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M behindert inS Rennen zu gehen. Zwar traute er stiner Mannschaft, seinen Führerqualitäten und seiner „Bobstne" viel zu, aber warum sollte er jede Chance nicht genau so nützen wie die anderen, für die es doch nur galt, Deutscher Meister zu werden, während er ... Nicht daran denken, jetzt, wo der Dienst seine ganze Aufmerksamkeit erforderte. „Meine Herren!" Der Kleine hatte mit dem Knöchel ein paarmal aus die Tischplatte geklopft, um sich Gehör zu verschaffen. „Meine Herren! Wir beginnen nunmehr mit der Auslosung. Es wird gestartet: Im ersten Lauf l bis 15, dann 18 bis 30; im zweiten Lauf 15 bis 1, dann 30 bis 16. Ehe die Führer an die Urne herantreten, um für ihre Schlitten die Startnummern zu ziehen, übergebe ich die Leitung des Rennens der offiziellen Rennleitung." Kurze Verbeugung vor dem mächtigen Sanitätsrat. „Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Sanitätsrat, Sie, lieber Schatzmeister, und Sie, Herr Major, nunmehr Ihres Amtes zu walten. Bon diesem Moment ab bin ich nur noch Konkurrent, kann daher auch keinerlei Ent scheidungen mehr fällen." Der Kleine verneigte sich und trat zurück in die Schar der Bobfahrer, die die Urne in dichtem Kreise umstanden und als deren einer er jetzt nur noch Nummer war. Die kurze, etwas nervöse Stimme des Majors klang auf: „Wir schreiten nunmehr zur Auslosung für das morgige Rennen. Ich bitte die Herren, in der Reihenfolge vorzutreten, wie ich sie verlese, und eine Nummer zu ziehen." Ein kurzes Schütteln der Urne, ein Rascheln im Innern des Gefäßes, dann folgte Name auf Name, trat der Ge rufene jedesmal vor, um hineinzugreifen zwischen die Papierblätter, die für sie alle hier so viel bedeuteten. Und im Zurücktretev in die Reihe der Kameraden jedesmal dasselbe Bild: ein hastiges Entfalten des Zettels, ein kurzer Blick auf die Nummer, und dann die wispernde, raunende Unterhaltung der gesamten Mann schaft über den Wert der gezogenen Startsolge. Auch so viel Köpfe, soviel Sinne, auch hier Abwägen der Chancen aus der einen, gleichgültiges Jn-die-Tasche-stecken des Zettels auf der anderen Seite. Der junge Führer zog Nr.1. In möglichst lauten, allen verständlichen Reden verbreitete er schon jetzt die Ansicht, daß der Start mit dieser Nummer für ihn aus sichtslos sei. Man konnte nie wissen, wie es kam, und es war gut, sich von Anfang an ein wenig festzulegen. „Deine Startnummer muß erst noch geboren werden", lachte der lustige Bremser über seinen Kapitän. „Herr Sportwart!" Der Kleine trat vor. Mit etwas unruhiger Hand griff er in die Urne, faßte nach dem zweiten Zettel, der ihm zwischen die Finger kam; dann trat er zurück. Leise zitterte das Papier, als er es entfaltete: „16." „Also im ersten Lauf in der Mitte, im zweiten am Schluß." Sein Bremser hatte es gesagt, und der Kleine nickte zustimmend. Dann sah er schweigend vor sich hin. Es gab schlechtere, es gab aber auch bessere Nummern. Einen Augenblick schielte der Lange zu ihm herüber: was die Kerle alle für ein Theater machten mit ihrer Startfolge! Ihm war's ganz Wurscht, wo und wann er fuhr. Als letzter entnahm er der Urne den einzigen, noch übriggebliebenen Zettel. Es war Nr. 15. Im ersten Lauf lag er also direkt vor dem Kleinen, im zweiten 30 Num mern besser. Die Chancen waren gut. Der Major klappte die Nennungslifie zusammen. Dem Sanitätsrat gab er ein kurzes