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98. Jahrgang Nr. 161 Sonnabend, am 13. Juli 1929 BeilagezurWeitzerm Zetwng > ! ! — >«» M ! MM -- Chronik des Tages. — Die deutsch-belgischen Markverhandlungen sind »um Abschluß gekommen. — Der früh, französische Finanzminister Klotz wurde zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und einer Geldstrafe von SV Franken verurteilt. — Im Stinnesprozeß begannen die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und Verteidigung. — In der Ziehung der vierten Klasse der 33.-269. Preußisch-Süddeutschen Klassenlotterie fiel der Hauptgewinn in Höhe von 100 000 Mark auf die Nummer 162 834. Das Los wird in Achteln in Schwerin in Mecklenburg und in Magdeburg gespielt. — Am Dienstag wird die Schwebebahn von Bad Harzburg nach dem Burgberg eingeweiht. Im Anschluß daran will man die Verlängerung der Bahn über das Mol kenhaus bis zur Brockenspitze in Angriff nehmen. — In Concarneau in Frankreich ist ein Großseuer ausgebrochen, das bisher vier Häuser zerstörte und sich in vem stark bevölkerten Viertel der Stadt Wetter aus zudehnen droht. — Gelegentlich einer Vorführung der Feuerwehr ver brannten in Gillingham in der englischen Grafschaft Kent zwölf Seekadetten. — Bei einer Unwetterkatastrophe am Schwarzen Meer sind nach den bisherigen Feststellungen mindestens 409 Menschen ums Leben gekommen. Ser Staatshaushaltsplan bewilligt. Kehraus im Landtag. — Beratung zahlreicher Etat kapitel. — Sü üüv Reichsmark für junge Drama tiker. — Vertagung bis zum 17. Oktober. — Dresden, 12. Juli 1929. Die Neuwahlen hatten immerhin eine empfindliche Störung der laufenden Landtagsarbctt verursacht, so daß für den nengcwählten Landtag die Verabschiedung des Staatshaushalts die dringlichste Aufgabe wurde. Dank der anstrengenden Vorarbeit in den Ausschlissen konnten die einzelnen Etatkapitel ziemlich reibungslos erledigt werden. Au Beginn der heutigen, letzten Sitzung des Landtags vor den Ferien wurden die von gestern noch ausstehenden Abstimmungen vvrgenvmmcn. Zu dem Kapitel Staatstheater, Sammlungen kür Kunst und Wissenschaft wurde beschlossen: Die Negierung solle einer Erhöhung der Eintrittspreise bis auf weiteres nicht zustimmen, vielmehr sollte» Volksvorstellungcn mit niedrigeren Eintrittspreisen in Erwägung gezogen werden. Außerdem sollen für die junge Generation als Unter stützung 80 00» Reichsmark als zehn Preise zu je 8000 Reichs, mark zur Verfügung gestellt werden. Die Einstellungen für dieses Kapiiel wurden genehmigt. Zu dem Kapitel 18, Gesamtministerium und Staats kanzlei, fordert Abg. Wilhelm lWirtschpt.j, daß die Negie rung mi« der Neichsregierung Fühlung nehmen solle, um zwischen dem Reich und den Ländern die gegenseitige Auf hebung der Gesandtschaften zu erwirken. Abg. Dehne lDem.s erklärt, daß die Zurückhaltung der früheren Negierung daran Schuld trage, daß die Staats- kanzlei zu sehr in den Vordergrund getreten sei, statt lediglich als Büro für den Minister zu dienen. Schließlich werden die Einstellungen genehmigt nnb das Gehalt des Ministerpräsidenten gegen die Stimmen der Kvmmnnistcn und Sozialdemokraten bewilligt. Ebenso wird die Aufhebung der Münchener Gesandtschaft zum 31. März 1930 mit den Stimmen der Linken, der National sozialisten, der Wirtschaftspartei und dem linker Flügel der Volkspartci beschlossen. Hierauf wird der Gesetzentwurf zum Staatshaushalt für das Rechnungsjahr 1929 vorgelegt. Der Berichterstat ter, Abg. Blüher, verliest die Anträge der Regierung. Der Landtag wolle beschließen, für die Gesamteinnah men für das Rechnungsjahr 1929 den Betrag von 406 971 180 M., für die Gesamtausgaben den Betrag von 434 928 040 M. einzusetzen, und den Fehlbetrag nach Abzug der durch das Gesetz festgelegten Einsparungen mit >27 956 860 M. festzusetzen. Die