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April 1889. „STAHL UND EISEN.“ Nr. 4. 297 Mit besonderer Freude hat der Verein die neue Colonialpolitik des Reichs begrüfst. Wenn wir uns auch niemals der Erwartung hingegeben haben, dafs von den neuen Erwerbungen in Afrika und von der Ausdehnung der Schutzherrschaft des Reichs über eine Anzahl Inseln der Südsee sofort Einwirkungen von namhafter Bedeutung für unsere Handelsbeziehungen hervortreten werden, so zwei feln wir doch nicht, dafs diese Anfänge in unserm Colonialbesitzthum im Laufe der Zeit als belebend und kräftigend auch für die Industrie sich heraus stellen werden. Dafs der Reichstag vor wenig Wochen theils zur Unterdrückung der Sklaverei, theils zur Wahrung wohlerworbener deutscher Rechtsansprüche in Ostafrika 2 Millionen Mark bewilligt hat: der weitaus gröfste Theil des deut schen Volks hat diese Kunde mit vollster Befrie digung vernommen. Mit besonderem Danke ist wiederum hervor- ztiheben, dafs seitens unserer’ Gesandtschaften, wie der Kaiserl. deutschen Consulate, den Ex portbestrebungen der deutschen Industrie fort gesetzt grofse Aufmerksamkeit gewidmet worden ist, und dafs in nicht wenigen Fällen Anfragen der verschiedensten Art nicht nur ebenso ein gehend wie zuvorkommend erledigt worden sind, sondern auch mancherlei Differenzen bei der Ab wicklung von Exportgeschäften in wirksamer Weise beglichen werden konnten. Im Laufe des vergangenen Jahres sind unserm Verein ferner mancherlei Mittheilungen und Anregungen theils allgemeiner Natur, theils über bestimmte im Aus land zu übernehmende Geschäfte zugegangen, die an alle Vereinsangehörigen weitergegeben worden, sind und in jedem Fall aufklärend und belehrend, hier und da sicher auch den Export direct för dernd, eingewirkt haben werden. Auch die Con- sularberichte, denen leider seitens vieler deutscher Industrieller die gebührende Beachtung noch nicht zu theil wird, haben in den letzten Jahren offenbar an Brauchbarkeit für Industrie und Handel gewonnen und haben mit ihrer Kritik des deutschen Exports manchen beachtenswerthen Fingerzeig gegeben. Obgleich die Bestimmungen der Stempel- gesetzgebung bei Kauf- und Lieferungs verträgen über Mobilien mich Ansicht der Vereinsmitglieder und auf Grund der vom Verein eingeholten juristischen Gutachten kaum einen Zweifel über die richtige Auslegung zulassen, ist es doch nothwendig geblieben, den (unter einander abweichenden) Anforderungen mancher Steuer behörde gegenüber die Entscheidung der Gerichte anzurufen, und ist noch immer zu beklagen, dafs eine jedes weitere Mifsverständnifs ausschliefsende Umänderung dieser Gesetze bezw. eine bindende Erklärung durch den Bundesrath und Reichstag bezw. durch die Preufsische Regierung und den Preufsischen Landtag nicht erfolgt ist. Der Vor stand des Hauptvereins hat sich mit dieser Frage auch in dem vergangenen Jahre beschäftigt, ohne jedoch zu einem andern Vorgehen als dem bis herigen sich bestimmen lassen zu können. Da die gegenwärtige Rechtslage sich für die Industrie wenig günstig herausstellt, glaubt man eine wirk same Hülfe von der früher beabsichtigten Ein gabe an das Finanzministerium kaum erwarten zu können, wobei jedoch nicht ausgeschlossen sein soll, dafs dieselbe nicht zu geeigneter Zeit erfolgen könne. Weit eher meint man eine gründliche Besserung von der endgültigen Entscheidung der zahlreichen zur Zeit schwebenden Processe durch das Plenum des Reichsgerichts zu erhoffen. Je nach dessen Entscheidung sei eine