Zeichen, daß er zu Ende sei. Der räusperte sich dröhnend, nahm mit mächtiger Pranke die tiefdunkle Zigarre aus dem Munde, strich den Magharenbart zur Seite und stand nun, alle um ihn her um Haupteslänge überragend, im Kreise: „Liebe Freunde! Die Auslosung ist beendet. Was sich auch alle für Nummern gezogen haben mögen, ausschlag gebend werden sie letzten Endes nicht sein. Den Erfolg zeitigt nur das Können. Schneid, Hingebung, Wille zum Sieg, liebe Sport freunde, das sind die Eigenschaften, die der Bobsport von uns verlangt. Nur wer sie ganz vereinigt, kann und soll Deutscher Meister werden. Schneid, Hingebung und Wille zum Sieg! Mögen alle drei morgen bei Ihnen sein, wenn das Kommando zum Start Sie auf die Reise schickt. Dann wird auch der beste unter Ihnen mit Recht Deutscher Meister werden!" Die gütigen braunen Augen des mächtigen Mannes sahen grüßend in die Runde, dann nickte der gewaltige Kopf abschiednehmend, und unter dem Beifall der Ver sammelten verließ der Vorsitzende der Rennleitung den Raum. Der Lange nahm noch einmal seine Mannschaft zu sammen: „Punkt neun Uhr sind Sie morgen am Start. Bremser, dLr Schlitten steht um sieben Uhr am Aufzug. Sie sorgen für sachgemäßes Anhängen ans Seil, damit mir die Kerle die Kufen nicht wieder verbiegen. Ich erwarte Pünktlichkeit, sonst werde ich grob!" Dann ließ er sie stehen, ging in langen Schritten durch den Raum, durchquerte die Hotelhalle und saß wenige Minuten später in der Bar neben der Baronin, die ihn hier oben schon erwartet hatte. Sie war allein. Ter Mixer hatte ihr einen Trunk hingestellt und war noch ein mal in die Halle hinuntergegangen. „Hab' ich Sie lange warten lassen?" Dicht beugte sich der Graf zu ihr herab. „Nnn sind Sie ja hier, und mein Warten war nicht umsonst." Die Baronin hielt seinem Blick Stand. Wie ein verängstigtes Häschen kauerte sie sich unter der Wucht seiner Blicke zusammen, und ein Gesühl der Unterlegen heit, des Sich-hingeben-müssens beschlich sie, das sie ver wirrte und zugleich beglückte. Hastig griff sie nach seiner Hand. Mit eisernem Griff umspannte er ihr Gelenk, riß sie hoch und küßte sie heiß und lange auf den Mund. Wie eine Katze wand sie sich unter seinen Liebkosungen, wild erwiderte sie den Druck seiner Lippen und ließ erst von ihm ab, als die Schritte des Barkespers auf der Treppe zu hören waren. Rasch ordnete sie vor dem Spiegel des Handtäschchcns die wirren Haare, beseitigte mit Puderquaste und Lippen stift die Spuren dieses kampflosen Ringen- zweier Herzen. Dann war sie wieder ganz die schlanke, exotische Baronin. Die Schwester hatte vor der Tür des Sekretariats ge- wartet. Sie mußte Gewißheit haben über die Reihenfolge des Starts. Und als der Kleine herausgekommen war, hatte sie ihn nur fragend angesehen. Das wußte er, daß sie um ihn gebangt hatte. Er gab ihr den Zettel mit der Startnummer. Einen schnellen Blick warf sie darauf. „Und der Lange?" „Fünfzehn!" „Werden Sie ihn trotzdem schlagen können?" Der Kleine hob die Achseln. „Ich Weitz es nicht, er liegt, günstig. Und trotzdem, ich will's versuchen, und ich werde eS schaffen! Nach seinen Zeiten kann ich mich richten, ich muß jedesmal etwas besser sein als er." Eine Weile sahen sie noch zusammen und besprachen die Aussichten auf den Erfolg. Es war ihnen nun schon nichts Absonderliches mehr, daß sie nur noch von „ihren" Aussichten redeten. (Fonsetzung folgt.)