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174 Nr. 4 STAHL UND EISEN.“ Februar 1892. M. H.! Schritt für Schritt hat sich das Eisen seine jetzige Stellung im Eisenbahnoberbau unter stetem Kämpfen und Ringen erobern müssen. Aber sein Siegeslauf ist von vornherein ein, wenn auch langsamer, doch stets erfolgreicher gewesen, und er wird, defs bin ich überzeugt, auch in Bezug auf die Schwellenfrage diese Richtung einhalten. In den ursprünglichsten Spurbahnen, jenen vor 2 bis 3 Jahrhunderten in Bergwerken des Harzes und der englischen Kohlenbezirke aufgekommenen Holzgestängen, kam Eisen überhaupt noch nicht vor; diese bestanden einschliefslich der Stifte, mit denen die Holzschienen auf die Holz schwellen befestigt wurden, ganz und gar aus Holz. Kommen doch noch heute abseits vom grofsen Verkehr in Stein- und Lehmgruben Holzgeleise vor, welche keinen einzigen eisernen Nagel enthalten. Unser Osnabrücker Geleise-Museu m besitzt ein solches höchst interessantes Geleisestück nebst Weiche und Wagen aus Brad in Siebenbürgen. Seine erste Verwendung im Spurgeleise fand das Eisen ungefähr um die Mitte des 17. Jahr hunderts, jedenfalls nicht vor 1630, und auch dann erst in aufserordentlich bescheidenem Umfange, in Form von schmiedeisernen Nägeln und Stiften. Später, im Beginn des 18. Jahrhunderts, finden wir dünne Blechstreifen, mit denen die hölzernen Schienen an den unmittelbar befahrenen Stellen benagelt wurden; und hier tritt zum erstenmal die Inanspruchnahme des Eisens als reibungs mindernden Schutzmittels auf. An die Ausnutzung seiner Tragfähigkeit dachte damals noch Niemand; es hätte aber auch Niemand diesen Gedanken verfolgen können, weil der Preis des Eisens im Vergleich zu dem des Holzes ein ganz ungeheuerlicher war. Deshalb suchte man anfänglich wenigstens die Gleichmäfsigkeit, Härte und Glätte des Eisens auszunutzen und wandte es in Gestalt von dünnen Beschlägen für die Holzgeleise an. Solchergestalt hat dann das Schmiedeisen ein halbes Jahrhundert hindurch seine bescheidene Aufgabe im Bahngeleise erfüllt. Auch die im Jahre 1784 durch Henry Cort gemachte Erfindung des Puddelns oder Flamm ofenfrischens vermochte vorerst der Verwendung des Eisens im Bahngeleise keinen nennenswerthen Vorschub zu leisten, zumal mittlerweile dem Schmiedeisen ein erfolgreicher Nebenbuhler in dem Gufseisen erwachsen war. Der erste regelmäfsige Hochofenbetrieb mit Koks als Brennmaterial war allerdings in England bekanntlich 1735 in Gang gekommen; aber der hohe Preis des erzeugten Roheisens und dessen geringe Bruchfestigkeit hatten seine Verwendung für den Geleisebau auf gehalten. Ein im Jahre 1767 plötzlich eingetretener Preisniedergang gab sodann einem Hüttenmann auf den Colebroke-Dale-Werken, Reynolds, zu dem Versuche Anlafs, die bis zum Eintreten besserer Preise aufzustapelnden Eisenbarren in solche Formen zu giefsen, dafs sie als gufseiserne Geleisebeläge dienen konnten. Diese schweren Beläge aus Gufseisen hielten sich erheblich besser als die weicheren und schwächeren schmiedeisernen Beschlagbänder. Der damit erbrachte, kaum erwartete Beweis, dafs jenem Material vermöge seiner gröfseren Härte und Gestaltungsfähigkeit beträchtliche Vorzüge vor dem zwar zäheren, aber bei den nothgedrungen geringen Abmessungen aufserordentlich biegsamen und weit theureren Schmiedeisen innewohnten, hatte zur Folge, dafs das Gufs eisen für einige Jahrzehnte fast ausschliefslich die Herrschaft erlangte. Aber es zeigte sich auch damals schon in der denkbar urwüchsigsten Form, dafs die in ein Geleise gesteckte gröfsere Masse dessen Stabilität und Lagerfestigkeit in entsprechender Weise erhöht und dafs ein massiger Oberbau den Betriebsbeanspruchungen ungleich besser zu widerstehen vermag, als ein constructiv gleicher, aber leichterer Oberbau. Sehr wesentliche Verdienste um die rasche Verbreitung der gufseisernen Schienen in englischen Hütten- und Bergwerksgeleisen hat sich Benjamin Gurr erworben, welcher nicht nur die Schienen der freien Geleise zu Trägern mit hoch stehendem Spurrand ausbildete, sondern auch sehr sinnreiche Weichen-Constructionen erdacht und in einer in Sheffield im Jahre 1797 erschienenen Broschüre gewissenhaft beschrieben hat, Gonstructionen, welche noch heute, nach 100 Jahren, unsere Bewunderung beanspruchen dürfen. M. H.! Es war das 18. Jahrhundert in gewissem Sinne für den Hüttenmann eine glücklichere Zeit als das unsrige. Die Constructeure und sonstigen Interessenten, welche sich damals um die Geleiseausbildung überhaupt bekümmerten, zerfielen noch nicht in zwei Lager: dasjenige der Erzeuger und dasjenige der Verbraucher, welche sich, bewufst oder unbewufst, gegenseitig hätten das Leben sauer machen können. Oeffentliche Bahnen gab es noch nicht, wenngleich die Vortheile der auschliefslich in Fabriken, Hütten- und Bergwerken benutzten Geleise bereits vor 100 Jahren so deutlich in die Erscheinung getreten waren, dafs vereinzelt, zuerst 1794 für die Linie Cardiff- Merthyr-Tydfil, beim englischen Parlament um die Genehmigung zum Bau öffentlicher Linien nachgesucht wurde. Die Eisenbahngeleise blieben zu jener Zeit auf die Beförderung von Kohlen und anderen Gütern beschränkt. Wer auf seinem Besitz eine Bahn anzulegen gedachte, baute sie nach eigenem Ermessen und brauchte insbesondere auch sein Urtheil über die Gebrauchs fähigkeit des Holzes oder Eisens durch keinerlei Rücksichten auf die Ansichten oder Vorschriften Anderer beeinflussen zu lassen. Kurz, die Eisenbahnleute waren eben die Eisenhüttenleute selbst.