Volltext Seite (XML)
508 Nr. 6. „STAHL UND EISEN.“ Juni 1889. dem schweizerischen Programm zuzulassende Kinderarbeit binden? Kann man dieses Lebens alter für sich körperlich und geistig so verschieden entwickelnde Völker, wie z. B. das italienische und das norwegische, gleichmäfsig feststellen? In demselben Lebensalter, in welchem südliches Klima und südliche Lebensbedingungen die Kinder zu Erwachsenen entwickelt haben, sind sie im Norden noch des Schutzes dringend bedürftig. Man müfste also schon in diesem wenigst-umstrittenen Punkte, der Kinderarbeit den besonderen Verhältnissen der einzelnen Länder in der internationalen Ver einbarung Spielraum einräumen, d. h. man kann schon in diesem klarliegendsten Punkte nicht das jenige international vereinbaren, was doch ver einbart werden soll. Hierauf die übrigen Programmpunkte zu prüfen, kann dem Leser anheimgestellt werden; das Re- sultat der Prüfung wird ergeben, was praktisch von der Erfolgsmöglichkeit solcher internationalen Vereinbarungen zu halten ist. Aber nicht nur der schweizerische Bundesrath hat die internationale Regelung der Arbeiterschutz frage in die Hand genommen, die internationale Socialdemokratie macht ihm darin Concurrenz. Sind doch sogar zwei socialrevolutionäre Congresse zum 14. Juli nach Paris berufen, um diese Frage zu »lösen«, oder richtigerneuen Agitationsstoff aus derselben zu extrahiren. Auch diese Concurrenz spricht ein Wort in Sachen der von der Schweiz angeregten Conferenz mit und macht deren Oppor tunität recht zweifelhaft. Ein negatives Resultat der Conferenz bietet der Socialdemokratie das Argument, wie wenig doch von den »Macht habern« für das »Volk« zu erwarten sei; ein positives würde dazu dienen, demselben »Volke« zu demonstriren, wie sich die »Machthaber« schon angesichts der Willensäufserung des Proletariates »beeilen«, ihrerseits endlich das zu thun, was sie schon längst hätten thun sollen. Beide Alter nativen sind gleich wenig verlockend und sprechen stark gegen die Opportunität des schweizerischen Vorgehens. Nachdem aber dieses Vorgehen einmal erfolgte, ist es zu spät, diese Opportunitätsfrage aufzuwerfen, und wenn die Conferenz genügende Betheiligung findet, wird sie stattfinden müssen. Dafs dann eine Betheiligung Deutschlands erwünscht er scheinen mufs, deuteten wir bereits an. Denn, wenn international feslgestellt werden soll, dafs internationale Abmachungen über Arbeiterschutz praktisch unausführbar sind, dafs diese Unaus führbarkeit an jedem Ende der Frage hervorleuchtet, dann ist jedenfalls erwünscht, bei dieser Fest stellung betheiligt zu sein ; wäre es auch nur, um bei erneuten Verhandlungen über Erweiterung der deutschen Arbeiterschutzbestimmungen sich darauf berufen zu können, dafs der bei solchen Gelegen heiten stets im Hintergründe auftauchende Vor schlag internationaler Vereinbarung ein Schlagwort ist, erfunden für die Zwecke Derer, welche in Arbeiterfreundlichkeit glänzen möchten, aber, das beweisen ihre Vorschläge, deren Tragweite nicht übersehen und sich deshalb auf den deus ex machina der internationalen Abmachung verlassen. —en. Von der hamburgischen Gewerbe- und Industrie-Ausstellung. Dieselbe Stadt, welche im September des vorigen Jahres in so liebenswürdiger Weise den »Verein deutscher Eisenhüttenleute« empfing und nach geschehenem Zollanschlufs am 3. November den Vertretern der deutschen Handelskammern und wirthschaftlichen Vereinigungen, darunter auch der »Nordwestlichen Gruppe«, eine so hervor ragend gastliche Aufnahme gewährte, lenkt gegen wärtig durch eine bedeutsame Gewerbe- und Industrie-Ausstellung den Blick der binnenländischen Kreise auf sich, und es ist dem Unterzeichneten, der einer freundlichen Einladung zur Eröffnung dieser Ausstellung folgte, ein angenehmes Be- dürfnifs, Zweck und Wesen der letzteren in diesem Blatte kurz darzulegen. Unsere Stellung den Ausstellungen gegenüber, welche, sich in ihrer kurzen Aufeinanderfolge über stürzend, gröfstentheils dem Decorationsbedürfnifs einzelner Persönlichkeiten, dem Wunsche der Presse nach Annoncen und dem menschenfreundlichen Empfinden der Wirthe ihr Dasein verdanken, ist bekannt. Um so mehr freut es uns, hier fest stellen zu können, dafs die Hamburger Ausstellung derartigen Motiven nicht entsprungen ist, sondern einem wirklich vorhandenen Bedürfnifs entspricht. — Wie der » Führer« mit Recht her vorhebt, ist die hamburgische Gewerbe- und In dustrie-Ausstellung im Jahre 1889 eine logische Folge des am 15. October 1888 vollzogenen Zollanschlusses. Dem Grofshandel ist durch die Freihafen anlagen nicht nur jene freie Bewegung erhalten, die für seine Bedürfnisse unerläfslich ist, sondern es sind weitgehende Verbesserungen der verschie densten Art geschaffen, die ihm zu gute kommen werden, sobald die Periode der Einrichtung unter ganz neuen Verhältnissen überwunden sein wird. Zugleich ist aber dem Gewerbefleifs und der Industrie Hamburgs das weite Gebiet des Deutschen Reiches zu freiem Verkehr geöffnet, und es gilt,