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1. Januar 1900. Zuschriften an die Redaction. Stahl und Eisen. 37 Sorten bei gleicher chemischer Zusammensetzung nur auf die Art der Abkühlung in den Gufsformen Schlüsse ziehen. Die Factoren, welche auf letztere Einflufs ausüben, sind ja be kanntlich : a) Temperatur, mit welcher das flüssige Metall in die Formen gelangt, b) Temperatur der Gufsform, c) Material und Abmessungen der Gufs- form. Setzt man b) und c) als gleich voraus, d. h. wendet man vollkommen gleichartige Gufsformen an, so bleibt nur noch der Factor a) als bestimmend für die Gefügebildung, namentlich Graphitver- theilung übrig. Die Graphitbildung ist ein Krystalli- sationsprocefs. Die Temperatur, bei welcher die Krystallisation beginnt, ist nach Roberts- Austen* abhängig von der chemischen Zusam mensetzung, sie soll allgemein mit t bezeichnet werden. Die Krystallisation bedarf einer bestimm ten Zeit, wenn dieser Zeitbedarf auch ein sehr kleiner sein mag. Die Ausbildung der einzelnen Graphitkrystalle ist abhängig von der Schnellig keit der Krystallisation. Wird letztere beschleunigt, so entstehen viele Krystallkeime, die sich nur unvollkommen entwickeln, wie in Figur 3 des Verfassers. Wird die Krystallisationsperiode lang sam durchlaufen, so bilden sich, wie bei gewöhn lichen Salzlösungen, weniger Krystallkeime, die sich zu grofsen, gut ausgebildeten Graphitblättern aus wachsen, etwa wie in Figur 4 des Verfassers. Wie nun der obengenannte Factor a, also die Anfangstemperatur des zu vergiefsenden Metalls auf die Krystallisationsgeschwindigkeit des Graphit Einflufs ausüben kann, soll obenstehendes Bild schematisch veranschaulichen, in welchem die Zeiten als Abseissen, und die Temperaturen des Eisenbades zu diesen Zeiten als Ordinaten ein getragen sind. T sei die Temperatur, mit der das Koks roheisen in die Masselformen fliefst, ti die bei spielsweise niedrigere Temperatur, mit der das Holzkohlenroheisen von der gleichen chemischen Zusammensetzung in die Formen eintritt. ABC sei die Abkühlungscurve für das Koksroheisen. Diejenige des Holzkohlenroheisens mufs dann etwa * 5. Bericht an das Alloys Research Committee, Instit., Meeh. Eng. 1899, Februar. wie B l D'E 1 verlaufen. In der Figur ist diese Curve nach BDE verschoben gedacht, sie deckt sich nicht mit B C. Das heifsere Koksroheisen hat auf dem Wege von A nach B bereits die Form wände stark vorgewärmt, damit das Temperatur gefälle zwischen Formwand und Formfüllung er niedrigt, die Abkühlungscurve verläuft daher flach wie B C. Das Holzkohlenroheisen findet dagegen bei Punkt B, der seiner Anfangstemperatur ent spricht, eine noch kalte Form vor, so dafs die Ab kühlung des Eisens schroffer, also nach BDE etwa vor sich gehen wird. Stellt die schmale schraffirte Fläche die Krystallisationsperiode dar, so ist die Zeit, cd, welche die Curve ABC zum Durchlaufen derselben braucht, erheblich gröfser, als die entsprechende Zeit ab im Falle des Holz kohlenroheisens. Mithin wird das Koksroheisen, wenn alle oben gemachten Voraussetzungen er füllt sind, gröbere Graphitblätter bilden, als das Holzkohlenroheisen. Wird aber das Koksroheisen vor dem Eingiefsen in die Masselformen auf irgend eine Weise erst auf die Temperatur abgekühlt, oder wird das Holzkohleneisen im Hochofen auf die Temperatur Ti überhitzt, so wäre ein Grund für die verschiedenartige Ausbildung des Graphits nicht vorhanden, weil dann beide Abkühlungs- curven gleich verlaufen werden. Ein Fall wäre noch denkbar, nämlich der, dafs das Koksroheisen nach dem Erstarren mehr gelöste Gase enthielte, als das Holzkohlenroh eisen. Solche Gase sind aber bisher mikroskopisch noch nicht beobachtbar gewesen, so dafs das Mikroskop nach dieser Richtung gegenwärtig kein Unterscheidungsmerkmal liefert. Im Ansehlufs an den oben dargelegten Fall möge mir erlaubt sein, vor mikroskopischen Unter suchungen „auf den ersten Blick“ zu warnen. Dieselben werden in der Regel zu Irrthümern führen. Das Mikroskop ist ein Instrument, dessen Gebrauch dem Beobachter ebenso ungewohnt ist, wie einem Blinden, der plötzlich sehend wird, der Gebrauch des Auges. Auch dieser vermag sich, trotzdem dafs er sieht, über das Gesehene erst dann Klarheit zu verschaffen, wenn er seinen Tast sinn zu Hülfe nimmt, der ihn bis zu seinem Sehendwerden vorwiegend geleitet hat, und erst allmählich vermag er das neu erworbene Sinnes- Werkzeug, das Auge, zur richtigen Beobachtung heranzuziehen. Bezüglich der vom Verfasser angewendeten Bezeichnungen Homogeneisen und Krystalleisen sei Folgendes bemerkt. Nach Wedding* ent spricht das Homogeneisen sowohl dem Ferrit, als auch dem Cementit, das Krystalleisen dem Perlit. Ist es schon an und für sich unangebracht, für zwei einander so diametral gegenüberstehende Ge fügetheile, wie Ferrit und Cementit, den gleichen Namen: „Homogeneisen“ zu benutzen, so erscheint * „Stahl und Eisen“ 1893 S. 974.