Wasserträgers aus Kabul verjagt und vor den Engländern bereitwilltgst durch Flugzeuge ir Sicherheit gebracht, hat nun gleichfalls auf die Kron« verzichtet, die er nicht mehr hat. Jedoch zugunsteu seines Bruders! Damit ist Aman Ullah rechtlich wieder- um König von Afghanistan, und Inayat Ullah Hai sich denn auch beeilt, bei seinem stärkeren Bruder wieder in Dienst zu treten. Inayat ist in seiner brüderlichen Zuneigung aber noch weiter gegangen, er hat seine Offiziere von dem ihm geleisteten Treueid entbunden und sie verpflichtet, sich sofort dem König Aman Ullah zu unterstellen. Das ist zunächst eine Geste. Die endgültige Be setzung des afghanischen Königsthrones hängt nicht von juristischen Akten ab, sondern davon, wer unter den vielen Thronanwärtern die stärksten Machtmit tel besitzt. Bis zur Entscheidungsschlacht wird sicher noch einige Zeit vergehen. Aman Ullah hat durchaus keine Veranlassung, sich zu beeilen. Zunächst keilen sich die Rebellen untereinander, und die rauhen afgha nischen Sitten werden dafür sorgen, daß das gründlich geschieht. In etwa sieben Wochen schmilzt der Schnee auf den Pässen des Hassara mit seinen 5000 Meter hohen Bergen, dann ist die Stunde für Aman Ullah gekommen, in der er seine Freischaren gegen Kabul führen kann! Bis dahin muß Aman Ullah angriffsbereit sein. Und bis dahin wird man manches von seinem Re formprogramm vergessen haben, wird man nicht mehr daran denken, daß man einst, bei 40 Grad im Schatten auf Befehl des Königs in einem europäischen Gehrock aus afghanischem Filzstosf mit einem Zylinder auf dem Kopf sich als Nationalversammlung in Kabul präsentieren, oder den nach Jahrhunderte alter Tra- d'tion gepflegten langen Bart vor allem Volk, öffent lich und unter den Klängen der Militärmusik, dran geben mußte. —"vrigen wiro VIS oayrn «Uly Aman Ullai manches aus Pen Ereignissen gelernt haben, sy das er bei der Wiedergewinnung der Macht das Wov rm Koran: „die Eile ist vom Teufel", etwas mehi ^herzigen wird, als es nach der Rückkehr von dei Europareise der Fall war. Vielleicht ist der „Erzspioi ^r ^Welt , Oberst Lawrence, der am Montag ti d emtraf und jetzt auf dem Wege nach Londor ist, doch zu früh aus Afghanistan abgeriist. Für Eng- verlief alles wunschgemäß - bis auch Jnayal Ullah gestürzt wurde und damit die Aussichten fü, «man Ullah Wieder besser wurden. Bacha Saquao ist für England wahrscheinlich über das Ziel schor hinausgeschossen. ».Sie Mullahs mit ihrem schneeweißen Turba« und die ObermullaHS/mit dem arüoseidenen der Mekka- pnger, verleben in Kabul wieder dünge Stunden. SÄ blicken nach Kandahar, in dem siebzig verschieden« Traubenarten reifen und befürchte«, daß dort jetzt auch noch etwas anderes heranreifen wird. Aber du Mullahs find nicht nur schr schweigsam, sie verstehen auch zu handeln. Da» muß Mnan Ullah in Rechnung Allen, wenn sein Zug über den Hassar zum Sieg« Whren soll. Reue Koalitionsverhandlungen? Ler Reichskanzler will die Parteiführer empfange«. — Besprechungen über den Haushalt und die Regierung»' frage. " In parlamentarischen Kreisen rechnet man damit, daß der Reichskanzler Müller-Franken im Zusammen hang mit der Wiedereröffnung des Reichstages am Donnerstag noch in dieser Woche die Fraktionsführer der in der Regierung vertretenen Parteien zu sich bitten wird. Die Besprechungen dürften sich einmal aus den neuen Reichshaushaltsplan erstrecken, zum an dern aber auch die Frage der Bildung einer Regierung der Großen Koalition zum Gegenstand haben. Bisher sind die Beziehungen zwischen der Re gierung und den Fraktionen bekanntlich nur von sehr lockerer Natur. Die Fraktionen werden jedenfalls durch die Haltung ihrer Minister im Kabinett nicht ver pflichtet, haben vielmehr nach jeder Richtunghin freie Hand. Das mag zwar hie und da den Fraktionen sehr zustatten kommen, beschwört andererseits aber auch die Gefahr großer Ueberraschungen herauf, die die Regierung gerade in dem Augenblick aktionsunfähig machen können, in dem wichtige, für das gesamte Reich bedeutsame Entscheidungen gefällt werden müssen. Ob die neuen Besprechungen einen günstigeren Verlaus nehmen werden, als die