Volltext Seite (XML)
April 1889. nungsergebnissen der Berufsgenossenschaften« für 1887 betrug die Zahl der überhaupt ent- schädigungspflichtigen neuen Unfälle bei den Berufsgenossenschaften 15 970, also auf 1000 versicherte Personen 4,14 Unfälle, in 1886 da gegen 9723, also auf 1000 versicherte Personen 2,79. Das ist, wie man siebt, eine Steigerung von 47,3 %. Unter den schwereren Unfällen sind die mit dauernder theilweiser Erwerbs unfähigkeit am meisten gestiegen, nämlich von 3789 im Jahre 1886 (= 1,09 auf 1000 Ver sicherte) auf 8126 (= 2,14 auf 1000 Versicherte), also eine Zunahme von fast 100 % 1 Solche Zahlen überraschen doppelt, wenn man bedenkt, dafs inzwischen bei 41 Berufs genossenschaften die Unfallverhütungsvorschriften in Kraft getreten sind. Fragt man nach den Gründen der geradezu erschreckenden Zunahme der Unfälle, so wird von verschiedenen Seiten darauf hin gewiesen, dafs seit Erlafs des Unfallversicherungs gesetzes Nachlässigkeit und Unachtsamkeit bei den Arbeitern zugenommen haben;. die Bestim mung des Unfallversicherungsgesetzes, dafs ein Arbeiter, der durch groben Leichtsinn einen Un fall herbeiführt, genau dieselben Rechte hat, wie ein unverschuldet Verunglückter, führt eben zu bedenklichen Consequenzen. Hinzukommt die überhand nehmende Simulation, welche nach statt gehabten Unfällen gar nicht vorhandene Uebel erdichtet und vorhandene ins Ungeheuerliche über treibt. Man sucht eben den allerunbedeutendsten Unfall zu benutzen, um daraus einen Anspruch auf die Vergünstigungen des Unfallversicherungs gesetzes herzuleiten. Dies Bestreben ist zum Theil auf die Urtheile des Reichsversicherungsamtes zurückzuführen, in denen die Schätzung des Invali ditätsgrades durchweg eine höhere ist, als zur Zeit des Haftpflichtgesetzes, in denen oft Uebel mit in Rechnung gezogen worden sind, die mit dem Unfälle in keiner Verbindung stehen, und in denen körperliche Leiden mehrfach als Folgen von Betriebsunfällen betrachtet worden sind, wo solche nach der allgemeinen Anschauung über diesen Begriff nicht vorliegen. Es wäre im höchsten Grade wünschenswerth, dafs diese oberste Instanz die Praxis aufgriffe, wenigstens in zweifelhaften Fällen sich im Durch schnitt der Anschauung des ersten Schiedsgerichts anzuschliefsen, von welchem anzunehmen ist, dafs es in eben solchen zweifelhaften Fällen sich am besten in der Lage befindet, die realen Verhältnisse festzustellen und zu beurtheilen. In hohem Grade das gute Verhältnifs zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer störend wirkt der Umstand, dafs der letztere ohne Angabe irgend welcher Gründe und ohne bestimmt gestellte Ansprüche gegen die bezüglich seiner Entschädigung ergangene Entscheidung des Berufsgenossenschaftsvorstandes Berufung einlegen kann. In dieser Beziehung hat die Osnabrücker Gewerbekammer mit Recht darauf hingewiesen, dafs, nachdem der Arbeiter, namentlich angeleitet durch die Thätigkeit der sogenannten Arbeiteranwälte, sehr bald begriffen hat, dafs ihm die Erhebung einer Berufung niemals schaden — weil sie ihn nichts kostet — , wohl aber in manchen Fällen nützen kann, sich die vollständig unbegründeten Berufungen in einer geradezu dem Rechtsbewufstsein hohn sprechenden Weise steigern. Die genannte Kammer hat darum den Vorschlag gemacht, dadurch Abhülfe zu schaffen, dafs eine ver mittelnde Instanz zwischen Schiedsgericht und Genossenschaftsvorstand eingerichtet wird, welche sich mit der Vorprüfung der gegen die Entscheidungen des Genossenschaftsvorstandes erhobenen Beschwerden befafst und diese gewisser- mafsen auf ihre allgemeine Zuverlässigkeit prüft. Eine solche Prüfung würde am besten von einem Richter oder einem sonstigen rechtsgelehrten Beamten vorzunehmen sein und wäre hierbei insbesondere die Herbeischaffung des fehlenden Beweismaterials zu verlangen. Würde alsdann eine bei dieser Vorprüfung als unbegründet zu rückgewiesene Beschwerde dennoch vor dem Schiedsgerichte weiter verfolgt, so würden dem Beschwerdeführer im Falle der Abweisung die ganzen Kosten des Schiedsgerichtsverfahrens auf zubürden sein, welche zur Sicherheit vor der Erhebung der Klage zu hinterlegen wären. Wir halten nun freilich die Schaffung einer neuen Instanz nicht für angezeigt, glauben viel mehr , dafs es genügen würde, wenn diese Vorprüfung dem Vorsitzenden des Schiedsgerichts übertragen und dann in der gleichen Weise ver fahren würde. Jedenfalls lassen alle diese beim Unfallversicherungsgesetz hervorgetretenen Mifs- stände es doppelt angezeigt erscheinen, dafs man bei der beabsichtigten Alters- und Invaliditätsver sicherung der Arbeiter alle in Betracht kommen den Momente der sorgsamsten und genauesten Erwägung unterzieht, bevor man endgültig einen Schritt ins Dunkle thut, dessen Folgen sich heute noch gar nicht übersehen lassen. Ueber die Vorgänge auf dem Gebiete der Gesetz gebung, betreffend die Alters- und Invalidi tätsversicherung der Arbeiter*., sind die Mitglieder durch die Vereinszeitschrift »Stahl und Eisen« auf dem Laufenden erhalten worden. Bekanntlich ist dieser Gegenstand binnen 14 Monaten in drei verschiedenen, principiell von einander abweichenden Gestalten an uns heran getreten , an sich schon ein Beweis, dafs die Materie zustehenden Ortes auf sehr grofse Schwierig keiten gestofsen ist und sich vielleicht auch heute noch nicht derjenigen Durchsichtigkeit erfreut, * Die Beschlüsse der Reichstagscommission konnten in den nachstehenden Ausführungen nicht berück sichtigt werden, weil die Commissionsberathungen bei Abfassung des Berichtes noch nicht beendet waren.