Gesamtausgaben für den außerordentlichen Etat beziffern sich auf 49 318 950 M. Nach einer längeren Aussprache zwischen den Ver tretern verschiedener Parteien wurde das Etatsgeseü gegen die Stimmen der beide«« Linksparteien angenommen. Ta gegen wurde die für den Finanzministcr beantragte Ge währung besonderer Vollmachten mit 69 gegen 22 Stimmen in namentlicher Abstimmung abgelehnt. Als letzten Punkt der Tagesordnung beriet man die Vorlage zum Bau eines neuen Krttppelh eims, zu der die Zustimmung des Hauses erteilt wird. Zum Schluß gab der Ministerpräsident Dr. Bünger eine Erklärung ab, in der er betonte, die Regierung werde bemüht sein, di- Beschlüsse des Landtags loyal durch zuführen. Es sei aber ihre Pflicht, daraus hlnzuweisen, daß die Kassenlaqe dazu führen werde, besondere Ein schränkungen vorzunehmen. Die Regierung werde dein Landtag jede Rechenschaft ablegen. , Nach dieser Erklärung des Ministerpräsidenten ver tagte sich das Haus auf den 17. Oktober. Noch keine Näumungsanzeichen. Lediglich Nmgrnppicrnngen im Gange. — Man erwartet einen englischen Vorstoß. — Koblenz, 13. Juli. . Zeit sind verschiedentlich Meldungen verbreitet worden, nach denen die Vorbereitungen zur G es am traumung begonnen haben. Vom besetzten Ge biet können diese Gerüchte nicht bestätigt werden. Bis her steht nur fest, daß sich die Franzosen ernstlich auf die Naumung der zweiten Zone bis zum 10. Ja nuar 1930 einrichten. " So sind z- B in der zweiten Zone Vie Rekruten, die sonst regelmäßig «n Vc» ersten Julitagen eintrafen, in diesen« Jähre ansgcblieben, obwohl die alten Mannschaften ent lassen wordr« sind- Tie Regimenter in der zweiten Jone habe«« nur «roch dc» halben Mannschaftsbestand. Eine wei tere Mindernng erfahre» die Truppe» in der zweite» Ione dadurch, daß i« Koblenz in de» nächste» Tage« el« J«< fauterie- »nd «in Artillerie-Regiment aufgelöst werde«. Mit der Gesamträuumug hat da» aber nicht» z« tun; auch liegen del reiner amtlichen deutsche« Stell« «nzeiche« vor, die dara«f schließe« lasse«, daß di« Räumung d«r zwei ten Zone am 1. Septemder schon beendet ist. Tast gegenwärtig von der Räumung der dritten Zone überhaupt noch nicht gesprochen werden kann, ergibt sich schon daraus, daß man hier umfangreiche Materialtransporte von der zweiten in die dritte Zone beobachten kann. Ferner wird uns vom städtischen Besatzungsamt mitgeteilt, daß die Freigabe von Be satzungswohnungen im ersten Halbjahr 1929 sich ge nau in dem gleichen Rahmen wie in den früheren Jahren hält, so daß auch daraus keine Hoffnungen ge schöpft werden können. Mel beachtet wird hier eine Londoner Meldung, nach der die englische Abordnung aus der bevorstehen den politischen Konferenz in jedem Falle die Frage der sofortigen und vollständigen Räumung des Rheinlan des schon in den ersten Verhandlungstagen aufwerfen will. Nach diesen Auslassungen geht das englische Ziel dahin, während des ersten Teiles der Konferenz eine feierliche Erklärung der Besatzungsmächte für di baldige und vollständige Räumung des Rheinlandes zu erwirken., Für den Fall, daß Frankreich und Belgien auf der vorläufigen Fortdauer der Besatzung bestehen sollten, kündigen die englischen Blätter eine Sonder aktion an: die Zurückziehung der britischen Truppen. * - Die diplomatischen Verhandlungen. Man wartet auf die Beseitigung der Differenzen. — Drei Konferenzen in Sicht. Die diplomatischen Vorverhandlungen über die Inkraftsetzung des Young-Plans werden noch immer durch die englisch-französischen Differenzen verzögert. England hat einen letzten Versuch gemacht, London als Tagungsort durchzusetzen, doch wird es dann wohl nachgeben und sich mit einer schweizerischen Stadi einverstanden erklären, vorausgesetzt, daß man sich nichl doch noch aus halbem Wege entgegenkommt und Ba den-Baden