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22 Nr. 1 .STAHL UND EISEN.“ Januar 1892. änderungen, die sich beispielsweise in der ge- sammten Durchbiegung belasteter Constructionen zeigten, liefsen nur zu oft über die Güte des Bau werkes ein richtiges Urtheil nicht aufkommen, erzeugten vielmehr die irrige Annahme von der Vortrefflichkeit der Gonstruction, die keineswegs immer vorhanden war. Sogenanntes starres Eisen, wie gewisse Schweifseisensorten genannt wurden, erträgt be deutende Beanspruchungen, ohne auch die ent sprechende Formveränderung zu zeigen, und ist aus diesem Grunde die gemessene geringe Durchbiegung einer belasteten Eisenbrücke durch aus nicht allein mafsgebend für den inneren Werth der Gonstruction. So manche Eisenbrücke ergab bei der Probebelastung vollkommen zu friedenstellende Durchbiegungsresultate und konnte doch in kurzer Zeit den auftretenden Bean spruchungen nicht mehr widerstehen. Das geringe plastische Arbeitsvermögen des obengenannten Schweifseisens infolge seiner äufserst geringen Dehnbarkeit — die Festigkeit in der Walzrichtung ist keine sehr verschiedene — drückt sich gerade so in den Durchbiegungsresultaten belasteter Brücken aus, wie in den gemessenen Dehnungen bei Zerreifsstäben. Ohne Kenntnifs der Festig keitseigenschaften des verwendeten Materials ist daher die Beurtheilung einer Eisenconstruction auf eine Belastungsprobe hin, nicht immer zu treffend. Es ist dies um so weniger der Fall, als in der Regel die Durchbiegung nur in der Brückenmitte gemessen wird, während die anderen Knotenpunkte, mit Ausnahme der Endstützen, unberücksichtigt bleiben. Zur richtigen Beurtheilung des Gütegrades einer Eisenconstruction ist auch die Art der Vertheilung des Materials mafsgebend. Die in den Gur tungen angeordneten Stehbleche, an welchen die Gitterstäbe meist unmittelbar befestigt sind, wer den bei grofser Länge der einzelnen Theile eine verhältnifsmäfsig geringere Festigkeit quer zur Walzrichtung, also gerade in der Richtung des Angriffs der Gitterstreben, haben, als kurze Stücke, denn infolge des Walzprocesses werden diejenigen Blechtafeln (aus welchen die Stehbleche geschnitten werden), deren Verhältnifs von Breite zur Länge nahezu eins ist, in beiden Hauptrich tungen nahezu gleiche Festigkeiten haben, während bei Blechtafeln, deren Länge um Vieles gröfser ist als ihre Breite, die Querfestigkeit gegen die Längsfestigkeit sehr zurückstehen wird. Die Anordnung von sehr langen Theilen in den Gurtungsstehblechen war daher immer eine Verminderung der Güte der Gonstruction, wenn auch an der Materialmenge Ersparungen eintraten. Wie wesentlich die Festigkeit in der Quer richtung bei Stehblechen ist, wo die Gitterstäbe unmittelbar an dieselben befestigt sind, beweisen die oft beobachteten Schäden, die an den Stellen der Strebenanschlüsse auftraten und leicht den völligen Ruin der Gonstruction herbeiführen konnten. Sprödes Schweifseisen wird also auch in dieser Richtung den Gütegrad der Gonstruc tion wesentlich tiefer legen als zähes, gutes Schweifseisen. Die Mehrzahl der älteren Eisenbrücken sind in der Weise construirt, dafs die Gitterstreben unmittelbar an den Stehblechen der Gurtungen befestigt sind. In früherer Zeit, als die öster reichischen Brückenbauanstalten noch wenig tech nische Fertigkeit hatten, wurden zahlreiche Eisen brücken aus dem Auslande bezogen und infolge dessen auch oft minderwerthiges Schweifseisen in Kauf genommen. Aber auch das böhmische Schweifseisen fand, namentlich in Böhmen, viel fach Anwendung für Eisenbahn- und Strafsen- brücken. Es ist klar, dafs Brücken, aus solchem Schweifseisen gebaut, Gonstructionsmängel — und diese waren ja bei dem damaligen Stande des Brückenbaues nicht zu vermeiden — viel mehr empfinden werden, als Brücken, die etwa aus steirischem Schweifseisen gebaut wurden, da die gröfsere Deformationsfähigkeit des letzteren viel eher einen Gleichgewichtszustand zuläfst, als das erstgenannte Eisen. War einerseits das seiner zeit verwendete Eisen oft sehr minderwerthig, nicht blofs weil das ursprüngliche Roheisen phos phorhaltig und infolgedessen das gepuddelte Eisen kaltbrüchig war, sondern weil bei Einführung des Bessemerstahles für die Schienenerzeugung grofse Mengen rückgewonnene Schweifseisenschienen, die in der Regel stark phosphorhaltig waren, für die Packetbildung in den Walzwerken mitverwendet wurden, so waren andererseits die technischen Einrichtungen der Walzwerke noch wenig aus gebildet und lieferten ein Fertigproduct, das wenig geeignet war, den Ansprüchen einer richtigen Dimensionirung zu genügen. Die Schwierigkeiten, welche der Walzung von Profil- und Winkeleisen anfangs entgegenstanden, zeigen sich in den ältesten Eisenbrücken, deren Ausbildung des Gitterwerkes lediglich durch Flach eisen, nur in dem Mangel eines steifen Profils begründet ist. Als später schon Profileisen für die Druckstreben verwendet wurden, geschah dies meist in einer Weise, dafs die Kräfteüber tragung excentrische Beanspruchungen erzeugte. In constructiver Beziehung glaubte man anfangs in vielen Fällen von einer Deckung der Stöfse in den Gurtungen absehen zu können und brachte dadurch eine Anzahl schwacher Stellen in die Gonstruction. Auch als man später durch An wendung von Decklaschen bei neuen Brücken den geschwächten Querschnitt zu ersetzen suchte, geschah die Anordnung der einzelnen Stöfse oft mals nach willkürlicher Art, ohne auch immer an eine richtige Uebertragung der Kräfte zu denken. Solange die sogenannten Flacheisen brücken gebaut wurden, deren Höhe und Länge naturgemäfs keine bedeutende war, konnten die