bisher geführten, muß abgewartet werden. Schwierig werden sich auch die Verhandlungen über den neuen Haushaltsplan und Vie Deckungsvorschläge der Regierung gestalten. Wie mitgeteilt wird, wird der Reichsrat erstmals am Lou. nerStag über de« Etat verhandeln. Danach habe« die ««Sschüsse des Reichsrats das Wart, die für die Einzel, beratnng etwa vierzehn Tage benötigen. D«S Reichs» Finanzministerium hofft, die Verabschiedung des Etats so beschlennigen z« könne«, daß sich die Einbringung eines RotetatS erübrig«. H» Notetat in Preußen? veratungen im Aeltestenrat des Landtags. — Die end, gültige Beschlußfassung auf Donnerstag vertagt. Die Hoffnung der preußischen Regierung, daß der Landtag den Etat, den der Finanzminister bereits im Dezember des vorigen Jahres fertrggestellt hatte, noch bis zum 31. März verabschieden wird, scheint sich nicht zu erfüllen. Der Aeltestenrat des Landtages hat am Dienstag über diese Frage in Anwesenheit des Minister präsidenten Braun und des Finanzministers Höpker- Aschosf längere Zeit ohne Ergebnis beraten und sich schließlich darauf geeinigt, daß das Büro des Landtages prüfen soll, ob dem Wunsch des FinanzmintsterS nach rechtzeitiger Verabschiedung des Etats Rechnung ge tragen werden kann. Andernfalls wird sich die Vor legung eines Notetats nicht umgehen lassen. Donners tag wird der Aeltestenrat diese Angelegenheit noch ein mal beraten. Seipel besucht München. Der österreichische Bunveskanzler über den FörderaliS- m«S. — Das Argument des Anschlusses. Der österreichische Bundeskanzler Dr. Seipel, der gegenwärtig in Erwiderung des Besuches des bayert- ichen Ministerpräsidenten in München weilt, hielt dort im Akademisch-Politischen Klub einen Vortrag über den Förderalismus in Oesterreich. Bundeskanzler Dr. Seipel verwahrte sich zunächst aeaen die Auffassuna. als ob ibn irgendwelche geheimen Avncyren arrueuer Politik nach München geführt hätte, und sprach dann als Wissenschaftler über Politisch, Fragen. Der Förderalismus Oesterreichs, so führt, er aus, erfahre oft scharfe Kritik. Besonders miß trauisch stünden ihm die Freunde des An schlüssel aus dem Deutschen Reiche gegenüber, weil er angeblick jeden künftigen Anschluß erschwere. Sie meinten, Oester reich müsse dann seinen inneren Förderalismus auf. geben, was wohl ein zu großes Opfer für Oestsrreia wäre, oder das Reich müßte mit Oesterreich eine« Subförderalismus in Kauf nehmen. So scheine Oester reich durch seinen Förderalismus für immer zu einen selbständigen Sein nach Art der Schweiz bestimmt z» sein. Diese Einwendungen kann man sehr verschie- den beleuchten. Der Förderalismus brauche gar nich so groß oder kostspielig zu sein, könne vielmehr dal Mittel der größten Wirtschaftlichkeit der Verwaltung werden. Dafür sei der Förderalismus ein Weg dei wirklichen Selbstverwaltung des Volkes. Daß der Föv deraliSmus seinen Ursprung nicht im StammeScharaktei der Bevölkerung habe, zeige ein Blick aus Bayern Obwohl Bayern mehrere deutsche Stämme beherberge verrate es doch kaum Spuren förderalistischer Gestal tung. Es bilde einen von einem Zentrum aus re gierten Einheitsstaat. Pottttsche Rundschau. — Berlin» den 23. Januar 1929. — Der RechtsauSschuß der Rheinlandkommission hieb in Brüssel eine Sikuna ab. an der Vertreter Deutschlands BÄglens, Frankreich»,'Hollands, ZtMenS und der Schwest teilnahmen. — Der Beamtenausschuß des Preußische« Landtages Kimmie den Bestimmungen über die unkündbare Anstellung in der Schutzpolizei mit einigen Aenderungen zu» :: Bremer Nationalsozialisten verurteilt. Bo» deu? Großen Schöffengericht in Bremen hatten sich acht Mitglieder der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei zü verantworten, die beschuldigt wurden, Personen, dis sie für Juden hielten, überfallen und mißhandelt ui haben, u. a. auch den brasilianischen Konsul. Sämtlich« Angeklagten wurden — teilweise unter Strafaussetzung — zu Gefängnisstrafen von sechs Wochen bis zu einem Jahr verurteilt. Gegen den Haupttäter wurde wegen Fluchtverdachts Haftbefehl erlassen. Denkschrift über das landwirtschaftliche Bildnngswese«. — Berlin, 23. Januar. DaS preußische