als Konferenzort wählt. Ter Zusammentritt des OrganisationskomitecS, de» für den 15. Juli i« Aussicht genommen war, dürft« sich bis in die erste,« Augusttage verzögern. Zu. fammenfaffend ist zu sagen, daß drei Kouferenzeu ge plant sind: Eine Konferenz der Regierungen, die sich mit der Inkraftsetzung des Noung-Plaus und de» Rheinlandräumung beschäftigen soll; eine Kouferenz de, Leiter der Notenbanken über das Statut der Bank fü» internationale Zahlungen üud drittens «ine „Organi- fations-Konferenz" zur Regelung der Ueberleitungs- fragen, * Montreux bringt sich selbst iu Borschlag. Die Behörden der Stadt Montreux am Genfer See haben sich an die interessierten Regierungen mit dem Anerbieten gewandt, Montreux als Ort der be vorstehenden politischen Konferenz zu wählen. Lau sanne soll als Tagungsort nicht mehr in Frage kom men; man spricht jetzt u. a. von Luzern. Poincarc, Briand und Chers» Berhaudlungsfiihrer. — Paris, 13. Juli. Die französische Abordnung für die Rcgierungskonferenz wird außer dem Minister präsidenten Poincarö Außenminister Briand, Finanz minister Cheron, den Gouverneur der Bank von Frank reich, Moreau, und den Generalsekretär des Außen ministeriums, Berthelot, umfassen. Italien fordert Kamerun. Schlechter Stand der französisch-italienischen Verhand lungen. Ter französische Botschafter in Nom, de Beaumar chais, begab sich nach Paris und unterrichtete Briand über das bisherige Ergebnis seiner Verhandlungen mit Italien. Gutes scheint de Beaumarchais nicht berichtet zu haben. Nach den Auslassungen der Pariser Presse zu schließen, liegt der französisch-italienische Ausgleich in Afrika und ebenso der Abschluß eines Freund schaftsvertrags noch in weiter Ferne. In der Afrikafrage hat Frankreich sich zur Ab tretung eines Gebietsstreifens von Tripolis an Ita lien bereit erklärt. Es hat ferner angeboten, daß in Tunis die erste Generation der italienischen Ein wanderer ihre italienische Staatszugehörigkert behält und erst die dritte Generation, wenn sie im Lande bleiben will, sich naturalisieren lassen muß. Italien soll jedoch sämtliche Vorschläge abgclehnt und Anspruch aus das Gebiet von Borkou am Tschad-See erhoben > sowie die Zuerkennung des Mandats über die ehe- - malige deutsche Kolonie Kamerun. verlangt haben. Untragbare Kontrollkommission. Briefwechsel vcs ZcntrumsfiihrerS Kaas mit dem Mi» i nister für die besetzten Gebiete. i Ter Vorsitzende der Zentrumspartei, Prälat Dr. i Kaas, hat an den Reichsminister für die besetzten ! Gebiete, Dr. Wirth, einen Brief gerichtet, der sich ! mit gewissen in der französischen Presse ausgetauchten ! Forderungen bezüglich der sogenannten Feststellungs- ! und Nersöhnungskommission befaßt. Der Wortlaut des Briefes soll nach Einholung der Genehmigung durch das Auswärtige Amt im Laufe des heutigen Sonn abends veröffentlicht werden. Wie verlautet, stellt Kaas in seinem Brief aus drücklich fest, daß die Annahme einer Feststellunas- unv „BersvhnungS'lommission für die Rheinland« durch Deutschland unter keinen Umstanden in Frage kommen! kann. Der Reichsminister für die besetzten Gebiets dürste in seinem Schreiben gleichfalls zum Ausdruck bringen, daß Deutschland lieber die Besatzung bi» 1S3Ü in Kauf nimmt, als eine „BerföhnungS"kommission an-, zunehmen, die nur eine Verschleierung der MilitLr« kontrolle darstellt. ! In unterrrichteten Kreisen mißt man dem Brief-, wechsel große Bedeutung bei. Einigung über die MaiEfrage. Die veutsch-belgischen Sonderverhandlungen -«endet. Wie verlautet, sind di« deutsch-belgischen Verhand lungen über die Kriegsmark beendet. Das Ergebnis der Verhandlungen beschäftigte am Freitag nachmittag den! belgischen Ministerrat. Die Veröffentlichung des Ab-, kommens wird für die nächsten Tag« erwartet. Nach dep Antwerpener „Neptune" sollen sich