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der Beschlüsse nicht binden zu wollen, bereits angemeldet hat, so wird man sich bei der Alter native eines obligatorischen Charakters der zu fassenden Beschlüsse nicht weiter aufzuhalten brauchen, indem doch nicht gut anzunehmen ist, dafs hinsichtlich des Arbeiterschutzes weiter vor geschrittene Länder sich den Beschlüssen der Conferenz bindend unterwerfen sollten, falls auch nur eines der zurückgebliebeneren Länder, wie der Fall, dieses von vornherein verweigert. Ist aber ein obligatorischer Charakter der Conferenz- beschlüsse überhaupt nicht in Rechnung zu ziehen, so fällt damit allerdings auch die Nothwendigkeit hinweg, eine Vollstreckungsinstanz zu construiren, — eine Aufgabe, deren Unlösbarkeit freilich, ganz abgesehen von dem bon-sens der einzelnen Länder, zur Unmöglichkeit machen würde, den Beschlüssen bindende Kraft beizulegen. Hat also die Conferenz von vornherein nur Aussicht, Beschlüsse zu formuliren, welche für keinen der Theilnehmer verbindlich sein werden, so ist damit der eigentlichste Zweck einer solchen internationalen Abmachung von vornherein ver eitelt. Arbeiterschutzmafsnahmen kann schon heute jedes Land je nach seinen Bedürfnissen treffen und jedem derselben ist auch zur Genüge bekannt, welche Art von Bestimmungen die übrigen getroffen haben, um sich eventuell darnach richten zu können ; dazu bedarf es weder einer Conferenz noch einer internationalen Abmachung. Will man eine solche anbahnen, so will man damit die durch den Arbeiterschutz beeinflufsten Bedingungen der Concurrenz im Weltverkehr gleichmachen; kann man dieses Ziel jedoch nicht erreichen, so trägt jeder Versuch einer Vereinbarung den Stempel der Erfolglosigkeit an der Stirn. Mit diesen Ausführungen sagen wir keines wegs und Niemandem etwas Neues. Nicht nur die theoretische Erörterung hat dasselbe gesagt, sondern auch in der Praxis ist mit ihrem ersten, vor acht Jahren unternommenen Versuche die Schweiz an diesen selbigen Umständen gescheitert. Wenn aber diese Dinge auf der Hand liegen und allgemein bekannt sind, weshalb hat sich dann die Schweiz zum zweitenmal dem Mifslingen ihres Versuches ausgesetzt? Man sollte vermuthen, in dem Einladungs schreiben der Schweiz hierüber Auskunft zu finden; und dasselbe führt auch aus, während der seit dem ersten Versuche verflossenen acht Jahre hätten sich die Verhältnisse »unzweifelhaft günstiger« gestaltet. In dieser Beziehung wird geltend ge macht, mehrere Staaten hätten inzwischen über die Industrie - Arbeit Gesetze erlassen, andere bereiteten solche vor; speciell sei auch die Frage internationaler Abmachungen in verschiedenen gesetzgebenden Körpern zur Erörterung gebracht. Ferner sei die Frage in der Literatur »einläfs- lieh« behandelt, im öffentlichen Leben wende sich derselben wachsendes Interesse zu, welches viele der früheren Bedenken beseitigt zu haben »scheint« ; wichtige Kundgebungen hätten stattgefunden, von denen die Beschlüsse des Wiener demographischen Gongresses erwähnt werden, und schliefslich heilst es: „Ueberall haben sich, wie wohl nicht zu verkennen ist, die Productions- und Arbeiter verhältnisse so gestaltet, dafs jener Frage wirk lich eine actuelle Bedeutung zukommen würde.“ Welche dieser Anführungen widerlegt aber das oben von uns Gesagte? Unseres Erachtens keine! Also dürfen die wirklichen Beweggründe für die seitens der Schweiz ergriffene Initiative doch wohl anderweitig gesucht werden. Aus der Schweiz selbst verlautet nun bezüglich des eigent lichen Anstofses, nicht etwa der schweizerische »Staatswille« allein habe das Project hervorgerufen, sondern in erster Linie sei der Anstofs für das selbe aus den Kreisen der schweizerischen In dustriellen gekommen, indem diese laute Klage darüber geführt hätten, dafs das schweizerische Fabrikgesetz mit seinen Bestimmungen über den Normalarbeitstag für erwachsene männliche Ar beiter, und den weitgehenden Einschränkungen der Frauen- und Kinderarbeit ihre Concurrenz- fähigkeit unterbinde. Nun werden die schweize rischen Industriellen so gut wie andere Leute wissen, dafs hinsichtlich der gegenseitigen Con- currenzfähigkeit nur alle Theilnehmer bindende Abmachungen eine Veränderung zu ihren Gunsten herbeiführen könnten, dafs jedoch auf das Zustande kommen solcher bindenden Abmachungen nicht zu rechnen ist. Nimmt man hinzu, dafs das schweizerische Fabrikggesetz zwar erlassen ist, bisher aber nicht durch geführt wird, — in diesem Punkte liegen in den Berichten der schweizerischen Fabrikinspectoren ebenso bündige Zeugnisse vor, wie hinsichtlich des gleichen Ver hältnisses für Oesterreich, in welchem Lande schon die von der Centralinstanz zugelassenen Ausnahmen so zahl- und umfangreich sind, dafs von einer stricten Durchführung des Gesetzes gar keine Rede sein kann — so kann man als Thatbestand fest stellen, dafs die schweizerische Industrie schon unter dem nicht einmal durchgeführten Gesetz sich nicht gerade wohl befindet und deshalb mehr eine Abänderung ihrer Lage als eine Verbreitung der für sie mafsgebend, wenn auch nicht bis zur letzten Consequenz wirksam gewordenen humani tären Principien anstrebt. Man wird also einiger- mafsen befugt sein, aus allen diesen im Grunde Niemand verborgenen Umständen zu folgern, dafs die schweizerische Einladung erfolgt ist, weil man dort sich klar zu werden anfängt, mit dem eigenen Fabrikgesetz weiter als erspriefslich gegriffen zu haben und daher auf einen Rückzug denkt, der allerdings nicht leicht zu bewerkstelligen sein möchte. Hierin soll aber die Conferenz helfen; erzielt sie nämlich ein greifbares Resultat, dann werden die internationalen Concurrenzbedingungen gleichgestellt und Alles ist gut; erzielt man ein