Volltext Seite (XML)
Lut« .. zur reich", und also mutz es wahr sein, und an diese „Wahrheit" glauben „modern" sein wollende Men schen! Wenn ein großer Teil unserer Zeitgenossen in ihrem Empfinden und Denken so durcheinander geraten ist, dann wundert man sich über nichts mehr. Wundert sich nicht, daß z. B. Leute es bewundernswert finden, wenn in Berlin ein junger Mensch es sertigbrachte, 149 Stunden, besessen von der Drehwurmkrankbeit. es sich was? — Der Erzengel Gabriel hat geschwindelt. — Weißenberg als „Kollege" des Hl. Geistes. — Bismarck als Erzengel-Ersatz. — 14S Stunden Drehwurmkrankhcit. — Wenn man nicht mehr in die Welt paßt. — Unter allem Stresemann. Soll ich? Ja, was denn? Soll ich mit dem Wettei beginnen? Das Thema ist ja eigentlich das aktuellste in dieser „schönen" Sommerzeit. Die Besprechung will ich mir aber doch lieber bis zum Schluß aufheben. Denn erstens möchte ich nicht in den Ruf kommen, ich sei in Verlegenheit — bekanntlich ist die „geistreiche" Unterhaltung über das Wetter fast immer der rettende Strohhalm für die, die nicht ins Gespräch kommen kön nen und doch wollen, — und zweitens habe ich so eine Ahnung, als ob sich bis zu dem Moment, wo heute die Tinte alle und die Feder unbrauchbar wird, noch aller hand „tun" wird. Leben." „Er ist die Kraft und die Höflichkeit Ausgießung des Heiligen Geistes Mrusen. Also spricht Bismarck, der „Kanzler im Geister aenagte« mar, seine «roschüren zu verkaufe« und z«« Ab»«»ement seiner Zeitnng zu veranlassen. Auch hinsichtlich der Strafe hat das Gericht keinen Gruno gefunden am erstinstanzlichen Urteil etwas zu ändern. Winter hat sich einen sehrgroßen Geldbetrag durch sein betrügerisches Handeln erworben." Nach -er Verhandlung staute sich die Menge vor dem Landgerichtsgebäude. Winters Getreueste drück- ten ihm Blumen in die Hände; ein Kinooyerateur hatte Aufstellung genommen, um das weltgeschichtliche Ereignis zeitgemäß zu filmen, als der Mann mit dem Kainszeichen des Betrügers an der Stirn die Stätte des Gerichts verlassen wollte. Der elastische Winter hatte sich von dem häßlichen Schlag, der ihn getroffen, schnell erholt. Mit strahlender Miene trat er aus der düsteren Vorhalle des Landgerichts inS Freie, lachend erwiderte er die Grüße seiner Getreuen, und mit der ihm beson ders eigenen Emphase streckte er die ihm geschenkten Blumen empor und ließ zunächst die Wahrheit hochleben, die mehr hochzuhalten Landgerichtsdircktor Franke ihm wenige Minute« vorher eindringlichst ermahnt hatte, und dann das Recht, in dessen Namen er verurteilt worden war. Nach Abschreiten der Front seiner Getreuen, nach vollendeter Drehung des bestellten Films, bestieg Gustav Winter das bereitstehcnde Privatauto, geleitet von seiner getreuen Sekretärin, und entfuhr langsam und weihevoll der Menge, freundlich und herablassend die grüßend, aus deren sauer ersparten Groschen sein großes Vermögen zusammengezogen wurde. Von der Verteidigung Winters ist wiederum Revision eingelegt worden. WWen Mr also zunächst Ämnal da fort, wo wir in der vergangenen Woche berervs kurz« Zeit verweilt baden. Im Reiche des „Propheten" Weißenberg ist der Erzengel Gabriel abaesägt worden, weil er — lügenhaft to verteilen — etgennich in die Hüll« gehört. DÄm der Engel hat faustdick gelogen! Tatsache! Beweis: Im „Weihen Berg", dem Organ des „Meisters" Weißenberg, stand im wunderschönen Monat Mai: „England Mrd um 11 Uhr nachts am 26. Mai untergehen. In Deutschland wird die Pest ganze Land striche roden. Die Niederlande haben einen glühenden Regen zu erwarten. In Rußland wird alles an den schwarzen Blattern sterben." Huh! Heulen und Zähneklappern und Ohnmachts anfälle bei den Weißenbergern. Aber diese „Stim mungen" sind wandelbar. Sie haben sich in Wut ver kehrt, weil bis jetzt weder England untergegangen ist, noch all die anderen schaurigen Dinge wahr geworden sind, die da geweissagt wurden. Aber dann legte sich auch diese Wut wieder, denn das Karnickel ist nicht der „unfehlbare Meister" Weißenberg, sondern — der Erzengel Gabriel. Des „Meisters" Chefredakteur schreibt — ein Kind, kein Engel ist so rein! —: „Wo und Wann hat Weißenberg dies prophezeit? Aller dings hat dies im „Weißen Berg" gestanden, aber nicht als Aeußerung unseres Meisters, sondern als Kund gebung des Erzengels Gabriel." Armer Erzengel, du hast deinen „Meister" gefun den, der dich vernichtet und nunmehr an deine Stelle den — Altreichskanzler Bismarck gestellt hat. Der ist jetzt „eingeschaltet, ist der prominenteste Mitarbeiter des „Propheten" geworden, weil er nicht Kanzler im Deutschen Reiche, sondern „Kanzler im Geisterreiche" ist. Bismarck schreibt jetzt eigenhändig im „Weißen Berg" und singt Lobeshymnen aus Herrn Weißenberg, der ein „Kollege des heiligen Geistes" geworden ist. Da heißt es u. a.: „Seine Sonnenstrahlen des Lichtes gehen von seinem Kreuz aus, und da heißt es auch leiden, meine Lieben. Die neue Kirche, die nicht nur im Entstehen, sondern im Wachsen ist, sie muß unter dem Zeichen des Kreuzes stehen und leiden wie Jesus Christus gelitten hat. So muß auch der, den Er sendet, der die wichtigsten Arbeiten des Geistes jetzt unter die Menschenkinder trägt und vollendet, so muß auch Er leiden." Und weiter: „Sein Wort bringt das hindurch zu tanzen, wundert fich nicht, daß «ne ge wisse Boulevardpresse Wer diesen Blödsinn u. «. sich Me folgt, begeistern kann:-„Sechs Paar Schuhsohlen, beinahe dreitausend Zigaretten, über zwei Dutzend Hemden, tausendundzwanzig Partnerinnen sind Mark steine jenes neuen Weltrekords, und Alfredo Fernando dreht sich, an Herz, Lunge, Puls und Muskeln gesund, in die letzte Stund«. Dann Tusch; Lorbeer und Kränze, Blitzlicht und Wochenschau — das amerikanische Enga gement winkt." Aber auch über andere Dinge, die viel ernster find als diese Lächerlichkeiten, darf man sich nicht wundern. In Berlin lebte da, um nur «inen Fall anzuführen, in den denkbar besten Verhältnissen ein greises Ehepaar — er 77 und sie 71 Jahre alt. — Der alte Mann hatte häufig seiner Tochter sowohl als auch verschiedenen Bekannten erklärt, daß er wie auch seine Frau nicht mehr in diese Zeit hineinpaßten und es vorziehen würden, ihrem Leben ein Ende zu machen. Trotzdem man die alten Leute sorgfältig überwachte, ist doch das Unglück geschehen. Die beiden haben ge meinsam Selbstmord begangen, weil sie sich überflüssig vorkamen, diese neue Welt nicht verstanden. > Die freilich verstehen manche nicht, die sich um die kommende Generation Sorge machen. Wenn man aber deswegen Selbstmord begeht, dann ist das eben ein Ausfluß der Geistesverfassung, wie sie die neue Zeit mit ihrem Weißenberg, ihrer Rekordsucht, ihren Schönheitsköniginnen, ihrem mißverstandenen Begriff von Sport und Körperpflege, ihren Tauertänzern und Musikschändern erzeugen muß. Arme Menschheit! Soeben ist die Wolke, die die Sonne nicht auf mein weißes Papier ließ und darum diese kleine, ernste Er wägung aus ernster Stimmung heraus werden lieh, von unsichtbaren Händen fortgeschoben. Vom azur blauen Himmel lacht strahlender Glanz, bestärkt in mir die Hoffnung, daß sich nun weiter etwas „tun" wird, nachdem sich, wie ich's eingangs vermutete, be reits jetzt etwas „getan" hat. Es war aber auch in dieser Woche wirklich zum Auswachsen und man ver stand den Wutausbruch eines Kollegen von der „schwar zen" Kunst: „Unter allem Stresemann; kein Silber streifen am Horizont!" Möge nun doch endlich in dieser Ferienzeit der Sommer kommen, der wirkliche Som mer- Allein schon deswegen, weil der mir bekannte Fruchteishändler sonst Pleite machen muß trotz sei ner Reklame, die von seinem Wagen leuchtet? - Hab Sonne im Herzen . ' Und Eis im Bauch! Gedenktage für den 13. Juli. 1606 * Der Maler Rembrandt Harmensz van Rhn in Leiden (f 1669) — 1874 * Der Dichter Wilhelm von Scholz in Berlin — 1919 s Der Chemiker Emil Fischer in Wannseo bei Berlin (* 1852). Sonne: Aufgang 4,10; Untergang 20,11. Rond: Aufgang 14,39; Untergang 23,59.