Deutschland und Belgien aus eine bestimmte Zahl von Jahresraten! geeinigt haben, die Deutschland auf die 6^1 Milliarden! Papiermark, die Belgien übernommen hat, bewilligt^ Von dieser Summe sollen dann die Beträge atzgezogerl werden, die man als betrügerisch in das Land hinein-^ gebracht ansieht. Das Blatt erfährt, daß man Deutsche land die Aufhebung des Verkaufes der besch mten deutsche,« Güter zubillige», und daß man au^ bis zu einem gewisse« Grade die bereits liquidierten Güter in Rechnung ziehen wolle. In - '»ständigen Stellen über den Inhalt des angebliche» Abkommens noch nichts bekannt, Politische Rundschau. - Berlin, den 13. Juli 1929. — Der Zentrumsabgeordnet« Dr. Brüning, der so wohl dem Reichstag wie dem Preußischen Landtag angehört, hat wegen Arbeitsüberlastung sein Landtagsmandat nie dergelegt. . , :: Einstweilige Verfügung gegen das Umgemein- oungsgesetz beantragt. Der Vizepräsident des Deutschen Landgemeindetages hat beim Staatsgerichtshos den Er laß einer einstweiligen Verfügung gegen das rheinisch- westfälische Umgemeindungsgesetz beantragt, damit das Gesetz nicht vor Entscheidung der schwebenden Klagen in Kraft gesetzt wird. :: Protestbrief der Rektoren an den Kultusminister Dr. Becker. Die Rektoren und die Senate der Berliner Universität und der Technischen Hochschule legen in einem Schreiben an Kultusminister Dr. Becker gegen das Verbot der Versailles-Kundgebung Verwahrung ein und erklären, der Erlaß des Staatsministeriums habe das Recht der Selbstverwaltung durchbrochen Rundschau im Auslande. r Der amerikanische Botschafter in London, General Dawes, hatte eine neue Unterredung mit Macdonald über die Fortführung der Flottenverhandlungen. § In Peking brachen Kommunistenunruhen aus: zwei PolizeiLeamte wurden von den Kommunisten verschleppt. 1,2 Million«,» Tote in zwanzig Jahre« Bürgerkrieg? ; Der «h«malige mexikanische Außenminister unter Calles veröffentlicht einen Aufruf an das Land zur Wie derherstellung des inneren Friedens und Einstellung der Feindseligkeiten. Er schätzt, daß seit Beginn der Aufstands bewegung gegen den Präsidenten Diaz im Jahre 1910, mehr als 1,2 Millionen Mexikaner ihr Leben in den Bür gerkriegen verloren haben. Plädoyers im Anleihe-Prozeß. Die Anklagerede. — Der Staatsanwalt hält sämtliche Angeklagten für schuldig. Im Kriegsanleiheprozeß wurde die Beweisauf nahme beendet. Im Anschluß daran begannen am Frei tag die Plädoyers. Der Vertreter der Anklage, Staats anwaltschaftsrat Dr. Berliner, erklärte» er nehme nicht an, daß Stinnes fähig sei einen gewöhnlichen Be trug an einem seiner Mitmenschen zu begehen, aber er gehöre zu denen, die infolge ihrer antifiskalischen Ernstellung es unbedenklich fänden, den Staat zu hin tergehen. Tie Beweisaufnahme habe ergeben, daß Stim nes eine stark antifiskalische Einstellung besitze, die ihm keine Bedenken tragen lasse, sich auf Kosten des Staates zu bereichern. Aus dieser antifiskalischen Ein stellung heraus, habe er mehrfach Steuerhinterziehun gen begangen, und aus dieser Einstellung heraus sei auch die in diesem Prozeß Stinnes zur Last gelegte Tat zu erklären. Ter Staatsanwalt gab der Ucbcrzeugung Mus« druck, daß Engen und Leo Hirsch, Grosz »nd Schneid von vornherein gewußt hätte», daß das Anlcihegcschäft auf betrügerischer Grnndlage aufgebaut war, -ei Stin nes, Nothmann und v. Waldow könne man das nicht mit Bestimmtheit nachweisen, sie hätten aber im Ver laufe des Geschäfts den betrügerischen Charakter er kannt und trotzdem das Geschäft weiter durchgeführt. Klotz zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt. Der frühere französische Finanzminister und Sena tor Klotz wurde wegen Ausgabe ungedeckter Schecks, Untreue und Betruges zu zwei Jahren Gefängnis und 50 Francs Geldstrafe verurteilt. Wie der Vorsitzende