Revision der betreffenden Stempelgesetze seitens der Gesetz gebung des Reichs und des Königreichs Preufsen anzustreben. Die seit Jahren im Reichstag regelmäfsig wiederkehrenden Anträge auf Abänderung der Gewerbeordnung, der Gesetzgebung über Sonntagsarbeit und der Bestim mungen über Arbeiter schütz sind vom Verein in Gemeinschaft mit dem Centralverband deutscher Industrieller einer erneuten Prüfung unterzogen worden. Eisenindustrie und Maschinen bau stehen jeder Verbesserung des Wohlbefindens ihrer Arbeiter durchaus sympathisch gegenüber und ist ja auch bekannt genug, dafs in der Für sorge für das Wohl der Arbeiter in keinem andern Erwerbszweige gröfsere Geldopfer aufgewendet werden und mehr wohlthätige Einrichtungen vor handen sind, als gerade in den Branchen, die in unserm Verein vertreten sind. Die Beschränkungen, welche — sicher in wohlwollendster Absicht und vermeintlich zu gunsten der Arbeiter — verlangt werden, gehen indessen viel zu weit. Gegen die Festsetzung eines Normal-Arbeitstages hatte sich der Verein deshalb ausgesprochen, weil in der gesammten Eisen- und Stahlindustrie wie im Maschinenbau eine übertriebene Anspannung der körperlichen Kräfte des Arbeiters durch zu grofse Ausdehnung der Arbeitszeit überhaupt kaum vor kommen dürfte, hauptsächlich aber weil nicht für zweckmäfsig erachtet werden konnte, in das freie Vertrags verhältnifs zwischen Arbeitgeber und Ar beiter einzugreifen. — In bezug auf die Sonn tagsarbeit beharrt der Verein bei den in Köln gefafsten Beschlüssen des Centralverbands deut scher Industrieller. Die thunlichste Vermeidung der (im übrigen als unwirthschaftlich zu bezeich nenden) Arbeit an Sonn- und Festtagen entspricht bereits der herrschenden Gewohnheit, und nur da, wo dies im Interesse des Betriebs unvermeidlich nothwendig wird, soll eine möglichst zu beschrän kende Arbeitszeit ausnahmsweise auch an Sonn- und Festtagen beibehalten werden. Die vorhan denen Vorschriften über die Gestattung der Sonntagsarbeit in Fabriken verfolgen ganz die selbe Richtung; sie haben sich als vollkommen ausreichend erwiesen und sind wahrscheinlich auch besser geeignet, die richtigen Grenzen zu treffen, als durch ein noch so vorzüglich gearbeitetes Reichsgesetz möglich sein würde. — Beschäf tigung der Kinder ist in den Hüttenwerken der Eisenindustrie und in den Maschinenbau anstalten so gut wie ganz ausgeschlossen; eine wenn auch nur beschränkte Beschäftigung er wachsener Mädchen und Frauen jedoch unter vollständiger Rücksichtnahme auf die ge ringere Arbeitskraft des weiblichen Geschlechts — findet nur ausnahmsweise statt. In solchen Bezirken würden die Leiter der Werke in nicht wenigen Fällen von selbst auf die Beschäftigung weiblicher Arbeiter verzichten, wenn für dieselben wie dies namentlich in Oberschlesien der Fall ist — ein anderer Verdienst vorhanden wäre. Erlangten jene Anträge Gesetzeskraft, so würde Frauen und erwachsenen Mädchen verwehrt wer den, durch leichte, ihrer Individualität angemessene Beschäftigung ihren Unterhalt zu verdienen, und da eine andere lohnende Arbeit nicht vorhanden ist, würden sie nur der Noth und dem Elend, viel leicht sogar der sittlichen Verwahrlosung in die Arme getrieben werden. In der Reichstagssitzung vom 23. Januar d. J. hat Hr. Minister von Bötticher die Stellung des Bundesraths zu den hierüber vorliegenden Anträgen klar gelegt und haben wir daraus mit grofser Befriedigung er sehen , dafs der hohe Bundesrath die Stellung einnimmt, welche die Industrie in ihrer Kenntnis