Landwirt- schaftsministerium veröffentlicht eine Denkschrift Wer das landwirtschaftliche Bildungswesen in Preußen. An der Spitze der Ausführungen steht der Satz, daß dis Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung eine Frage der Ausbildung und der Wtllensbeeinfmssung des Landwirts ist. Auf 168 Seiten werden dann die einzelnen Bildungsanstalten des Landvolks nach Um fang und Bedeutung, AuSbaufähigkeit und Ausbau bedürftigkeit geprüft. Rundschau im Auslände ; Das Präsidium des Allrussischen Zentralvollzug», ausschusses hat die Eröffnung der Tagung der Sowjets aus den 5. April festgesetzt. ; Präsident Hoover begab sich nach Florida, von wo er 14 Tage vor seiner Einführung als amerikanisch« Präsident wieder nach Washington zurückkehren wird. * Tag««- der Bölkerbundsgesellschaften i« Madrid. r Korrespondenzmollmngen zufolge soll der 13. Kon- greß der Internationalen Union der VölkerbundsgeseNschaf- ten am 19. Mai in Madrid stattfinden. Der Kongreß wird von Graf Bernstorff geleitet werden. Im ganzen werden Delegationen von mehr als 24 Staaten zugegen sein. Der Kongreß wird da» Minderhettenproblem der ost europäischen Länder studieren, sowie die juristisch« Selt« des Abrüstungsproblems und Arbeitsfragen. Absetzung eines Gouverneurs wegen moralischer , Verworfenheit. ; Der Gouverneur des Staates Oklahoma ist durch einen mit 38 gegen 5 Stimmen gefaßten Beschluß des Senates seines Amtes enthoben worden. Der Gouverneui wird vor dem Gerichtshof des Senates wegen Korruption und moralischer Verworfenheit angeklagt Strafantrag im Richter-Prozeß« Der Generalstaatsanwalt beantragt Dienstentlassung Hoffmanns und Straf« Versetzung Köllings. Der Große Disziplinarsenat des Kammergerichts führte am Dienstag die Verhandlung gegen die Magde burger Richter Kölling und Hoffman« zu Ende. Ge» neralstaatsanwalt Rhode beantragte gegen Hoffmann die Dienstentlassung unter Zubilligung der Hälfte ve» Pension auf Lebenszeit. Bei Kölling werde es ihm schwerer, so erklärte der Generalftaatsanwalt, eine Verschärfung der Strafe zu beantragen. Aber auch bei ihm müsse er es tun. Er beantrage gegen ihn die Strafversetzung und eine Geldstrafe von SO Mark. Ueber das Strafmaß äußerte sich der General staatsanwalt dahin, für den Landgerichtsdirektor Hoff mann komme strafmildernd nur rn Betracht, daß er, zunächst wenigstens, Herrn Kölling helfen wollte. Alles übrige spreche gegen ihn. Er, der GeneralstaatSan- walt, könne nicht der Meinung sein, daß hier dte Straf versetzung eine sachgemäße Strafe sei. Das Naum burger Urteil habe die Konsequenzen nicht gezogen. Neue Vorschläge Moskaus an Pole«. Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Rumänien sollen zum Beitritt aufgefordert werden. Wie aus Moskau gemeldet wird, übermittelte der stellvertretende Außenkommissar Litwinow dem polni schen Gesandten neue Vorschläge für die Unterzeichnung eines Protokolls zur Inkraftsetzung des Kellogapaktes. Die Sowjetregierung schlägt vor, daß zunächst ein Pro tokoll zwischen der Sowjetunion und Polen unterzeich net wird. Nach der Unterzeichnung dieses Protokolls will sich die Sowjetregierung an Finnland, Estland und Lettland mit dem Vorschlag wenden, sich an dem Pro tokoll zu beteiligen. An Litauen ist eine entsprechende Aufforderung bereits ergangen. Außerdem will Moskau auch der rumänischen Regierung durch den polnischen Gesandten in Bukarest den gleichen Vorschlag über mitteln. Die Regierungen, die sich an dem Protokoll be teiligen, verpflichten sich, in allerkürzester Zeit den Kel loggpakt und das Protokoll zu bestätigen und in Kraft zu setzen. Litwinow vertritt dabei die Meinung, daß auf diese Weise eine Entspannung der politischen Lage in Osteuropa eintreten wird. . Nachspiel im Cisenkonflitt. Eröffnung ver ReichSgerichtSverhandlung über Vie Nich tigkeitsklage der Arbeitgeber. Unter dem Vorsitz des SenatSprästdenten Oegg begann am Dienstag vor dem Reichsarbeitsgericht m Leipzig die endgültige gerichtliche Austragung des Streites der Nordwestlichen Gruppe der Gtaht und Eisenindustrie gegen den Christlichen Metallarbeiter verband, den Gewerkschaftsverein deutscher Metallarbet-